Antisemitismusvorwurf: Kinderbuch soll indiziert werden
Das Familienministerium will ein religionskritisches Kinderbuch indizieren. Begründung: Antisemitismus. "Ungeheuerlich" finden Autor und Zeichner.
Es war als Religionskritik gemeint, doch nun soll es auf den Index: das Kinderbuch "Wo bitte gehts zu Gott? fragte das kleine Ferkel". Das Tierchen wurde von religiösen Parolen neugierig gemacht und befragt nun Geistliche verschiedener Religionen. Doch der Rabbi erzählt etwas vom strafenden Gott, der Bischof vom Opfertod Jesu und der Imam von der Hölle, in der Nichtmuslime schmoren. Das Ferkel resümiert, dass Gott einem offenbar Angst machen wolle und schließt mit der humanistischen Moral von der Geschicht: "Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht." Der Alibri-Verlag, der es herausbrachte, meint es als satirisches Kinderbuch, das vor der religiösen Indoktrination von Fundamentalisten jeder Couleur warnen will - als "Dawkins für Kinder".
Doch das Familienministerium ist ganz anderer Meinung. Es hat bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften eine Indizierungsantrag gestellt. In dem Buch würden "die drei Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum verächtlich gemacht", heißt es dort. "Die Besonderheiten jeder Religion werden der Lächerlichkeit preisgegeben", so das Ministerium. Damit sei das Buch geeignet "eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung hinausgehende feindselige Haltung gegen eine durch ihre Nationalität, Religion oder ihr Volkstum bestimmte Gruppe zu erzeugen". Vor allem stößt dem Ministerium auf, dass "der jüdische Glaube durch die bildliche Darstellung und die Charakterisierung der Person des Rabbi verächtlich" gemacht werde. Er werde als "wütender Mann mit entgleisten Gesichtszügen" dargestellt: "Während die Vertreter anderer Religionen eher tölpelhaft und dumm dargestellt werden, scheinen die Verfasser mit der Darstellung des Rabbiners zu suggerieren, dass die jüdische Glaubensgemeinschaft andere Religionsgemeinschaften vernichten will."
Autor Michael Schmidt-Salomon findet die Lesart des Ministeriums "ungeheuerlich": "Dieser Antisemitismusvorwurf ist nichts weiter als ein fadenscheiniger Vorwand, um Religionskritik aus den Kinderstuben zu verbannen", meint er. Auch der Zeichner des Buches, Helge Nyncke, wundert sich: Dass "ausschließlich der Rabbi" als unsympathisch und gewalttätig dargestellt werde, könne nur behaupten, wer "bewusst einseitig und tendenziös sichtbare Tatsachen verfälsche", so Nyncke. Gunnar Schedel, der Leiter des Verlages, spricht von einem "Anschlag auf die Meinungsfreiheit" und unterstellt: "Offenbar stört unser "Ferkelbuch" die Pläne des Familienministeriums zur christlichen Werteerziehung".
Entschieden wird über den Indizierungsantrag am 6. März. Die angeblich jugendgefährdende Religionsfeindlichkeit des Buchs ist übrigens dem Buchdienst Amazon noch gar nicht aufgefallen: Dort wird das Werk unter "Religiöse Kinderbücher" geführt - und verkauft sich blendend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen