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Antisemitismus in DeutschlandScham und Erschütterung

Deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen gedenken ein Jahr nach dem 7. Oktober der Opfer des Hamas-Terrors. Auch hierzulande nimmt Antisemitismus zu.

Unbekannte haben am 05.04.2024 einen Brandsatz auf eine Tür der Oldenburger Synagoge geworfen Foto: Hauke-Christian Dittrich

Berlin taz | Ein Jahr nach dem Massaker der Hamas an israelischen Zi­vi­lis­t*in­nen haben deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen ihre Trauer um die Opfer zum Ausdruck gebracht und dem jüdischen Staat ihre Solidarität versichert. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, stellte am Montag zudem ein Lagebild vor, das erneut zeigt, wie stark auch hierzulande der Antisemitismus wieder um sich greift.

Schon am Sonntag hatten zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung erklärt, zu Israel zu stehen und sich beschämt über Antisemitismus auf deutschen Straßen gezeigt. Ganz ähnlich klangen auch die Wortmeldungen vom Montag. So sagte etwa der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zur Rheinischen Post: „Nach dem 7. Oktober sind die Schleusen gebrochen.“ Er beklagte auch eine sich ausbreitende Gleichgültigkeit. „Bei der Bevölkerung generell macht sich allerdings eine gewisse Abstumpfung beim Thema Antisemitismus bemerkbar. Auch die sichtbare, gezeigte Solidarität mit Israel lässt nach.“

Bundesaußenministerin Annalena Barbock (Grüne) schrieb auf der Plattform X vom 7. Oktober 2023 auf hebräisch als „Zäsur für die Menschen in Israel“. Sie kündigte an: „Wir lassen nicht nach, bis alle Geiseln wieder frei und bei ihren Liebsten sind.“

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sagte: „Wenn Jüdinnen und Juden bei uns auf offener Straße attackiert werden, dann ist das eine beschämende Erinnerung an Bilder aus der dunkelsten Geschichte dieses Landes.“ Das mache den „Kampf gegen Antisemitismus in allen Bereichen unserer Gesellschaft umso dringlicher, auch in Kunst und Kultur.“

Wie massiv sich die Lage für Ju­den*­Jü­din­nen in Deutschland zuletzt verschlechtert hat, zeigt das Lagebild, das Zentralratspräsident Schuster vorstellte. Fast die Hälfte des befragten Führungspersonals jüdischer Gemeinden berichtete demnach von antisemitischen Vorfällen im vergangenen Jahr. Schuster sprach von „erschütternden“ Ergebnissen und einer „Explosion antisemitischer Straftaten“.

Mehrheitsgesellschaft weniger solidarisch

Über zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sich ihr Leben seit dem 7. Oktober 2023 verändert habe. Sie berichteten vor allem von einem höheren Sicherheitsbedürfnis, mehr Sorgen, Ängsten und Misstrauen sowie der Tendenz, die Öffentlichkeit zu meiden. Während sich Gläubige teils aus dem Gemeindeleben zurückgezogen hätten, sei das Gemeinschaftsgefühl insgesamt aber gewachsen, so die Befragten. Sie zeigten sich zudem fast durchweg zufrieden mit der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden.

Die deutsche Mehrheitsgesellschaft nehmen die Befragten indes als zunehmend unterkühlt wahr. Während bei einer ersten Befragung 2023 noch über die Hälfte der Befragten erklärte, ihre Gemeinde erfahre von der nichtjüdischen Gesellschaft Solidarität, sind es nun weniger als 40 Prozent. Schuster nannte dies den „bittersten Befund“.

Schusters Vorgängerin im Amt, die jetzige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München Charlotte Knobloch, versuchte auf X zu vermitteln, wie sich Ju­den*Jü­din­nen seit dem vergangenen Jahr fühlen. Sie schrieb von einem Leben „ohne Sicherheit und ohne festen Rahmen“, in dem sich Ju­den*­Jü­din­nen seit dem 7. Oktober wiederfänden. „Das Grundvertrauen, auf dem sie einst standen, haben viele verloren.“ Gesellschaft bedeutete das Zusammenleben auch mit denen, die anderer Meinung seien: „Wie dieses Zusammenleben aber aussehen soll mit denen, die unser Leben fundamental ablehnen, darauf weiß ich keine Antwort.“

Am Montagabend wollen Spit­zen­po­li­ti­ke­r*in­nen und religiöse Ver­tre­te­r*in­nen bei einem interreligiösen Gottesdienst in Berlin der Opfer des 7. Oktober 2023 gedenken. Mit dabei ist neben Schuster auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor. Auch an vielen anderen Orten in Deutschland sind für den Abend Gedenkveranstaltungen geplant. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will einer Trauerfeier in Hamburg beiwohnen.

Gleichzeitig soll es aber auch propalästinensische Aktionen geben, bei denen es in der Vergangenheit immer wieder zu antisemitischen Verfällen gekommen war. In Berlin-Neukölln ist etwa eine Demo angekündigt, die sich gegen Israels Politik richtet. Das am Jahrestag des Hamas-Terrors besonders unappetitlichen Motto: „Glory to the resistance“.

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6 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in
    Am 9.10.2024 um 11:18 schrieb Edda:

    Warum wird ständig gefühlte Wahrnehmung als Fakt wiedergeben?

    Ich darf eine Antwort des Autors ausrichten:

    Es geht nicht um "gefühlte" Wahrheiten sondern um eine Entwicklung, die von zahlreichen Statistiken belegt wird. Darunter etwa diverse Lagebilder (bspw. vom Zentralrat oder der Amadeo Antonio Stiftung), die Zahlen der RIAS-Meldestellen und die BKA-Statistik sowie andere unabhängige Studien, aus denen ein klarer Anstieg antisemitischer Vorfälle hervorgeht. Die Zahlen zeigen auch, dass ein großer Teil dieser Vorfälle einen Bezug zu Hass auf Israel hat und dass ein deutlicher Anteil der Täterinnen einen muslimischen Hintergrund hat. Dass Antimuslimischer Rassismus auch deutlich angestiegen ist (auch da gibts ja zahlreiche Statistiken) stimmt natürlich und ist ebenfalls eine schlimme Entwicklung - aber es ist einfach eine andere geschichte. Antisemitismus und Antimuslimischen Rassismus gegeneinander aufzurechnen und Musliminnen und Juden*Jüdinnen gegeneinander auszuspielen hilft niemandem.

  • Ich würde diese Behauptung bitte mit Fakten, gesichert wissen.



    Einfach deswegen, weil täglich der Satz auftaucht, Antisemitismus in Deutschland wachse stark, aber was ich sehe ist im Gegenteil diktatorisch ausufernde Solidarität, mit Israel/gegen Antisemitismus und tägliche Gewalttaten vor allem gegen Muslime, sei es nun staatlich durch Polizei oder durch normale Bürger, die sich mittlerweile überall in der Öffentlichkeit hemmungslos berufen fühlen, Muslime vor allem Frauen mit Kindern anzugreifen und zu entwürdigend. In Berlin fast täglich ein Fall in der BVG oder den Stationen, ich zähle gar nicht mehr, wie viele Frauen von Deutschen täglich beleidigt, geschlagen, bedroht werden, das Kopftuch vom Kopf gerissen wird.



    Über Juden höre ich Gott sei Dank keine täglichen Angriffe bzw überhaupt sehr selten körperliche Angriffe. Sicher gibt es Zahlen dazu. Die so genannte Erfassung antisemitischer Taten nützt nicht, da dies ein verfälschtes Bild wiedergibt und die Parameter nicht zu vergleichen sind mit der Statistik über antimuslimische Taten. Die Erfassungskriterien sind völlig verschieden.



    Warum wird ständig gefühlte Wahrnehmung als Fakt wiedergeben? ist eigentlich AfD Style

  • Mittel- oder langfristig ist zu befürchten, dass Juden sich nur noch in Israel sicher und frei bewegen können. Noch wandern sie nicht massenhaft aus Deutschland nach Israel aus. In Frankreich ist das bereits verstärkt zu beobachten, weil die Lage dort noch viel schlimmer ist. Was für ein Armutszeugnis für Europa!

    • @Winnetaz:

      Ein Deutscher, der Demokrat ist und demokratische Rechte sowie die freie Äußerung der Meinung und die Möglichkeit, Regierungen zu kritisieren, zu schätzen weiß und nichts von einem Gottesstaat und getrennten Bussen für jeweils Männer und Frauen hält, wäre dumm, nach Israel auszuwandern.



      Und den Aspekt, dass es dort sicherer sei. können Sie nicht ernst meinen, oder?

      • @Edda:

        Zu den "getrennten Bussen jeweils für Frauen und Männer" haben Sie aber sicher einen Link?



        Ich würde das nämlich sonst für Käse halten.

        • 6G
          617922 (Profil gelöscht)
          @Henriette Bimmelbahn:

          Vermutlich bezieht sich Kommentator*in Edda auf die ultra-orthdoxen Mehadrin-Buslinien, deren religiös-begründete Praxis der Geschlechtertrennung 2011 durch das oberste Gericht in Israel als illegal erklärt worden war (siehe u.a. TAZ-Artikel vom 20.08.2023 von Ulrich Gutmair), allerdings bis jetzt trotzdem noch vereinzelt von ultraorthodoxen Gruppierungen fortgesetzt wird. Schade, dass die vielen und vehementen Proteste der sakulären Israelis gegen diese wohlgemerkt illegale(!) Praxis im Kommentar unerwähnt bleiben.