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Antisemitismus an UniversitätenEine Atmosphäre der Angst

Ein neuer Bericht zeigt, wie Antisemitismus in Europa jüdische Studierende bedroht. Auch Vorfeldorganisationen von Terrorgruppen mischen demnach mit.

Auch hierzulande stiegen antisemitische Vorfälle an Unis, zeitgleich gab es auch friedliche Palästina-Protestcamps Foto: Christoph Hardt/imago

Berlin taz | Es ist eine erschreckende Bilanz der Bedrohung und Gewalt: In Toulouse werden Gegenstände einer Studierenden mit Hakenkreuzen beschmiert und dem Satz „Dreckige Jüdin stirb“. In Straßburg werden drei jüdische Studierende als „Faschisten“ beschimpft und zu Boden geschlagen, als sie Poster aufhängen, die die Freilassung der israelischen Geiseln in den Händen der Hamas fordern. Und in Berlin wird der jüdische Student Lahav Shapira von einem Kommilitonen so brutal verprügelt, dass er mehrere Brüche im Gesicht erleidet. Die Liste der Vorfälle geht immer weiter: Hakenkreuz-Schmierereien, Todesdrohungen, physische Angriffe, Verherrlichung des Hamas-Terrors gegen Zivilist*innen, Verharmlosung des Holocaust.

Zu lesen ist diese Bilanz des Antisemitismus an europäischen Unis in einem neuen Report von der Europäischen Union Jüdischer Studenten (EUJS), der Organisation B’nai B’rith sowie des Vereins democ. Neue Zahlen liefert der Bericht nicht, stattdessen bietet er einen Überblick über die Gesamtlage.

Deutschland kommt dabei schlecht weg. Auch an den hiesigen Unis stieg die Zahl der antisemitischen Vorfälle dramatisch, nachdem Hamas-Kämpfer am 7. Oktober 2023 Israel überfallen und rund 1.000 Zi­vi­lis­t*in­nen ermordetet hatten. Bei Campus-Protesten gegen den auf das Massaker folgenden israelischen Militäreinsatz in Gaza wurden immer wieder antisemitische Parolen skandiert, zum bewaffneten Kampf gegen Israel aufgerufen und Hamas-Symbole an Wände geschmiert.

Anfang 2024 folgte dann der schwere Angriff auf Lahav Shapira sowie im Frühjahr desselben Jahres mehrere aufsehenerregende Besetzungen von Gebäuden mehrerer Berliner Unis. Auch hier tauchten unter anderem Hamas-Symbole wie das rote Dreieck auf, das die Organisation nutzt, um israelische Ziele zu markieren. Die meisten Besetzungen wurden schnell von der Polizei geräumt.

Rechtliche und moralische Grauzonen

Insbesondere aus linken Kreisen gab und gibt es daran Kritik. Denn längst nicht alle Demonstrierenden äußern sich antisemitisch, sympathisieren mit Hamas oder werden gar gewalttätig. Sollen sie für den Antisemitismus derjenigen haften, die neben ihnen stehen? Wird der Protest gegen Kriegsverbrechen entwertet, weil auch Islamisten mitdemonstrieren? Eine klare Antwort darauf zu finden, ist auch deshalb so kompliziert, weil umstritten ist, wo genau israelbezogener Antisemitismus beginnt und legitime Kritik an Israel und seiner Politik in Gaza endet.

In einzelnen Fällen sah der staatliche Kampf gegen Antisemitismus jedenfalls eher nach dem Versuch aus, in die Freiheit der Lehre einzugreifen. Im Bildungsministerium unter Bettina Stark-Watzinger (FDP) gab es 2024 etwa Versuche, For­sche­r*in­nen die staatlichen Gelder zu streichen, wenn sie Kritik an Israel geübt hatten. Darüber stürzte die Ministerin fast.

Ist die konkrete Einordnung einzelner Protestaktion also komplex, gelingt das bei Gruppen wie Samidoun und Masar Badil sehr viel einfacher. Bei ersterem handelt es sich um eine mittlerweile verbotene Vorfeldorganisation der Terrorgruppe PFLP. Der steht auch Masar Badil nahe, das allerdings auch Verbindungen zu Hamas und islamischem Jihad hält. Sowohl Masar Badil als auch Samidoun mischen laut dem Bericht auch an den Unis mit.

Genauso unstrittig sind die Folgen der antisemitischen Bedrohung für jüdische Studierende. Neben den körperlichen Folgen konkreter Gewalttaten betont der Bericht hier insbesondere, wie für jüdische Studierende eine Atmosphäre der Angst entstanden sei. Viele isolierten sich, müssten auf dem Campus ihre jüdische Identität verstecken oder blieben den Lehrveranstaltungen gleich ganz fern.

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