Antisemitismus an Stadtkirche Wittenberg: BGH verhandelt zu Relief
Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich mit einer antisemitischen Plastik in Wittenberg: Reicht Kontextualisierung, um sie dort zu lassen?
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An der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg, an der einst Martin Luther gepredigt hat, ist seit dem 13. Jahrhundert in vier Meter Höhe eine antisemitische Skulptur angebracht. Sie stellt unter anderem Juden dar, die an den Zitzen eines Schweins saugen. Umgangssprachlich wird die Skulptur deshalb als „Judensau“ bezeichnet.
Anfang 2020 entschied das Oberlandesgericht Naumburg, dass das Relief im heutigen Kontext nicht mehr beleidigend ist. Die von der Kirche vorgenommene „Kommentierung“ der Plastik neutralisiere die ursprüngliche Wirkung. Schon 1988, also noch zu DDR-Zeiten, hatte die Kirchengemeinde am Fuße der Plastik eine künstlerisch gestaltete Bodenplatte als Mahnmal angebracht. Später wurde diese durch eine Informationsstele ergänzt.
Kläger Düllmann hält das alles für unzureichend und ging in Revision. Sein Anwalt Christian Rohnke sagte in Karlsruhe: „Bei einer so schweren Beleidigung muss ich als Verantwortlicher mein Äußerstes tun, um die Wirkung zu beseitigen. Das hat die evangelische Kirchengemeinde aber nicht getan.“ Im Gegenteil, so Anwalt Rohnke, „der Text auf der Bodenplatte ist wirres Geschwurbel, das niemand versteht.“ Seit 1988 steht dort: „Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen.“
„In Stein gemeißelter Antisemitismus“
Zudem kritisierte Anwalt Rohnke den Text auf der Informationsstele, auf der es unter anderem heißt: „Schmähplastiken dieser Art, die Juden in Verbindung mit Schweinen zeigen – Tiere, die im Judentum als unrein gelten – waren besonders im Mittelalter verbreitet.“ Rohnke hält das für „verharmlosend und relativierend“, so als sei Derartiges früher normal gewesen.
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Für die Kirchengemeinde betonte Anwältin Brunhilde Ackermann, man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, das Relief zu belassen. „Das war letztlich aber ein klares Bekenntnis, dass Erinnerungskultur sein muss“. Erinnern sei nun mal am eindrücklichsten möglich am historischen Ort. Die Kirche habe sich auch unmissverständlich distanziert. „Man darf die Erinnerungskultur nicht auf dem Altar des Zeitgeists opfern“, forderte Anwältin Ackermann.
Der Vorsitzende Richter Stephan Seiters betonte, das Relief sei „in Stein gemeißelter Antisemitismus“. Juristisch komme es darauf an, ob es sich durch die Ergänzungen der Kirchengemeinde in eine Art Mahnmal verwandelt hat. Das Urteil wird am 14. Juni verkündet.
Nach der Verhandlung sagte der neue Wittenberger Pfarrer Matthias Keilholz: „Der Text der Bodenplatte ist vielleicht zu undeutlich.“ Die Gemeinde denke über eine klarere Botschaft nach.
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