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Antisemitismus-Vorwürfe in HildesheimDekanin tritt zurück

Erst nach jahrelanger Kritik an einem Palästina-Seminar in Hildesheim wurden nun Konsequenzen gezogen. Dekanin Christa Paulin legt ihr Amt nieder.

Eine Pro-Palästina-Demo in Berlin Foto: dpa

Hildesheim dpa | Nachdem Antisemitismus-Vorwürfe gegen ein Palästina-Seminar an der Hildesheimer Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst jahrelang ungehört verhallten, ist die verantwortliche Dekanin nach einer Krisensitzung zurückgetreten. Hochschulpräsidentin Christiane Dienel bezeichnete den Rücktritt am Donnerstag als „richtig und unvermeidbar“. Erst nach anhaltender, massiver Kritik aus der jüdischen Gemeinschaft war das Seminar im August abgesetzt worden, nachdem Dienel eine antiisraelische oder antisemitische Ausrichtung des Kurses zuvor noch bestritten hatte.

Der Fakultät habe es an Gespür im Umgang mit dem umstrittenen Seminar und der Auswahl der Dozenten gemangelt, sagte Dienel der dpa. Schon vor Jahren geäußerte Kritik von Studenten sei unter den Tisch gekehrt worden, außerdem habe die Fakultät sie nicht angemessen und unvollständig informiert. „Ich habe den Fakultätsrat einberufen, weil ich insbesondere in den letzten Wochen den Eindruck gewonnen habe, dass die Fakultät mein Vertrauen nicht mehr verdient.“ Am Ende der Sitzung stand der Rücktritt von Dekanin Christa Paulini.

Angeforderte Unterlagen, die für ein vom niedersächsischen Wissenschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten dringend benötigt werden, seien nur lückenhaft und unvollständig vorgelegt worden, erklärte Dienel. Auch Qualifikationen für Dozenten seien in geradezu fahrlässiger Weise ungeprüft geblieben und die Umstände, unter denen das strittige Seminar organisiert wurde, unverantwortlich nachlässig aufgearbeitet worden. „All das sind Vorgänge, die von fehlendem Verantwortungsbewusstsein zeugen.“

Auch Dienel steht in der Diskussion um das Palästina-Seminar seit Monaten massiv in der Kritik. „Das ist am Ende ein Problem, von dem ich selbst ein Teil bin“, sagte sie am Donnerstag der dpa. „Ich hätte da viel kritischer hinschauen müssen.“ Im Hochschulbetrieb gebe es eine geringe Bereitschaft der Verantwortlichen, sich in den eigenen Lehrbetrieb hereinschauen zu lassen. So habe die Dekanin sich auf die Dozenten verlassen und sie als Präsidentin sich auf die Dekanin. „Die ganze Hochschule muss in einen Lernprozess einsteigen.“

Verschwörungstheoretische Blogs

Die Hochschulpräsidentin hatte die Kritik an dem Seminar zunächst zurückgewiesen und auf eine Prüfung des Seminars durch die Ethikkommission der Hochschule verwiesen. Die Wissenschaftsministerin forderte die Hochschule aber auf, sich intensiv mit der Kritik und den Beschwerden auseinanderzusetzen.

Zuletzt hatte die als Lehrbeauftragte angefragte Religionspädagogin Rebecca Seidler sich über das Kursmaterial empört. Es stelle die politischen Aktivitäten Israels einseitig und plakativ dar und basiere teils auf unwissenschaftlichen Quellen wie etwa verschwörungstheoretischen Blogs. Ihre Kritik wurde unterstützt durch die anti-rassistische Amadeu Antonio Stiftung. Auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, bat darum, das Seminar nicht mehr anzubieten.

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3 Kommentare

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  • Ein Seminar " über die Situation von Jugendlichen in Palästina" finde ich sehr wichtig. Wenn es daneben auch eins über Jugendliche in Israel und ihre Traumata gibt, umso besser. Letzteres finde ich erheblich spannender als ein harmonisierende Seminar über "jüdische Sozialarbeit", das die Kollegin gab, die die Beschwerde über das Seminar der halb palästinensischen Kollegin eingereicht hat. (Warum "jüdisch"? Warum nicht: "Sozialarbeit in Israel"? Gibt es irgendwelche Spezifika von "jüdischer" Sozialarbeit?)

    Ich finde die Situation sowohl der palästinensischen als auch der jüdisch-israelischen Jugendlichen höchst bedenklich. Man muss aber schon auch ins Detail gehen dürfen: während israelische Jugendliche in einem Klima der Angst vor Attentaten leben, werden palästinensische Jugendliche Opfer einer systematischeren und alltäglicheren Gewalt durch den Staat und wachsen auf mit politisch entrechteten, damit auch sozial benachteiligten und vielfach vor ihren Augen gedemütigten Eltern. Die Folgen sind auf beiden Seiten dramatisch. Aber seien wir doch so mutig, uns einmal eine Geschichte jeweils von einer Seite ganz und bis zuende anzuhören.

     

    Wäre ein Seminar über israelische Kinder, die unter Traumatisierung leiden, abgesetzt worden, nur weil nicht gleichzeitig in ausreichendem Masse die Motive und die Situation der palästinensischen Attentäter beleuchtet wurden? Nein, und zurecht nicht. Aber so muss auch umgekehrt die Situation palästinensischer Kinder dargestellt werden. Vor allem, wenn man irgendwann Frieden will.

  • vor der staatsräson eingeknickt?

  • Ein Signal das Hoffnung gibt.

    Es zeigt: die Mühlen der Gerechtigkeit stehen oft still und mahlen häufig sehr langsam.

    Aber manchmal mahlen sie halt doch noch.

    Eine lückenlose Aufarbeitung, wie es zu diesem Skandal kommen konnte ist dennoch unabdingbar notwendig.