piwik no script img

Antirassistische Webserie „L.S.D.“Zauberkräfte gegen Herrenmenschen

In der Serie „L.S.D.“ helfen übernatürliche Wesen diskriminierten Mi­gran­t*in­nen. Produziert wurde sie von der Hamburger Gruppe New Media Socialism.

Tief in die Trickkiste gegriffen: Der Auftritt der übernatürlichen Kräfte wird nie langweilig Foto: New Media Socialism

Gegen die Ausländerbehörde kann man nur mit Zauberkräften etwas bewirken. Und auch gegen rassistische Nachbarn helfen den Mi­gran­t*in­nen aus Westafrika nur die Dämonen, die sie aus ihrer Kultur kennen. Dies ist die Prämisse der Mini-Web­serie „L.S.D.“, die von der Künstlergruppe New Media Socialism produziert wurde. Seit ein paar Tagen kann man sie auf Youtube sehen.

Der Titel weckt wohl nicht ganz unbeabsichtigt falsche Erwartungen, denn „L.S.D“ steht für „League for Spiritual Defense“, also „Liga für spirituelle Verteidigung“. Ein junger Migrant aus Gambia sucht in der ersten der fünf zwischen zwölf und sechs Minuten langen Folgen eigentlich nur nach einem Weg, seine Geldsorgen loszuwerden. Dabei findet er einen „Digital Dschinn“, den er nicht wie in „Tausendundeine Nacht“ aus einer Flasche, sondern aus einem Handy befreit.

Dieser Geist aus dem Netz kann alle digitalen Prozesse manipulieren, und so bekommt der erste Kunde von „L.S.D.“ nicht nur einen positiven Bescheid von der Ausländerbehörde, sondern wegen eines angeblichen Systemfehlers auch eine Nachzahlung von 100.000 Euro. Zu dem Dschinn, der ja eigentlich eher zur Mythologie der arabischen Welt gehört, gesellt sich bald ein westafrikanischer „Doublefaced Demon“, der das „Mindset“ von Menschen beeinflussen kann.

Die helfen nun Mi­gran­t*in­nen in Hamburg bei ihren Kämpfen gegen Behördenwillkür und Rassismus. Doch auch die Reaktionäre haben noch Einfluss in der übernatürlichen Welt. Die „Herrenmenschen“ holen unter der Leitung des „Old White Man“ Lothar von Trotha zum Gegenangriff aus. Dagegen können nur die „Pan­african Ghostbusters“ helfen. Fortsetzung folgt!

Die Herrenmenschen holen unter der Leitung des „Old White Man“ Lothar von Trotha zum Gegenangriff aus. Dagegen können nur die „Panafrican Ghostbusters“ helfen

„Empowertainment“ nennen die Künst­le­r*in­nen von New Media Socialism ihre Arbeiten, also eine Mischung aus Selbstbemächtigung und Unterhaltung. In ihren Erzählungen werden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. So können Wunschfantasien durchgespielt werden. Bereits in ihrer Webserie „The Justice Project“ wurde bei einem Prozess gegen einen Migranten alles umgedreht, sodass sich Richter und Staatsanwalt auf der Anklagebank wiederfanden und der ursprüngliche Angeklagte über sie richten durfte.

„Lebensrealitäten werden ins Fantastische gekippt“ – so beschreibt die Dramaturgin Nadine Jessen diesen Prozess. Sie führt Regie bei den Dreharbeiten, wird aber weder im Abspann noch in den sonstigen Filminformationen genannt. Denn eines der Prinzipien von New Media Socialism besteht darin, dass das Kollektiv gleichberechtigt arbeitet und auftritt. In den Gewerken wie Kamera, Ton, Filmtrick und Montage arbeiten Medienprofis, aber die kreativen Entscheidungen werden von der Gruppe getroffen. Bei „L.S.D.“ bestand sie aus 25 Künstler*innen, von denen die meisten Mi­gran­t*in­nen sind, die in Hamburg leben.

Die Webserie

„League for Spiritual Defense [L.S.D.]“ und alle anderen bisherigen Webserien von New Media Socialism: https://www.youtube.com/c/NewMediaSocialism/videos

In ihren Geschichten geht es vor allem um ihre alltäglichen Schwierigkeiten. In „L.S.D.“ erzählen sie von der Angst vor der allmächtig scheinenden Ausländerbehörde und den rassistischen Ausfällen eines Polizisten. Die Handlung entwickelt das Team, aber es gibt kein Drehbuch mit vorher geschriebenen Dialogen, nur die Szenenfolge und die Richtung der Handlung sind festgelegt, die Dar­stel­le­r*in­nen improvisieren ihre Dialoge bei den Dreharbeiten.

Die Erzählung ist deshalb nicht so pointiert und dramaturgisch ökonomisch, wie es normalen Sehgewohnheiten entspricht. Eine Folge von „L.S.D.“ beginnt etwa mit einem Telefongespräch zweier Gambier in ihrer Heimatsprache Mandinka – ohne Untertitel.

Aber langweilig wird es nie. Für die Auftritte der fantastischen Wesen wird tief in die digitale Trickkiste gegriffen. Für den Vorspann wurde extra eine poppige Hymne komponiert. Die Dar­stel­le­r*in­nen sind offensichtlich Laien, aber gerade dadurch wirken sie authentisch, auch wenn sie oft extrem übertrieben spielen. Die weißen alten Männer sind dagegen Karikaturen und der Antisuperheld Lothar von Trotha trägt sogar einen kleinen, angeklebten Papierschnurrbart.

Völkermörder-Auftritt als Cliffhanger

Von Trotha ist eine historische Figur: 1904 gab der preußische General den Befehl zum Völkermord an den Herero und Nama in Namibia. In „L.S.D.“ hat er nur einen kurzen Auftritt in der letzten Folge – die mit einem großen Cliffhanger endet. Denn „L.S.D.“ erzählt nur die Vorgeschichte zu der viel aufwendiger geplanten Webserie „Tansania Zombie Park“, die New Media Socialism im kommenden Herbst produzieren will.

Darin soll es schließlich zum Kampf kommen zwischen den reaktionären und den antirassistischen Geisterteams, den „Herrenmenschen“ und den „Panafrican Ghostbusters“. Gedreht wird zum Teil im Hamburger „Tansania-Park“, einer berüchtigten Denkmalanlage in Hamburg-Jenfeld, auf der Ehrenmale und Skulpturen aus der deutschen Kolonialgeschichte aufgestellt wurden. Die aber wurden nach internationalen Protesten gar nicht eröffnet – und öffentlich zugänglich ist die Anlage nicht.

Die Hamburger Kulturbehörde, die New Media Socialism auch fördert, hat dem Projekt dort aber eine Drehgenehmigung erteilt. Nadine Jessen hat zwar in einem Telefoninterview versichert, dass sie keines der Artefakte „zerstören“ werden, einen spannenden „Live-Showdown“ verspricht sie trotzdem. Kommt es dann etwa in Hamburg zu einer antirassistischen, sozialistischen Revolution? Fortsetzung folgt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "1094 gab der preußische General den Befehl zum Völkermord an den Herero und Nama in Namibia."

    1904?