Antinationale Fußballfans: Schwarz-Rot-Hass
Viele antideutsche Linke in Berlin haben ein ernsthaftes Problem - sie können kaum in Ruhe Fußball gucken, überall begegnen ihnen nationale Symbole.
BERLIN taz | Martin Endemann hat die deutschen WM-Spiele zu Hause gesehen. "In ausgewählter Gesellschaft", fügt er hinzu. Ihn nerven die Deutschtümelei und die Fahnen in den Kneipen. Der Aktivist beim Bündnis aktive Fußball-Fans (Baff) drückt immer den Gegnern der DFB-Auswahl die Daumen. Sich dafür zu rechtfertigen geht ihm auf die Nerven. "Wenn mich einer fragt, warum ich gegen Deutschland bin, frage ich zurück: warum bist du für Deutschland?", sagt der 33-Jährige. Er versteht nicht, warum ein eingefleischter Dortmund-Fan plötzlich für eine Mannschaft voller Schalker, Bayern und Werder-Bremen-Spieler ist. "Es gibt keinen rationalen Grund, für Deutschland zu sein", sagt Endemann. "Da ist die Bezugnahme immer die Nation. Und damit will ich nichts zu tun haben."
Um Schwarz-Rot-Gold zu vermeiden, müsste Endemann nicht zu Hause Fußball gucken. "Alle Spiele, alle Tore, keine Hymnen - die Fußball-WM in antinationalem Ambiente": damit wirbt ein Club in Berlin-Friedrichshain. Im Garten ist die Stimmung entspannt, die Lautstärke der Fußballübertragung dezent. "Wir haben uns einen Ort geschaffen, an dem wir uns wohlfühlen", sagt Vera, eine der Initiatoren.
Gegrölt wird hier nicht, gejubelt für und gegen Deutschland. Die Gegner und Supporter der deutschen Nationalmannschaft halten sich die Wage. Sie akzeptieren sich. Nicht geduldet werden hingegen nationale Symbole. Damit das funktioniert, gibt es bei den Deutschlandspielen Einlasskontrollen. Beim Achtelfinalspiel hat es dennoch eine Mütze mit schwarz-rot-goldenem Emblem in den Garten geschafft. "Der Träger wurde höflich gebeten, sie abzunehmen", lacht Vera.
Wie viele Punkte es für so eine Mütze gegeben hätte, ist nicht ganz klar. Die linke "autonome WM Gruppe" führt lediglich die Belohnung für gesammelte Flaggen und Trikots auf ihrer Internetseite auf. Los geht es mit einem Punkt für kleine Flaggen, Originaltrikots bringen 10 Punkte, und für jede verbrannte Flagge gibt es gegen ein Beweisfoto noch mal 2 Punkte drauf. Satte 100 Punkte sind als Belohnung für die neue Königsdisziplin ausgeschrieben: die fünf Meter lange Riesenflagge in der Neuköllner Sonnenallee.
Hinter dem autonomen Fahnenklauwettbewerb steht die Ablehnung der Vermischung von Partypatriotismus, Fußball und Nationalismus. "Für uns ist das Schwenken von Fahnen kein unpolitischer Akt, sondern ein Rückfall in Territorialdenken und das Pflegen von nationalistischen Ressentiments", antwortet ein Sprecher auf eine schriftliche Anfrage. Dass sie dabei in Neukölln vor allem arabisch- und türkischstämmige Deutschlandfans um die Fahnen erleichtern, tut für sie nichts zu Sache. Sie wenden sich gegen jegliche Form von Nationalismus, egal wer ihn propagiert.
"Das sind ja nicht andere Deutschlandfans, nur weil sie Migranten sind", wundert sich Endemann über die Diskussion, die wegen des Neuköllner Fahnenstreits entbrannt ist. Dass der neue Patriotismus entspannter sein soll, ist für ihn ein Mythos. "Es werden ja trotzdem Unterschiede gemacht, jetzt eben zwischen den Migranten, die flaggen, und solchen, die nicht flaggen."
Das neue Aus- und Einschlüsse produziert werden, findet auch Stefan Gerber. Er demonstriert gegen Nationalismus normalerweise in einem rosa Hasenkostüm, als Pink Rabbit der Naturfreundjugend Berlin. Ihm ist die schwarz-rot-goldene Patina seines Kiezes zwar unangenehm, er findet sie aber nicht schlimmer als andere Formen des Einschwörens auf die Nation. "Nationalismuskritik soll sich auch mit Alltagsritualen beschäftigen, aber es ist absurd, die Auseinandersetzung nur an den Fähnchen aufzuhängen", sagt der 29-Jährige. Für ihn ist das Straßenbild Neuköllns, wo Deutschlandfahnen vor Dönerläden hängen, das Zeichen eines modernen Nationalismus, der sich nur in einer Hinsicht vom völkischen Nationalismus unterscheidet: "Da können auch Leute mitmachen, die im Zweifel nicht den Ariernachweis der Großmutter vorlegen können."
Dass auch die Nationalmannschaft diese Entwicklung widerspiegelt, bedeutet für Endemann nichts. "Dass alle jubeln, wenn Özil für Deutschland trifft, nützt dem Migranten, der auf der Straße rassistisch beleidigt wird, herzlich wenig", sagt der Tennis-Borussia-Fan. Im Fußball sei eben auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, nur weil jetzt migrantischstämmige Jungs in der Nationalmannschaft spielen: "Das gilt nicht für andere Bereiche des Fußballs, im DFB-Präsidium sitzen 19 Leute, eine Frau, keine Migranten."
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