Antimuslimischer Rassismus: „Verfälschte Darstellung“
Medien sollten Muslim*innen sprechen lassen, statt Stereotype zu reproduzieren, sagt Elena Kountidou von den Neuen deutschen Medienmacher*innen.
taz: Frau Kountidou, derzeit ist ein Bericht über Muslimfeindlichkeit, den das Bundesinnenministerium (BMI) beauftragt hatte, wieder offline, nachdem der Publizist Henryk M. Broder geklagt hatte. Er sah sich zu Unrecht im Zusammenhang mit Muslimfeindlichkeit erwähnt.
Elena Kountidou: Ich hoffe, dass das Bundesinnenministerium diesen sehr wertvollen Bericht bald wieder online stellt. Er wurde nach dem rechtsextremen Terror von Hanau beauftragt, um das Phänomen von antimuslimischem Rassismus besser zu verstehen. Von ausgewiesenen Expert*innen wird das Ausmaß dieser Diskriminierungsform auf 400 Seiten untersucht, das gab es bis dato nicht.
ist Publizistikwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt im Journalismus und gegen Hass im Netz einsetzen.
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben den Bericht gelesen und Vorschläge formuliert, was sich an der Islamberichterstattung in Deutschland ändern soll. Wieso ist das wichtig?
Gerade in Zeiten von polarisiert geführten Debatten haben Journalist*innen die Verantwortung, ausgewogen zu berichten und marginalisierte Gruppen wie Muslim*innen zu Wort kommen zu lassen. Medienschaffende prägen die Stimmung im Land. Studien zeigen, dass das Meinungsklima in Deutschland stark von Islamfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus geprägt ist, was wiederum dazu führt, dass Muslim*innen gesellschaftliche Ablehnung und sogar Gewalt erfahren.
Sie sprechen von stereotypen Markierungen, die Muslim*innen in Medien erfahren. Wie sehen die zum Beispiel aus?
Medienschaffende verfallen immer wieder in dieselben ausgrenzenden und pauschalisierenden Dynamiken. Die Straßenbeleuchtung zum Ramadan war ein gutes Beispiel dafür, wie schnell ein Symbol für ein friedliches Miteinander zur großen Gesellschaftsdebatte gemacht wurde. Ein Klassiker ist: 72 Prozent der muslimischen Frauen in Deutschland tragen kein Kopftuch. Trotzdem wird muslimisches Leben meist mit einer Frau mit Kopftuch von hinten bebildert. Das ist eine verfälschte und stereotypisierende Darstellung.
Was bedeutet das?
Muslim*innen werden oft fremd und anders dargestellt, als würden sie nicht zu unserer Gesellschaft dazugehören. Das ist eine Form des sogenannten Otherings. Das hat gesamtgesellschaftliche Konsequenzen. Es leben fast sechs Millionen Muslim*innen in unserem Land, wir müssen aufpassen, dass sie nicht als kollektives Fremd- oder Feindbild stilisiert werden – das ist etwas, das vor allem Rechtsextreme vorantreiben und worauf vor allem Medienschaffende achten müssen.
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen glauben, dass „mehr personelle Vielfalt“ in Redaktionen ein Mittel gegen Fremddarstellung sein könnte. Wie kann diese Vielfalt gelingen?
Vielfalt muss in der Führungsetage gewollt sein. Daran arbeiten wir als Neue deutsche Medienmacher*innen seit 15 Jahren und wir sehen auch, dass viel passiert. Trotzdem ist der durchschnittliche Redakteur in Deutschland immer noch ein 45-jähriger Mann ohne Einwanderungsgeschichte und mit Hochschulabschluss. Seine Perspektive ist dann auch in der Medienberichterstattung abgebildet. Hier empfehlen wir unterschiedliche Maßnahmen: inklusive Redaktionskultur, dass Beförderungen an Diversitätskriterien geknüpft sind, Diversity Monitoring sowie rassismuskritische Fort- und Weiterbildungen. Auch wegen des wirtschaftlichen Drucks auf Verlage ist Vielfalt wichtig: Wenn sich Menschen nicht in der Berichterstattung wiederfinden, dann werden sie auch nicht dazu tendieren, diese Medien zu konsumieren.
Sie kritisieren auch, dass Journalist*innen Polizeimeldungen häufig nicht genug hinterfragen, dabei seien rassistische Einstellungen in der Polizei keine Einzelfälle. Können Sie das belegen?
Eine Studie der Uni Duisburg-Essen zeigt, dass rassistische Einstellungen unter Polizist*innen keine Einzelfälle sind. Klassische Aufgaben des Qualitätsjournalismus sind recherchieren, hinterfragen und kontextualisieren. Das gilt auch für Pressemitteilungen von Sicherheitsbehörden wie im Falle des Anschlags in Hanau.
Ist der vom Bundesministerium des Innern beauftragte Bericht ein Zeichen dafür, dass Muslimfeindlichkeit in Deutschland ernst genommen wird?
Es ist ein wichtiger Anfang, aber das Thema bekommt noch nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient. Laut diesem Bericht stimmt jeder zweite Deutsche muslimfeindlichen Aussagen zu. Das ist sehr beunruhigend. Ich würde mir wünschen, dass wir gesamtgesellschaftlich in Deutschland das Thema stärker in den Fokus nehmen. Nur so können wir nachhaltig antimuslimischen Rassismus bekämpfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!