Antimuslimischer Rassismus: Zwei Angriffe am Tag
Erster Lagebericht über antimuslimischen Rassismus in Deutschland: Muslim:innen müssen nahezu überall Übergriffe fürchten.
„Die Zahlen sind erdrückend! Umso wichtiger, dass wir uns dem Thema zuwenden“, sagt Cihan Sinanoğlu vom deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Den Bericht verantworten fünf zivilgesellschaftliche Organisationen unter Federführung von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Gefördert hat den Report das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die gezählten Vorfälle betreffen alle Muslim:innen sowie Menschen, denen der Islam zugeschrieben wird.
Ein Viertel der gemeldeten Übergriffe passierte im öffentlichen Raum. Besonders Frauen erfahren hier Beleidigungen und auch körperliche Angriffe, teils auch in Begleitung ihrer Kinder. Ein Mann griff etwa eine Schwangere im Bus an, rammte ihr das Knie in den Bauch, beschimpfte sie und riss ihr das Kopftuch herunter.
Insbesondere Lehrkräfte diskriminieren
Darüber hinaus erleben Muslim:innen in Bildungseinrichtungen von Kita bis Universität Diskriminierung – vor allem durch Lehrkräfte. Insgesamt ein Fünftel aller gemeldeten Vorfälle ereignete sich an Bildungseinrichtungen. 13,5 Prozent entfielen auf die Arbeitswelt. Die dokumentierten verbalen Attacken umfassen insbesondere Volksverhetzung und Beleidigung, aber auch Bedrohungen und Nötigungen.
Betroffene berichteten in der Folge von starken psychischen Belastungen, sagten, sie mieden bestimmte Orte und Aktivitäten oder zögen gar an einen neuen Wohnort.
Auch Drohbriefe an Moscheen mit „exzessiven Gewalt- und Morddrohungen“ dokumentiert der Bericht. Diese seien oft mit Verweisen auf das NS-Regime gespickt und folgten auf vorherige Taten gegen die muslimische Gemeinde. Elisabeth Walser von CLAIM sagt, man dürfe nicht vergessen, dass jede Zahl für eine Person steht. Und: „Jeder Übergriff ist auch ein Angriff auf unsere Gesellschaft, weil sie die Menschenwürde infrage stellt“, sagt Walser.
Das Dunkelfeld ist groß
Das Lagebild zeigt dabei nur einen Ausschnitt. Die Organisationen gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Denn vielen Betroffenen fehle Zugang zu Beratungs- und Meldestrukturen. Dort mangele es zudem oft an Expertise zu antimuslimischem Rassismus. Betroffene misstrauten außerdem Behörden, weil sie fürchten, dort erneut diskriminiert zu werden oder ihre Erfahrungen abgesprochen zu bekommen.
Rima Hanano, CLAIM
Die Organisationen betonen daher: Antimuslimischer Rassismus ist kein Randphänomen. Studien zeigten, dass Ressentiments und auch Gewalt zunähmen. Grassierende Einstellungen bereiteten den Boden für Taten. „Gerahmt und befeuert wird das von den aktuellen Debatten um Migration“, sagt Rima Hanano von CLAIM. Antimuslimischer Rassismus treibe die Menschen in die Arme von Rechten. Der gesellschaftliche Diskurs sei nach rechts gerückt. Das zeigten auch die Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz über vermeintlichen „Sozialtourismus“ und „Paschas“. „Die Brandmauer nach rechts wird schächer“, so Hanano.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums (BMI) schreibt auf Anfrage, die Bundesregierung beobachte Muslimfeindlichkeit mit Sorge und habe in den letzten Jahren die Maßnahmen dagegen verstärkt. Insbesondere auch in Reaktion auf rassistisch motivierte Anschläge wie in Hanau habe das BMI im September 2020 den Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) einberufen.
Der UEM habe den Auftrag, Erscheinungsformen von Muslimfeindlichkeit zu analysieren, einen Bericht vorzulegen sowie Empfehlungen für den Kampf gegen antimuslimischen Hass und Ausgrenzung zu erarbeiten. Der UEM werde am kommenden Donnerstag seinen Bericht an das BMI übergeben.
Die Autor:innen des zivilgesellschaftlichen Lagebilds fordern indes, die Politik müsse das Problem ernster angehen. Man habe alle demokratischen Parteien kontaktiert, geantwortet habe nur eine. Hanano sagt: „Wir wünschen uns von allen demokratischen Parteien eine klare Haltung, nicht bloß Lippenbekenntnisse.“
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