Antikes Erbe aus dem Mittelmeerraum: Der Weg des Pergamonaltars
Wie kam das Monument einst nach Deutschland? Laut offizieller Version völlig legal – tatsächlich war politischer Druck im Spiel.
Der Pergamonaltar im gleichnamigen Museum in Berlin ist eines der bekanntesten antiken Monumente in Deutschland. Glaubt man der offiziellen Version der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu deren Verantwortungsbereich die Berliner Museumsinsel gehört, war der Abtransport der wertvollen Altarplatten, eines der berühmtesten Kunstwerke der griechischen Spätantike, völlig legal und moralisch einwandfrei.
Empfohlener externer Inhalt
Ganz anders äußern sich türkische Historiker, die oft pauschal den Abtransport des Pergamonaltars als größten Kunstraub am Ende des Osmanischen Reichs bezeichnen. Beide Positionen sind so nicht haltbar.
Der Abtransport des größten Teils der einmaligen Altarfriese war zumindest auf dem Papier legal. Während der später in Deutschland gefeierte Ausgräber Carl Humann die ersten sechs bis acht Altarplatten tatsächlich ohne jede Genehmigung illegal auf dem Burgberg von Pergamon ausgegraben und teilweise auf eigene Kosten nach Berlin geschickt hatte, war die große deutsche Pergamon-Grabung ab September 1878 offiziell genehmigt.
Allerdings unter einem bedeutenden Vorbehalt. Nach osmanischem Recht, einer Antikenverordnung aus dem Jahr 1874, die also vier Jahre vor Grabungsbeginn erlassen wurde, galt für ausländische Grabungen eine Drittelregelung. Ein Drittel der Funde sollte dem Ausgräber gehören, ein Drittel dem Landeigentümer und ein Drittel war dem Sultan, also dem Imperialen Museum in Konstantinopel, vorbehalten.
Vorislamisches Erbe
Die in Deutschland, aber auch in Großbritannien und Frankreich, den beiden größten Konkurrenten im Wettlauf um die antike Beute im Osmanischen Reich, sehr populäre Erzählung, das islamische Reich hätte sich für das vorislamischen Erbe sowieso nicht interessiert, ist eindeutig falsch.
Bereits seit den 1850er Jahren, nachdem Briten und Franzosen vor allem im damals osmanisch kontrollierten Mesopotamien die Hinterlassenschaften der Assyrer geplündert hatten, versuchte der Hof per Gesetz seine Antiken zu schützen. Zunächst völlig unzulänglich, doch nachdem Schliemann 1873 sein „Gold des Priamos“ aus Troja illegal nach Griechenland gebracht hatte, begann der osmanische Antikendienst seine Ansprüche verstärkt gegen ausländische Archäologen durchzusetzen.
Deshalb war sich Carl Humann, Ingenieur, Hobbyarchäologe und deutscher Patriot von Beginn an im Klaren, dass ein Erfolg seiner Grabung am Burgberg von Pergamon nur mit großer Unterstützung von allerhöchster Stelle im Deutschen Reich gelingen konnte.
Als er am 9. September 1878 den Spaten zu einer der erfolgreichsten Grabungen für die Berliner Museen ansetzte, hielt er eine kurze Rede, um dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm das große Vorhaben zu widmen: „Im Namen des Protektors der königlichen Museen des glücklichsten, allgeliebten Mannes, des nie besiegten Kriegers, des Erben des schönsten Thrones der Welt, im Namen unseres Kronprinzen: Möge dieses Werk zu Glück und Segen gedeihen.“
Pergamon und Troja
Damit war der Ton gesetzt. Anders als Heinrich Schliemann, der zehn Jahre zuvor als reicher Selfmademan begonnen hatte sich seinen Traum von Troja zu erfüllen, war Carl Humann, der es als Straßenbauingenieur im Osmanischen Reich zwar zu Anerkennung gebracht, als Unternehmer aber Insolvenz hatte anmelden müssen, finanziell und politisch von Berlin völlig abhängig.
Im Ch.Links Verlag erscheint aktuell „Die Schatzjäger des Kaisers – Deutsche Archäologen auf Beutezug im Orient“ von Dilek Zaptçıoğlu-Gottschlich und Jürgen Gottschlich (336 Seiten, 25 Euro)
Auch seine anfänglichen archäologischen Defizite mussten Spezialisten aus Berlin ausgleichen. Umso dankbarer war Humann, dass der damalige Chef der Antikenabteilung der Berliner Museen, Alexander Conze, auf ihn als Ausgräber vor Ort setzte.
Und Humann erfüllte dessen Erwartungen voll und ganz. Schon in der ersten Woche seiner offiziellen Grabungen auf dem Burgberg der Attaliden-Dynastie war er unglaublich erfolgreich. Die Attaliden, die im zweiten und ersten Jahrhundert vor unserer Zeit als einer der Nachfolgestaaten in dem von Alexander dem Großen eroberten Anatolien/Kleinasien eine Zeitlang ein großes Gebiet im Nordwesten der heutigen Türkei kontrollierten, waren die Auftraggeber des Pergamonaltars.
Humann knüpfte an frühere Raubgrabungen an, bei denen er in den zehn Jahren zuvor immer mal wieder illegal einige Friesplatten ausgegraben und nach Berlin geschickt hatte, und fand in einer byzantinischen Mauer mehr als ein Dutzend der wertvollen Altarplatten, die dort mit dem Relief nach innen verbaut worden waren.
Ganze Kunstepoche gefunden
Triumphierend schrieb er an Conze: „Wir haben nicht nur ein Dutzend Reliefs, sondern eine ganze Kunstepoche, die begraben und vergessen war, aufgefunden.“ Doch Humann wusste, dass die Wiederentdeckung des Altarreliefs, das Conze schon bald als Teil eines in der gesamten antiken Welt berühmten Zeusaltars identifiziert hatte, nur der erste Teil der „Operation Pergamonaltar“ war.
An Conze schrieb er: „Nun zur Hauptsache! Wie kommt alles nach Berlin!“ Nach dem Gesetz, mit dem Humann in seinen Briefen immer wieder haderte, standen den Deutschen ein Drittel ihrer Funde zu. Sowohl Humann als auch dem Berliner Museumsdirektor Conze und seinen Geldgebern war aber klar, dass sie alles dafür tun mussten, „sich den Altar in Gänze zuzusichern“.
Wie den Deutschen das letztlich gelang, geht vor allem aus dem Briefwechsel zwischen Carl Humann und seinem Auftraggeber Alexander Conze hervor, der im Nachlass von Humann im Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin nachzulesen ist. Dazu kommen neuere Forschungen türkischer Historiker im Osmanischen Archiv in Istanbul.
Illegal außer Landes
Im Überschwang seines Erfolgs schlug Humann zunächst vor, alle Funde des ersten Monats, „bevor sie überhaupt ruchbar werden“, gleich illegal außer Landes zu bringen. Doch Conze dachte strategischer und machte Humann klar, dass Berlin, einschließlich des Kronprinzen persönlich, bereit sei Geld zur Verfügung zu stellen, um die Sache scheinbar legal zu regeln.
Er spricht von „auskömmlichem Bakschisch“, ein Synonym für Bestechungsgelder für osmanische Amtsträger, um sich zu dem ihnen offiziell zustehenden Drittel auch das zweite Drittel des Landeigentümers, in diesem Fall des osmanischen Staats, zu sichern.
„Sie können schon sicher davon ausgehen, dass die Mittel herbeigeschafft werden, um von dem Altar möglichst viel für das Königliche Museum zu gewinnen, für dessen Antikensammlung durch sie eine neue Epoche beginnt. Wir sind ganz überzeugt, dass sie das Mögliche erreichen werden, aber auch ohne Vorwürfe resigniert, wenn Sie doch einen Theil der Beute fahren lassen müssten“, schrieb Conze am 28. September 1878 an Humann.
Am Ende gelingt es Humann durch Bestechung, den Deutschen auf dem Papier den Landbesitz für die Dauer der Grabung zu sichern und so das zweite Drittel anzueignen. Doch Conze und Humann sind noch nicht zufrieden. Sie wollen auch das dritte Drittel und nutzen dafür die permanente Geldnot des bankrotten Osmanischen Reichs.
Der Weg des Pergamonaltars nach Berlin
Mit einer Schenkung für die Ansiedlung von Flüchtlingen aus dem Balkan, die während des Russisch-Osmanischen Kriegs im Jahr zuvor vertrieben worden waren, sicherte sich das Kaiserreich offiziell auch das dritte Drittel. Erst einmal für das erste Grabungsjahr, durch eine neuerliche Zahlung im Vorfeld der zweiten Grabungskampagne dann aber auch bis 1883. In dieser Zeit wurde der überwiegende Teil des Pergamonaltars nach Berlin geschafft.
Es war aber nicht nur das Geld, dass den Abtransport des antiken Kunstwerks möglich machte, es war vor allem die politische Situation, in der sich das Reich von Sultan Abdülhamit II. befand. Zusätzlich zum wirtschaftlichen Zusammenbruch, der 1875 erfolgt war, kam ein verlorener Krieg gegen Russland 1877.
Durch einen zunächst von den Russen durchgesetzten Diktatfrieden, sollten die Osmanen ihren gesamten Balkanprovinzen an Petersburg abtreten. Das aber wollten die anderen europäischen Großmächte, allen voran Großbritannien und Frankreich, verhindern. Im Juni 1878 richtete deshalb der deutsche Reichskanzler Bismarck als „neutraler“ Gastgeber einen europäischen Kongress aus, bei dem Russland gezwungen wurde, auf einen großen Teil seiner Kriegsbeute zu verzichten. Der Sultan stand deshalb tief in deutscher Schuld.
Das machte sich eben auch bei dem Erwerb der in Europa so begehrten antiken Kunstwerke bemerkbar. In den Jahren zuvor, 1874 und 1875, hatte Deutschland bereits zweimal eine Grabungserlaubnis für Pergamon beantragt, die jedes Mal nur mit der ausdrücklichen Auflage genehmigt werden sollte, dass nur Gipsabdrücke und Fotografien der Funde aus dem Land ausgeführt werden dürfen. Beide Male verzichtete das Deutsche Reich dankend auf die Grabung.
Erst unmittelbar nach Bismarcks Intervention im Juni/Juli 1878, bekamen die Deutschen im August 1878 eine Grabungserlaubnis, die eine Fundteilung vorsah, die dann in der beschriebenen Weise auch noch unterlaufen wurde. Ohne den politischen Druck und die finanzielle Not wäre ein Abtransport der Altarfriese nie genehmigt worden, ist der renommierte türkische Historiker İlber Ortaylı überzeugt.
Doch der Abtransport des Pergamonaltars war erst der Anfang. Die Allianz von Kaiser Wilhelm II. und Sultan Abdülhamit II. gegen die Dominanz von Briten und Franzosen und die Bedrohung durch den Zaren machte es den deutschen Archäologen seit dem ersten Besuch Wilhelms II. in Konstantinopel 1888 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs möglich, die wichtigsten Grabungsplätze an der Ägäisküste, in Zentralanatolien und an Euphrat und Tigris zu besetzen und nach dem Pergamonaltar noch weitere Schmuckstücke der Museumsinsel nach Berlin zu schaffen.
Milet-Tor und Ischtar-Tor
Die Tempelsäulen aus Priene, das Milet-Tor und die glasierten Ziegel für die Rekonstruktion des Ischtar-Tors und der Prozessionstraße von Babylon sind nur die bekanntesten antiken Kunstwerke, die die Deutschen in dieser Zeit mit ebenso unlauteren Mitteln wie in Pergamon außer Landes schafften.
Der Abtransport all dieser antiken Kunstwerke ist ein großer kultureller Verlust für die heutige türkische Republik, insbesondere für den säkularen Teil der Gesellschaft, der das kulturelle Fundament nicht nur im Islam sieht.
Deshalb sollte heute auch über die Konsequenzen aus dem damaligen Beutezug der europäischen Großmächte zur Aneignung des antiken ägyptischen, mesopotamischen, griechischen und römischen Erbes rund ums Mittelmeer gesprochen werden. Nicht nur konfrontativ im Sinne von Restitution – ja oder nein, sondern erst einmal darum, wie man diese Kunstwerke aus dem Griff des „nationalen Besitzes“ befreit und sie für möglichst viele Menschen in den Herkunftsländern und in Europa zugänglich macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“