Antikapitalistische Demo in Münchner Nobelvorort: Rote Fahnen in Grünwald
Dort, wo die Reichen residieren, findet am Vorabend des 1. Mai eine Demo statt. Die Polizei tritt massiv auf, Schaulustige klopfen Sprüche.
Der Ort des Geschehens aber sorgte schon im Vorfeld für viel Grinsen – und auch Befürchtungen. Demonstriert wird nicht irgendwo, sondern im Münchner Nobelvorort Grünwald, zentral auf dem Marktplatz. Und geplant ist auch ein Demozug durch die stillen Straßen der Gemeinde mit den hohen Hecken und Mauern vor den Häusern. Grünwald – der Name ist ein Mythos und ein Klischee. Genau hier, in der Villenkolonie, leben die Reichen meist großzügigst und abgeschottet, die Profiteure und Antreiber des Kapitalismus, wie es die Demonstranten sehen. Siemens- und BMW-Manager sind darunter, auch viele kickende Millionäre des FC Bayern München.
Ein neu gegründete Demo-Bündnis ruft auf: „Meet the Rich – 1. Große Umverteilungsparade“. Und auf dem Marktplatz von Grünwald wehen an diesem Freitagabend rote Fahnen mit Hammer und Sichel. Der Anmelder der Demonstration, der seinen Namen nicht nennen möchte, hält von einem alten Lkw herunter eine Rede mit großen Themen. Dass Corona nicht alle gleich trifft, sondern die Armen viel härter, die in Fabriken dicht an dicht arbeiten und beengt leben müssen. Er schwenkt zum Patentrecht und zur „Marktradikalisierung“. Schließlich wandelt er Georg Büchner ab: „Friede den Hütten und Paläste für alle.“ Kein schlechtes Motto für den Rutsch in den 1. Mai.
Zu „Meet the Rich“ gehören Gruppen wie „antifascist action“, das „Antikapitalistische Klimabündnis“ sowie FeministInnen. Sabah, eine junge Frau, geißelt in ihrem Redebeitrag die „Kleinfamilie im Kapitalismus“ als ein „patriarchales Konzept“. Derweil ist der Versammlungsleiter Elia Linde immer wieder in Kontakt mit der Polizei, um zu klären, ob der „Spaziergang“ durch die Villenstraßen wegen der Corona-Auflagen stattfinden kann oder nicht. Zugleich kritisiert er das „martialische Auftreten“ der Staatsgewalt. Und Lena, die die ganze Zeit über auf dem Lkw steht, ruft immer wieder: „Haltet die Abstände ein, 1,50 Meter.“
Tatsächlich dürften mehr PolizistInnen als DemonstrantInnen da sein, auch vom USK Bayern – dem Unterstützungskommando, das auf den Einsatz bei schweren Ausschreitungen spezialisiert ist. Immer wieder bauen sie sich in Ketten auf, versperren Teile des Platzes. Grünwalds CSU-Bürgermeister Jan Neusiedl hatte im Vorfeld an das Landratsamt appelliert, die Demo zu verbieten – was dieses nicht tat. Die Behörde teilte mit, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit „in besonderem Maße dem gesellschaftlichen Minderheitenschutz“ diene. Bekannt ist, dass die Münchner Antifa nicht zu Steinen oder anderem greift.
„Ja, ich bin ein reicher Schnösel“
Der Demo-Zug setzt sich in Bewegung, die TeilnehmerInnen rufen „Bonzen in die Produktion“, werden aber schon wenige Meter direkt vor dem Hotel-Restaurant „Alter Wirt“ gestoppt. Auf dessen Terrasse und an der benachbarten Grünanlage mit Kriegerdenkmal und Stiefmütterchen-Rabatten versammeln sich nun viele, sehr viele einheimische Grünwalder. Sie wollen sich dieses Spektakel anschauen – im Gegensatz zu den DemonstrantInnen häufig ohne Maske und Abstände. Die AntikapitalistInnen auf dem Grünwalder Marktplatz rufen: „Wir enteignen euch alle.“ Hat man das hier schon mal gesehen?
Die Grünwalder wissen auch, wie Provokation geht. Eine Frau mittleren Alters schreit: „Arbeiten, arbeiten!“ Ein junger Mann sagt laut und lustvoll: „Ja, ich bin ein reicher Schnösel.“ Er lässt den Korken einer Sektflasche knallen. Einer meint: „Ich will 'nen neuen Rolex-Laden.“ Der Zusammenprall von Klassen ist das nicht, aber schon die Ausstellung von Klassen-Habitus. Weiter hinten meint jemand: „Das ist besser als das Fernsehprogramm.“
Um 20 Uhr verbietet die Polizei den Demo-Spaziergang durch die Straßen des Villenviertels schließlich, weil die Corona-Regeln nicht ausreichend eingehalten würden, die Veranstaltung wird aufgelöst. Auf dem Marktplatz von Grünwald sind viele, viele Menschen, die halbe Ortsjugend. In Grünwald wird man noch lange darüber sprechen. Volksfeste sind in Bayern und anderswo verboten, hier aber fand eines statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin