Antijesidischer Rassismus in Schulen: „Timm Thaler“ verunglimpft Jesiden
In dem Roman, der Schullektüre ist, werden Jesiden als Teufelsanbeter beschimpft – und das ist nicht das einzige Problem mit dieser Art von Rassismus.
Der 1962 erschienene Roman von James Krüss ist eigentlich ein modernes Märchen. Die Geschichte ist schnell erzählt: Der aus armen, kleinbürgerlichen und nicht sehr glücklichen Familienverhältnissen stammende Junge gerät an einen geheimnisvollen Baron Lefuet („Teufel“ rückwärts), der ihm sein ansteckendes Lachen abkauft und dafür Reichtum verspricht.
Timm Thaler wird reich und unglücklich und geht schließlich auf eine abenteuerliche Reise, um dem bösen Baron sein Lachen wieder abzujagen. Es geht um Gut und Böse, Freundschaft, Abenteuer und Glück – prima Stoff für fünfte und sechste Klassen, wo er als Schullektüre auch immer noch gern Verwendung findet.
Was dabei vielleicht nicht jedem auffällt (und in der beliebten ZDF-Serie von 1979 auch unter den Tisch fällt): Der böse Baron hat ein Schloss „im Hochland von Mesopotamien, unweit des Berges Djabal Sindjar“, „im Lande der Jesiden“ und „Jesiden sind Teufelsanbeter“.
Mit dieser Diffamierung begründete auch der IS den Genozid
Das ist eine Diffamierung, die seit Jahrhunderten gegen Jesiden eingesetzt wird, sie diente auch dem IS als Rechtfertigung für ihre Vernichtung und Versklavung in eben jenem Hochgebirge. Und genau deshalb kann man das nicht so stehenlassen, sagt die jesidische Sozialwissenschaftlerin Ferda Berse bei der öffentlichen Anhörung des niedersächsischen Petitionsausschusses am Mittwoch.
Sie zeichnet in knappen Strichen die lange Verfolgungsgeschichte der Jesiden nach. Dass man all diesen diffamierenden Fremdbeschreibungen etwas entgegensetzen kann, ist ja überhaupt erst in der Diaspora, mit dem dort einsetzenden Prozess der Verbürgerlichung möglich geworden, sagt Berse.
In den Jahrhunderten der Vertreibung und Verdrängung seien weite Teile der Gemeinschaft auch von der Schulbildung ausgeschlossen gewesen. Niedersachsen ist das Bundesland mit den größten jesidischen Communitys, vor allem in Celle und Oldenburg, aber auch Hannover und dem Bremer Umland.
Das Wissen über das Jesidentum ist aber immer noch lücken- und fehlerhaft – auch unter den Lehrkräften. „Ich weiß nicht, wie oft ich in der Schule oder an der Uni aufgefordert wurde, doch ein Referat zum Thema zu halten“, sagt Berse. Aber nur weil man einer Gemeinschaft angehört, sei man noch lange kein Experte.
Hetze in sozialen Medien und Schulhöfen verstärkt sich
Von der fachpädagogischen Einordnung ganz zu schweigen, findet Gülistan Ibrahim, die für das jesidische Forum Oldenburg spricht. Sie wünscht sich nicht nur einordnende Materialien zur Schullektüre, sondern auch für den „Werte und Normen“-Unterricht – und eine stärkere institutionelle Verankerung, zum Beispiel durch ein entsprechendes Institut oder einen Lehrstuhl an der Universität Oldenburg.
Denn mit dem ehrenamtlichen Engagement – auch wenn das sehr groß ist – komme man nun einmal langsam an die Grenzen. Das bestätigt auch Gian Aldonani von der Ezidischen Jugend Deutschland (EJD). „Wir werden immer gern gerufen, wenn es in der Schule Konflikte gibt und die Lehrer*innen nicht weiter wissen, aber dann ist es ja eigentlich schon zu spät.“
Mit der gestiegenen Sichtbarkeit der jesidischen Community sei auch die Zahl der Anfeindungen extrem gestiegen – forciert vor allem durch soziale Medien wie Tiktok, von wo die Hetze wiederum auf die Schulhöfe schwappt.
Der Vertreter des Kultusministeriums gibt sich in der Anhörung erst einmal zurückhaltend: Man werde gern die Anregung aufnehmen, gemeinsam entsprechende Materialien für das Bildungsportal zu erarbeiten. Denkbar seien sicher auch Fortbildungsangebote.
Aber was die Lektüren angeht, seien Lehrkräfte eben frei in der Auswahl. Man müsse da schon auch darauf vertrauen, dass diese sensibel genug seien, die Inhalte entsprechend pädagogisch aufzuarbeiten. Das Material lieferten ja in der Regel die Verlage.
Verlag reagiert – aber eher unzureichend
Der Verlag Oetinger hat immerhin schon auf die Kritik reagiert, berichtet Tobias Huch. In der neuen Hardcover-Ausgabe ist zumindest der Hinweis auf die Jesiden gestrichen worden, das Taschenbuch wurde vom Markt genommen.
Allerdings sind die Teufelsanbeter stehen geblieben, zusammen mit dem geografischen Verweis auf das Sindschar-Gebirge – das macht es für die Jesiden nicht wirklich besser. Man wolle deshalb noch einmal das Gespräch suchen. Gewünscht wäre ja eigentlich auch gar nicht eine Streichung, sondern viel mehr, dass man die Gelegenheit nutzt, aufzuklären und einzuordnen.
Auch vom niedersächsischen Landtag erhoffen sich die Petenten ein deutliches Signal. Wie das genau aussehen könnte, muss der Petitionsausschuss nun erst noch beraten, wann es zu einer Entscheidung kommt, ist unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“