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Antijesidischer Rassismus in Schulen„Timm Thaler“ verunglimpft Jesiden

In dem Roman, der Schullektüre ist, werden Jesiden als Teufelsanbeter beschimpft – und das ist nicht das einzige Problem mit dieser Art von Rassismus.

In der ZDF-Serie lies man weg, dass der böse Baron sein Schloss im Land der „Teufelsanbeter“ hat Foto: Foto: dpa/ZDF/Tv 60

Hannover taz | Es geht natürlich um mehr als diesen Kinderbuch-Klassiker. Aber „Timm Thaler oder das verkaufte Lachen“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie antijesidischer Rassismus Eingang findet in das deutsche Schulsystem, findet Tobias Huch. Der FDP-Politiker, Aktivist und Youtuber hat mit jesidischen Verbänden eine Petition aufgesetzt und in Niedersachsen und Bremen eingebracht, um daran etwas zu ändern.

Der 1962 erschienene Roman von James Krüss ist eigentlich ein modernes Märchen. Die Geschichte ist schnell erzählt: Der aus armen, kleinbürgerlichen und nicht sehr glücklichen Familienverhältnissen stammende Junge gerät an einen geheimnisvollen Baron Lefuet („Teufel“ rückwärts), der ihm sein ansteckendes Lachen abkauft und dafür Reichtum verspricht.

Timm Thaler wird reich und unglücklich und geht schließlich auf eine abenteuerliche Reise, um dem bösen Baron sein Lachen wieder abzujagen. Es geht um Gut und Böse, Freundschaft, Abenteuer und Glück – prima Stoff für fünfte und sechste Klassen, wo er als Schullektüre auch immer noch gern Verwendung findet.

Was dabei vielleicht nicht jedem auffällt (und in der beliebten ZDF-Serie von 1979 auch unter den Tisch fällt): Der böse Baron hat ein Schloss „im Hochland von Mesopotamien, unweit des Berges Djabal Sindjar“, „im Lande der Jesiden“ und „Jesiden sind Teufelsanbeter“.

Mit dieser Diffamierung begründete auch der IS den Genozid

Das ist eine Diffamierung, die seit Jahrhunderten gegen Jesiden eingesetzt wird, sie diente auch dem IS als Rechtfertigung für ihre Vernichtung und Versklavung in eben jenem Hochgebirge. Und genau deshalb kann man das nicht so stehenlassen, sagt die jesidische Sozialwissenschaftlerin Ferda Berse bei der öffentlichen Anhörung des niedersächsischen Petitionsausschusses am Mittwoch.

Sie zeichnet in knappen Strichen die lange Verfolgungsgeschichte der Jesiden nach. Dass man all diesen diffamierenden Fremdbeschreibungen etwas entgegensetzen kann, ist ja überhaupt erst in der Diaspora, mit dem dort einsetzenden Prozess der Verbürgerlichung möglich geworden, sagt Berse.

In den Jahrhunderten der Vertreibung und Verdrängung seien weite Teile der Gemeinschaft auch von der Schulbildung ausgeschlossen gewesen. Niedersachsen ist das Bundesland mit den größten jesidischen Communitys, vor allem in Celle und Oldenburg, aber auch Hannover und dem Bremer Umland.

Das Wissen über das Jesidentum ist aber immer noch lücken- und fehlerhaft – auch unter den Lehrkräften. „Ich weiß nicht, wie oft ich in der Schule oder an der Uni aufgefordert wurde, doch ein Referat zum Thema zu halten“, sagt Berse. Aber nur weil man einer Gemeinschaft angehört, sei man noch lange kein Experte.

Hetze in sozialen Medien und Schulhöfen verstärkt sich

Von der fachpädagogischen Einordnung ganz zu schweigen, findet Gülistan Ibrahim, die für das jesidische Forum Oldenburg spricht. Sie wünscht sich nicht nur einordnende Materialien zur Schullektüre, sondern auch für den „Werte und Normen“-Unterricht – und eine stärkere institutionelle Verankerung, zum Beispiel durch ein entsprechendes Institut oder einen Lehrstuhl an der Universität Oldenburg.

Denn mit dem ehrenamtlichen Engagement – auch wenn das sehr groß ist – komme man nun einmal langsam an die Grenzen. Das bestätigt auch Gian Aldonani von der Ezidischen Jugend Deutschland (EJD). „Wir werden immer gern gerufen, wenn es in der Schule Konflikte gibt und die Leh­re­r*in­nen nicht weiter wissen, aber dann ist es ja eigentlich schon zu spät.“

Mit der gestiegenen Sichtbarkeit der jesidischen Community sei auch die Zahl der Anfeindungen extrem gestiegen – forciert vor allem durch soziale Medien wie Tiktok, von wo die Hetze wiederum auf die Schulhöfe schwappt.

Der Vertreter des Kultusministeriums gibt sich in der Anhörung erst einmal zurückhaltend: Man werde gern die Anregung aufnehmen, gemeinsam entsprechende Materialien für das Bildungsportal zu erarbeiten. Denkbar seien sicher auch Fortbildungsangebote.

Aber was die Lektüren angeht, seien Lehrkräfte eben frei in der Auswahl. Man müsse da schon auch darauf vertrauen, dass diese sensibel genug seien, die Inhalte entsprechend pädagogisch aufzuarbeiten. Das Material lieferten ja in der Regel die Verlage.

Verlag reagiert – aber eher unzureichend

Der Verlag Oetinger hat immerhin schon auf die Kritik reagiert, berichtet Tobias Huch. In der neuen Hardcover-Ausgabe ist zumindest der Hinweis auf die Jesiden gestrichen worden, das Taschenbuch wurde vom Markt genommen.

Allerdings sind die Teufelsanbeter stehen geblieben, zusammen mit dem geografischen Verweis auf das Sindschar-Gebirge – das macht es für die Jesiden nicht wirklich besser. Man wolle deshalb noch einmal das Gespräch suchen. Gewünscht wäre ja eigentlich auch gar nicht eine Streichung, sondern viel mehr, dass man die Gelegenheit nutzt, aufzuklären und einzuordnen.

Auch vom niedersächsischen Landtag erhoffen sich die Petenten ein deutliches Signal. Wie das genau aussehen könnte, muss der Petitionsausschuss nun erst noch beraten, wann es zu einer Entscheidung kommt, ist unklar.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Vielleicht sollte man das generell als Teil des Unterichts im Bezug auf Literatur mal darstellen, das es sich um Fiktion handelt und es Autoren gibt und gab, die sowas unabsichtlich gemacht haben und es andere gibt und gab, die andere bewusst abwürdigen und verurteilen wollten.



    Ich gehe hier mal davon aus, dass Krüss niemanden absichtlich herabwürdigen wollte, sondern nur einen exotischen Akzent setzen wollte. Vor allem den jüngeren sollte man erläutern, dass man erst seit gut 20 Jahren googlen kann und man davor hätte aufwendige Recherchen betreiben müssen, dass können sich viele kaum vorstellen*.



    Jetzt kann man auch mal fragen wieviel Prozent aller Menschen einschl. Literaten etwas über Jesiden wussten, bevor diese vom IS massakriert wurden und es durch die Medien verbreitet wurde.



    Ich wusste bis dahin nichts über Jesiden.

    Auf der anderen Seite sollten Religionsgemeinschaften auch andere abwertende Meinugen aushalten können. Ich halte die katholische Kirche mit einem Stellvetreter Gottes auch für eine Anmaßung und die evangelikalen in den USA, die Jesus mittlerweile für zu liberal halten und die Bibel umschreiben wollten für komplett abgedreht.

    *) Originalzitat: Meyers großes Taschenlexikon 3.Aufl. 1990, Band 11, J-Klas,

    Jesiden (Jeziden, Jezidis), Angehörige einer unter den Kurden im N und W von Mosul verbreiteten synkretist. Religionsgemeinschaft, auch Teufelsanbeter genannt, weil im Mittelpunkt ihrer Religion der aus den Himmel verstoßene und dann wieder in Gnaden aufgenommene Engel steht.

  • Ich fände es fatal, die entsprechenden Passagen umzudichten.



    Redaktionelle Anmerkungen sind ja durchaus nicht unüblich und ich finde die Einbettung einer entsprechenden Aufklärung mitten im Fließtext (also nicht als Anhang) würde sicher angemessen für das Thema sensibilisieren.

    Die Aussage



    "Sie wünscht sich nicht nur einordnende Materialien zur Schullektüre, sondern auch für den „Werte und Normen“-Unterricht – und eine stärkere institutionelle Verankerung ..." sollte man deutlich vom anderen Sachverhalt trennen. Denn das ist ja eine Forderung zu völlig unabhängig vom Romaninhalt besteht.

  • Wie wäre es denn, wenn man statt an dem Buch herumzudoktern dieses Thema als Teil des Unterrichts verwenden würde. Das würde mehr bringen als die gesamte Weltliteratur nach stellen zu durchforsten an denen irgend eine Volksgruppe beleidigt wurde.

  • Muss es gleich die wieder die Rassismuskeule sein? Genügt es nicht von überkommenen Vorurteilen oder Diffamierungen zu sprechen?

  • Es wäre besser eine Kommentar in das Buch einzufügen als die Passage zu streichen.

    Wie der Vorredner schon herausgestellte hat, Karl May hat dies besser gemacht und uns das Vorurteil als solches erklärt. Da ich Karl may in meiner Jugend gelesen habe hatte ich eben KEINE Vorurteile gegen Kurden und Jesiden sondern sondern wusste das es seit Jahrhunderten unterdrückte Midnerheiten sind.

  • Wann kommt eigentlich endlich mal Goethe ins Kreuzfeuer?

  • »... in meinen Kinderbüchern bin ich vorsichtig mit satirischen Mitteln: Die Säure, die für verhärtete und verknöcherte Stämme ätzend sein muss, kann jungen Schösslingen Schäden zufügen, die auch der mildeste Sommer nicht heilt.«



    »Wer für Kinder schreibt, der schreibt für das offenste,



    weiteste, neugierigste und undoktrinärste Publikum der Welt.«



    »Wer Glück, Witz, Verstand und ein heiteres Herz hat, der kann mit zwei Wörtern viel ausrichten auf der Welt.« Alles Originalton James Krüss von seiner Webseite, die inzwischen von seinen Nachkommen betrieben wird.



    Da hab ich ja wohl doch mal wieder Glück gehabt, dass mich 'Kinderbücher' nie richtig interessiert haben.



    So wie es aussieht, ist das Buch wohl auch mehrmals verfilmt worden, u.a. von Dresen.



    Auch im Wiki-Eintrag kommt vieles Interessante über den Herrn zur Sprache, nicht jedoch seine Haltung zu den Jesiden.



    Die Frage ist nun also, ob es nicht doch besser gewesen wäre, diese Ungeheuerlichkeit sowohl in den Werken, auch in den abgeleiteten, zu beseitigen, da wohl mit einer Debatte darum den Jesiden selbst am wenigsten gedient ist. Wer an den Teufel glaubt, dem ist mit Argumenten eh nicht beizukommen.

  • Ja, das ist *das* Sindjar. Daesh und so.

    Erinnert sich da noch jemand dran?

    FWIW, irgendwelche Baronsschlösser gibts da nicht, und "Hochland von Mesopotamien" ist auch falsch. Keine Ahnung, welchen Bockmist Krüss da gelesen hat.

  • @ Gerald Müller. Daß Karl May heute weniger gelesen wird, nehme ich auch an.

    Aber wenn der Fall des Bremer Abgeordneten Cindi Tuncel (im Artikel verlinkt) repärsentativ ist, dann dürfte das Problem weniger in Bildunglücken bei Lehrerinnen und Lehrern bestehen, sondern in religiös/kulturellen Vorurteilen von Mitgliedern der hiesigen türkischen und kurdischen "Community".

    Lasse mich gerne widerlegen, aber ich vermute, wenn "Biodeutsche" Jesiden anfeinden, dann nicht, weil das "Teufelsanbeter" sind, sondern, weil sie sie pauschal in den "Ausländer- und Muslimetopf" werfen.

  • MIt dieser Bezeichnung wurden die jesiden schon im ottomanischen Reich verunglimpft und deswegen verfolgt.



    Jeder Karl May Leser weiss das allerdings und weiss auch dass die Jesiden keine Teufelsanbeter sind ("Durch die Wüste" und "Durchs wilde Kurdistan") sondern ihren eigene Glauben haben und als Minderheit deswegen von der muslimischen Mehrhet verfolgt werden. Aber ich nehme mal an, die heutigen Lehrer lesen Karl May nicht und sind daher mit ihren eigene Vorurteilen behaftet die aus Büchern wie Timm Thaler kommen..

    • @Gerald Müller:

      ??? - und Karl May Leser sind mit ihren eigenen Vorurteilen behaftet, die aus Büchern wie Winnetou kommen? Ich fand in den späten 1970ern als 10jähriger die Sprache von James Krüss schon deutlich aufregender als Karl May...und das geht mir auch heute noch so :)



      Das mit den "Teufelsanbetern" habe ich bei meinen 8-10 Lektüren von Timm Thaler stets als eigenartiges Sprachbild abgehakt und doch tatsächlich später, als ich von den realen Jesiden hörte und las, nicht geglaubt, es wären Teufelsanbeter *kopfschüttel*