Protokoll einer Gefangenen in Iran: „Die Agenten verbanden mir die Augen“

In Iran geht das Regime weiter gewaltsam gegen jeglichen Protest vor. Eine Iranerin schildert, wie sie tagelang verhört wurde – ein Protokoll.

Eine Person hält bei Protesten ein Tuch hoch.

Protest in Sanandadsch. Hier ging auch unsere Gesprächspartnerin auf die Straße Foto: SalamPIx/Abacapress/ddp images

Der Aufstand gegen das Regime in Iran geht in den dritten Monat. Im ganzen Land kommt es weiterhin zu Demonstrationen gegen das islamische Herrschaftssystem und die Niederschlagung der Proteste. Unsere Gesprächspartnerin wurde im September festgenommen, ist mittlerweile aber wieder auf freiem Fuß. Um sie nicht zu gefährden, nennen wir weder konkrete Daten noch Namen oder Alter.

Ich war bei den meisten Protesten in der Stadt Sanandadsch dabei. Am Tag meiner Verhaftung hatte ich das Haus allerdings nur verlassen, um kurz etwas zu erledigen. Unterwegs machte ich Halt am Azadi-Platz, einem zentralen Platz in der Stadt, wo oft Proteste stattfinden. Sofort kamen Sicherheitsbeamte und fragten nach meinem Handy und meinem Ausweis. Ich hatte beides nicht dabei. Sie sagten, ich sei verdächtig.

Sie durchsuchten mich am ganzen Körper, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass ich eine Frau bin. Sie fassten mich überall an und durchsuchten auch meine Hosentaschen. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass das illegal sei – was sie aber nicht interessierte. Sie warfen meine Brille fort. Sie machten Fotos von mir. Dann verdrehten sie mir den Arm und fesselten meine Hände auf dem Rücken. Sie sagten, ich solle mich nicht bewegen. Einige der umstehenden Leute riefen, sie sollten mich freilassen.

Die ausschließlich männlichen Beamten nahmen die protestierenden Frauen daraufhin fest und zerrten sie zu ihren Autos, die in der Nähe standen. Es war ihnen egal, ob eine Frau Hidschab trägt oder nicht. Auch mich zwangen sie auf den Rücksitz eines Autos, zusammen mit drei Sicherheitsagenten in Zivil.

Die Agenten verbanden mir die Augen mit meinem eigenen Schal. Sie sagten: „Wenn du dich bewegst, werden wir dich totprügeln.“ Ich habe mich nicht widersetzt. Ich ahnte schon, dass wir zur lokalen Geheimdienstzentrale fahren würden: Als wir ankamen, hörte ich die Stimmen der Menschen – Männer und Frauen –, die dort eingesperrt waren. Einige von ihnen schrien, dass sie nichts Unrechtes getan hätten, viele weinten.

Mir wurde vorgehalten, mich an den Protesten beteiligt zu haben. Ich wurde mehrmals verhört. Sie erhoben falsche Anschuldigungen gegen mich, wie Sachbeschädigung oder Beleidigung eines Polizeibeamten. Sie wollten, dass ich bezeuge, mit welchen Gruppen und opposi­tio­nellen Parteien ich zusammengearbeitet habe, doch ich weigerte mich. Bis fünf Uhr morgens wurde ich an diesem Tag befragt. Nach mehreren Verhören wurde ich schließlich in ein Sicherheitsgefängnis gebracht.

Die Zelle war kalt

Der Zustand des Gefängnisses war sehr schlecht. Ich war zunächst gemeinsam mit zwei Frauen in einem Zimmer. Einer von ihnen ging es nicht gut, sie flehte nach Medikamenten. Nach ein paar Stunden wurde ich in eine Einzelzelle verlegt. Sie war klein und hatte keine Fenster, auch das elektrische Licht war schwach und ging ständig aus. Die Verpflegung war aber in Ordnung.

Zwei- bis dreimal am Tag wurde ich jeweils für zwei Stunden zu Verhören geholt. Ich konnte die Vernehmungsbeamten nicht sehen, weil meine Augen verbunden waren. Der erste, der mich vernahm, war erst freundlich, doch seine Stimmung änderte sich mit der Zeit. Er war fest davon überzeugt, dass ich Kontakt mit oppositio­nellen Kräften gehabt hätte. Während der Verhöre wurde ich mehrfach nach dem Slogan (des aktuellen Aufstands, d. Red.) „Frau, Leben, Freiheit“ gefragt.

Ich wurde schließlich mit einigen anderen Gefangenen in das Gefängnis für moralische Sicherheit verlegt. Die Zelle war kalt, und die einzige Belüftung ein einige Meter hoher Schacht, durch den ich ein winziges Stück Himmel sehen konnte.

Wir Gefangenen durften keine persönlichen Gegenstände in die Zellen mitnehmen, nur eine Flasche Wasser und unsere Essensrationen. Die Zellen wurden Tag und Nacht kamera­überwacht. Jede unserer Bewegungen wurde kontrolliert, auch im Schlaf. Nachts kamen sie immer wieder in die Zellen, um uns in eine Schlafhaltung zu zwingen, in der sie uns besser überwachen konnten.

Während der Verhöre stand ich unter enormem Druck. Die Beamten misshandelten mich nicht körperlich, aber in mir kochte die Wut über die gesamte Situation. Ich habe es dennoch geschafft, rational zu handeln und zu antworten. Aber für jüngere Menschen ist das sicher schwieriger.

Die Verhörbeamten teilten mir mit, dass sie meinen Fall so darstellen könnten, dass ich ein paar Jahre im Gefängnis bleiben müsste. Danach war meine Hoffnung gebrochen. Meine Familie hatte sich derweil mit einer großen Menschenmenge vor dem Gefängnis versammelt und forderte meine Freilassung. Ich bestand darauf, sie sprechen zu dürfen. Die Geheimdienstleute erkannten schließlich, dass sie keine Beweise gegen mich hatten, und die Behörden stimmten letztlich zu, mich gegen Kaution zu entlassen.

Vor meiner Entlassung wurde ich noch in die Quarantäne-Abteilung des Frauengefängnisses in Sanandadsch gebracht. Viele kürzlich festgenommene Frauen waren dort. Einige der Gefangenen waren von körperlichen Misshandlungen gezeichnet. Ich sah schwere Blutergüsse. Ungefähr 60 bis 70 Menschen waren dort zusammengepfercht, eigentlich hätten maximal 15 bis 20 Platz gehabt. Es gab kaum Platz zum Schlafen, einige Frauen mussten mit einer Decke auf dem Boden liegen, wegen der Überbelegung.

Sie verlangten mein Passwort

Nach einem Tag in der Quarantäne wurde ich entlassen. Insgesamt verbrachte ich zehn Tage in der Gewalt des Staates. Bevor ich gehen durfte, zeigten sie mir Bilder und Videos und baten mich, ihnen die Namen der Menschen zu nennen, die ich darauf erkannte. Ich schrieb ihnen einige Namen falsch auf. Sie forderten mich auf, auch nach meiner Freilassung mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich musste schriftlich versichern, an keinerlei politischen Aktivitäten mehr teilzuhaben. Sie verlangten außerdem das Passwort zu meinem Mailaccount, um mich auch online kontrollieren zu können. Auch all meine Social-Media-Konten werden seither überwacht.

Einige, die mit mir einsaßen, baten mich, ihre Familien darüber zu informieren, dass sie Gefangene seien. Manche baten mich auch, ihren Eltern zu sagen, dass die ihre Laptops verstecken sollten.

Ich gehe nicht mehr auf die Straße, sondern denke über neue Formen des Protests nach. Momentan bin ich bei den Demonstrationen nur aus der Ferne dabei.

Protokoll: Kaveh Goreishi

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.