Ansteckungsrisiko in Pflegeheimen: 15 Tote und eine Frage

In einem Wolfsburger Pflegeheim sterben 15 Menschen am Corona-Virus. Das Heim ist auf Demenzkranke spezialisiert – was die Eindämmung erschwert.

Menschen in Schutzkleidung stehen auf einem Balkon

Pflegekräfte in Schutzkleidung am Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg Foto: Peter Steffen/dpa

Minden taz | Der lang befürchtete Ausbruch kam schnell und mit Wucht: Binnen einer Woche sind im Wolfsburger Hanns-Lilje-Haus, einem Diakonie-Pflegeheim für Demenz-Erkrankte, 15 Menschen an dem Coronavirus gestorben. 72 der 165 Bewohner sind inzwischen infiziert. Wie schon in Würzburg, wirft der Fall die Frage auf, wie Bewohner in Pflegeheimen gegen das Virus geschützt werden können.

Das Wolfsburger Heim versucht nun verzweifelt, die Infizierten von den Nichtinfizierten zu trennen. Alle positiv Getesteten werden in die dritte Etage verlegt, die durch Schleusen vom Rest des Heimbetriebs getrennt wird. Den Plan, einen Teil der Bewohner zu evakuieren und in ein leer stehendes Hotel zu verlegen, hat der Krisenstab wieder verworfen.

Die Einrichtung ist auf hochbetagte Demenzkranke spezialisiert. „Durch eine Verlegung würde sich ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtern“, sagt Heimleiter Torsten Juch. Der Stress durch die ungewohnte Umgebung schwäche die Bewohner zusätzlich. Stürze und andere Erkrankungen seien unweigerlich die Folge. Er hatte sich intensiv mit seinem Kollegen in Würzburg beraten – im dortigen St.-Nikolaus-Haus hat es einen ähnlichen Ausbruch gegeben, den bundesweit ersten in Deutschland.

Auf einer Pressekonferenz am Samstag machte Juch deutlich, wie dramatisch und belastend die Situation für alle Beteiligten sei. „Unsere Bewohner verstehen nicht, warum sie plötzlich ihre Zimmer nicht mehr verlassen dürfen.“ Schon der Anblick des Pflegepersonals in Schutzkleidung verstöre sie so, dass selbst die alltägliche Versorgung schwierig werde.

Normalerweise dürfen sich die Bewohner frei im Haus bewegen, ein Uhrendummie sendet ein Signal an die Pflegekräfte, wenn sie dabei den geschützten Raum verlassen – viele an Demenz Erkrankte haben einen hohen Bewegungsdrang. Der muss nun unterdrückt werden. Auch für die Angehörigen ist die Situation extrem schwierig: Sie können den Sterbeprozess nicht begleiten, sich von den Toten nicht verabschieden.

Die Angestellten arbeiteten zur Zeit deutlich mehr als in ihren Verträgen stünden, zusätzlich seien 28 freiwillige Helfer im Einsatz, ergänzte ein Sprecher der Diakonie. Zu Testergebnissen beim Personal gab es zunächst keine Angaben.

Gelangte das Virus durch einen neuen Bewohner ins Haus?

Den ersten Toten hatte das Heim am Montag zu beklagen. Kurz zuvor war ein Bewohner im Klinikum positiv getestet worden. Noch während umfassende Tests aller übrigen Bewohner am Donnerstag anliefen, häuften sich die Todesfälle. Allein am Donnerstag und Freitag starben jeweils vier Bewohner, am Sonntag drei. Manche völlig ohne Symptome, hieß es aus dem Krisenstab. Diese Beobachtung hatten die Würzburger Kollegen auch schon berichtet.

Wie das Virus ins Haus kam, ist noch unklar. Das Heim versicherte, man habe frühzeitig umfangreiche Hygienemaßnahmen ergriffen und ein Besuchsverbot verhängt. Heimleiter Juch äußerte den Verdacht, wonach das Virus möglicherweise mit einem Mitte März neu aufgenommenen Bewohner ins Heim gelangt sei.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der hannoversche Landesbischof Ralf Meister äußerten sich bestürzt über die hohe Zahl der Toten. „Wir alle blicken mit Anteilnahme und großer Sorge nach Wolfsburg“, erklärte Weil. Der evangelische Bischof Meister sagte: „Ich bin erschüttert und tieftraurig. Mein Mitgefühl ist bei den Angehörigen der Verstorbenen.“

Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) warnte indes, angesichts der Ereignisse in Wolfsburg „vorschnell Debatten über eine Aufhebung der Kontaktverbote zu führen und falsche Hoffnungen auf ein schnelles Ende der Krise zu wecken“.

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