Anschlag von Hanau: Aufklärung nicht in Sicht
Seit drei Jahren geht es in Hanau mit der Klärung kaum voran. Und: Der rassistische Terror ist nicht vorbei – denn da ist noch der Vater des Täters.
Der Friedhof ist meine Wohnung geworden“, erzählt Emiş Gürbüz. Sie ist die Mutter von Sedat Gürbüz. Ihr Sohn ist eines der neun Opfer des rassistischen Terrors von Hanau vor drei Jahren.
Sedat gehörte die Shishabar Midnight, einer der Tatorte. Über 1.070 Tage hat sie gezählt, seit ihr Sohn nicht mehr bei ihr ist, sagt Emiş Gürbüz bei der Eröffnung der Ausstellung zum Anschlag im Hanauer Rathaus (läuft noch bis 18. März). Auf dem Friedhof spreche sie mit ihrem Sohn, erzähle ihm von den Jahreszeiten. Manchmal streite sie sich mit Sedat, weil er sie alleingelassen habe.
Drei Jahre, über 1.070 Tage später, geht es mit der Klärung offener Fragen nur schleppend voran, wenn überhaupt. Aufgeklärt werden muss die „Kette des Versagens“, wie die Hinterbliebenen offene Fragen im Kontext der Tat nennen. Die Kette ist lang und Polizei und Justiz sind ihre Glieder. Fragen wie die nach dem nicht erreichbaren Notruf und dem verschlossenen Notausgang an einem der Tatorte sind hinlänglich bekannt.
Zuletzt hat der Generalbundesanwalt gemauert, als er unter anderem die Aufnahmen eines Polizeihubschraubers als geheim einstuft. Sie seien im Hanauer Untersuchungsausschuss nicht bewertbar. Doch die Aufnahmen waren zu dem Zeitpunkt bereits für alle öffentlich im Internet zugänglich. Das Bundesverwaltungsgericht gab am Montag bekannt, dass der Generalbundesanwalt die Akten zum Anschlag weitgehend ungeschwärzt an den Untersuchungsausschuss übergeben muss.
Kette des Versagens
Ein weiteres Glied in der Kette des Versagens ist auch der unhaltbare Umstand, dass der Vater des Täters seit drei Monaten trotz gerichtlich erwirktem Näherungsverbot, Serpil Temiz, der Mutter des getöteten Ferhat Unvar, auflauert. Hier muss dringend die Sicherheit der Angehörigen gewährleistet werden.
Ich frage mich, weshalb die Aufklärung den Hinterbliebenen und Überlebenden so schwer gemacht wird. Unlängst haben sie sich mit den Hinterbliebenen von Oury Jalloh zusammengetan. Er ist 2005 im berüchtigten Polizeirevier Dessau-Roßlau verbrannt. Auch sie kämpfen für Gerechtigkeit. Wie im Fall von Hanau ist nicht auszuschließen, dass sich solche Taten wiederholen. Das gesellschaftliche Klima dafür ist vergiftet genug. Es wird gegen Geflüchtete und (vermeintliche) Migrant*innen gehetzt, und Shishabars wie die in Hanau stehen eher im Fokus der Öffentlichkeit als Steuerskandale wie Cum-Ex, die im Gegensatz zu Shishabars der Allgemeinheit wirklich schaden.
Überhaupt müssen Politik und Behörden sich fragen, ob die Opfer und Hinterbliebenen gut versorgt sind. Seit drei Jahren übernehmen sie ihre Arbeit, ohne dafür entlohnt zu werden.
Emiş Gürbüz sagt, dass es bis zur Aufklärung noch ein langer Weg sein wird. Das Mindeste, was wir tun können, ist, uns an ihre Seite zu stellen, damit sie nicht allein ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?