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Anschlag in Magdeburg„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“

Der Magdeburger Linken-Politiker Robert Fietzke war bis kurz vor dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt. Es sei „unfassbar“, dass nun Nazis aufmarschieren.

Menschen trauern vor der Johanniskirche um die Opfer von dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg Foto: Matthias Bein/dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Sie waren bis kurz vor dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Wie geht es Ihnen?

Robert Fietzke: Ich lebe in Magdeburg und war bis etwa 17 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt und dann bis 18.15 Uhr in der Innenstadt unterwegs. Um etwa 19.15 Uhr habe ich auf einer Geburtstagsfeier in Magdeburg von dem Anschlag erfahren. Man ist dann in eine Schockstarre gefallen, die hält bis jetzt an. Es ist absolut unvorstellbar, dass das wirklich passiert ist. Alle hier eint dieses schreckliche Gefühl. Manche, mit denen ich noch Freitag sprach, haben nur ganz knapp überlebt, das Auto ist etwa einen Meter an ihnen vorbeigefahren.

Bild: Linke Sachsen-Anhalt
Im Interview: Robert Fietzke

38, ist aktiv bei der Linken und leitet ein Kulturzentrum in Halberstadt. An der Hochschule Magdeburg-Stendal doziert er zu Entwicklungen im Rechtsextremismus, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Verschwörungsideologien.

taz: Wie haben Sie den Abend erlebt?

Robert Fietzke: Die Innenstadt war gerammelt voll mit Menschen, die Weihnachtseinkäufe gemacht haben und es ist in den Abendstunden noch voller geworden. Auch das Einkaufszentrum „Allee Center“. Da hatte es ja geheißen, dass dort Schüsse gefallen seien, das hatte sich aber als Hoax herausgestellt. Man hat dann überall Sirenen gehört, es war ein absolut skurriles Gefühl, kurz zuvor den Weg gegangen zu sein, den der Täter mit seinem Fahrzeug gefahren ist. Sobald man – zuerst über die Geräuschkulisse – von dem Anschlag mitbekommen hat, ging es los damit, Menschen abzutelefonieren, ob es denen gut geht. Ich hatte vorher dort sehr viele bekannte Gesichter gesehen. Ich habe auch selbst viele Anrufe bekommen. Jetzt bin ich total fertig und kann das alles nicht fassen. Ich bin bestürzt und gleichzeitig froh, dass wir selber Freitagabend früher nach Hause wollten.

taz: Rechtsextreme mobilisieren nach Magdeburg. Womit wird gerechnet?

Robert Fietzke: Es gibt schon eine bundesweite Mobilisierung der extremen Rechten, es wird dazu aufgerufen, heute nach Magdeburg zu kommen. Schon am Vormittag sind die ersten Neonazi-Gruppen in der Stadt gesichtet worden. Und schon Freitagabend gab es Meldungen über willkürliche Übergriffe auf people of color. Das geschieht noch während um das Leben der Verletzten in den Krankenhäusern gerungen wird. Freitag gingen sofort die üblichen Social Media-Dynamiken los, die in diesen aufgeheizten Zeiten üblich sind. Politische Akteure versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Es gab Videos, die herumgingen, die geteilt wurden, auf denen Verletzte und vielleicht Gestorbene zu sehen sind, die von rechtsextremen Accounts geteilt wurden. Das verdrängt so schnell den Raum, den Schock und Trauer brauchen. Es ist unfassbar, dass wir hier heute, einen Tag danach, einen rechtsextremen Aufmarsch haben könnten, während der Weihnachtsmarkt noch als Tatort untersucht wird. Das ist total ätzend. Das ist die Gemengelage und die Gefühlslage, die ganz viele hier teilen.

taz: Welche anderen Reaktionen gibt es in der Stadt auf den Anschlag?

Robert Fietzke: Hunderte Menschen haben Blumen an das Domportal gebracht. Da ist ein Gedenkort entstanden. Später gibt es einen Gedenkgottesdienst, es laufen Mahnwachen. Es gibt ein riesengroßes Bedürfnis, mit der Trauer umzugehen und die eigene Sprach- und Fassungslosigkeit zu überwinden. Gleichzeitig muss man sich damit beschäftigen, was die Nazis tun. Ich bin in Bündnissen wie „Solidarisches Magdeburg“ aktiv. Unsere Leute, die selber Freitag auf dem Weihnachtsmarkt waren oder deren Angehörigen da waren, haben schon angefangen, Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen.

taz: Über den Täter ist nun einiges bekannt. Um einen islamistischen Anschlag, wie zuerst vermutet, handelt es sich offenbar nicht. Ändert das etwas an dem Gefühl in der Stadt?

Robert Fietzke: Die, mit denen ich gesprochen habe, sind politische denkende Menschen. Wir haben natürlich darüber diskutiert, was die Folgeerscheinungen sein können, etwa mit Blick auf die Bundestagswahl und inwiefern Rechtsextreme von diesem Terroranschlag profitieren. Die Information, dass der Täter AfD- und Elon Musk-Anhänger war, hat nichts daran geändert. Aber all diese Gedanken und Erwägungen spielten angesichts des Schocks und der Sorge um die Betroffenen eine untergeordnete Rolle. Es braucht vor allem Zeit für eine Analyse, auch für die Beantwortung von Fragen nach möglichen Sicherheitsmängeln. Wie kann es sein, dass er da überhaupt drauf fahren konnte?

taz: Sachsen-Anhalt gilt seit Jahren als eines der Bundesländer, in denen die Abgrenzung der Union zur AfD am schwächsten ist. Glauben Sie, dass der Anschlag Folgen für das politische Gefüge in Sachsen-Anhalt haben wird?

Robert Fietzke: Die CDU ist hier tatsächlich ein Wackelkandidat, sie ist regional total unterschiedlich aufgestellt. Das hat natürlich mit den Kommunalwahlen zu tun, bei denen die AfD zugelegt hat. Der Ex-CDU-Innenminister Holger Stahlknecht wurde vor der letzten Landtagswahl vom CDU-Ministerpräsidenten Rainer Haseloff abgesägt, weil er der AfD die Hand reichen wollte. Gleichzeitig gibt es etwa im Harz einige CDU-Politiker, die das „Soziale mit dem Nationalen versöhnen“ wollen, wie sie selber schrieben. Und es gibt zunehmend partielle lokale Kooperationen zwischen Union und AfD, etwa in Quedlinburg. Aber das Bild ist sehr unterschiedlich. Ich selber leite das Kulturzentrum Zora in Halberstadt, das seit Monaten Bedrohungen durch Rechtsextreme ausgesetzt ist. In der Stadt beobachte ich ein großes Zusammenrücken, ein großes Problembewusstsein. Den Leuten hat gedämmert, welche Stunde geschlagen hat. Und da sind auch Christdemokraten dabei, die verstehen, dass die AfD sie zuerst zerstören will.

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14 Kommentare

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  • Bitte macht es nicht zum Wahlkampfthema



    Keine 24 Stunden sind vergangen, und schon instrumentalisieren die ersten Parteien diese grauenhafte Taten für ihren Wahlkampf, die AfD ganz voran. Aber auch die ersten Aussagen von Merz "Wir müssend das stoppen" empfinde ich als blanken Populismus, denn ich wüsste gar nicht, wie man so etwas stoppen könnte.



    Auch finde ich die Besuche vieler Politiker vor Ort als reine Ego-Show, was soll das bringen - Wahlstimmen?

    • @Hans Dampf:

      Wenn die Politiker nicht hinfahren, würden dieselben Leute, die ihnen jetzt eine "Ego-Show" unterstellen, von Ignoranz, Kaltherzigkeit oder Feigheit sprechen. Hatten wir alles schon...



      Das furchtbare Ereignis zum Wahlkampfthema zu machen, wäre eigentlich schlimm. Auf der anderen Seite erwarten die Bürger aber zu Recht eine politische Reaktion.



      Wie man es stoppen könnte? Auch in diesem Fall, wie in anderen zuvor, deutet sich schon an, dass der mutmaßliche Täter behördenbekannt war, fortlaufend auffällig wurde, man aber die Zeichen nicht erkannt hat oder erkennen wollte. Manchmal deuten die Ermittlungsbehörden Anzeichen richtig, manchmal läuft alles ins Leere und/oder auf die Katastrophe zu, die von einem bestimmten an Punkt dann (vermutlich) nicht mehr zu verhindern ist.

    • @Hans Dampf:

      Nur weil Sie das Nicht wissen, heißt das nicht, dass Andere das nicht wissen.

    • @Hans Dampf:

      Eklig ist auch Volkes Stimme auf facebook.

      • @aujau:

        Was auf sozialen Medien passiert, hat nix mit Repräsentation von Meinungen.



        Sie sind eine völlige Chaotisierung von Diskurs und Leben allgemein und sollten keine Rolle im realen Leben spielen.

    • @Hans Dampf:

      Nur nur von Rechts sondern auch von links. Nicht mal 24 Stunden danach ist in Magdeburg eine Demo gegen Rechts. Viel zu früh

      • @Cello:

        Meinen Sie nicht, dass das daran liegen könnte, dass - wie im Artikel benannt - von rechtsradikaler Seite aus nach Magdeburg mobilisiert wird?

        • @Kawabunga:

          Das ist doch egal. Nur weil die Rechten den Fehler machen müssen die anderen nicht den selben Fehler machen. Wenn einer von der Brücke springt, springt man doch nicht hinterher. Das war von beiden Lagern respektlos und somit nicht angebracht.

      • @Cello:

        Wieso "viel zu früh"?

        Es ist doch wegen der sozialmedialen Hemmungslosigkeit des Mörders von Magdeburg so umfassend wie kaum je zuvor belegt, wie ein anfangs harmloser und gutmütiger Ex-Moslem durch die Propaganda von AfD, Naomi Seibt, Elon Musk usw einem paranoiden Vernichtungswahn verfiel, und zum Schluss meinte, er müsse "die Deutschen" bestrafen, weil sie das "Schwerverbrechen" begingen, Muslime als Menschen zu behandeln statt sie auszurotten.

        Die Radikalisierung des Täters ist also - angesichts des völlig unterschiedlichen Hintergrunds - erstaunlich deckungsgleich mit der des norwegischen Rechtsterroristen Breivik, der nach jahrelanger unauffälliger Mitgliedschaft in der rechtsliberalen Fremskrittspartiet diese als "zu weich" empfand, und daraufhin in die Wahnwelt der Neofaschisten eintauchte, bis ihm der kaltblütige Massenmord an Jugendlichen im Feriencamp als eine völlig logische und folgerichtige "Bestrafung der Volksverräter" erschien.

        Die Auslassungen des Talib A. auf X und Facebook stellen in ihrem zeitlichen Verlauf eine exzellente Fallstudie dar, wie nahtlos und glatt sich Hassgedanken zu Mordtaten konkretisieren:



        Biedermann + geistige Brandstifter = Mord + Terror.

        • @Ajuga:

          Da weiß du mehr als die breite Öffentlichkeit am gestrigen Samstag. Daher zu früh. Die Gedenkveranstaltung hat noch nicht mal angefangen und da wird von Rechts und Links politisch die Tat für sich genutzt. Kein Respekt für die Opfer. Eine Demo hätte man auch noch heute machen können.

        • @Ajuga:

          Seltsam ist nur, ohne es zu verharmlosen, das wenn man Ihren Ausführungen folgt nicht täglich tausende X -Leser etc. zur Waffe greifen und Menschen ermorden.



          Auch lassen Sie geflissentlich die anderen Mörder aus, die sich in den sozialen Medien, vom Islam instrumentalisieren lassen.

      • @Cello:

        Wenn jetzt u.a. gegen, die schon stattfindende, Instrumentalisierung der AFD und anderer Rechter protestiert wird, stellt das keine Instrumentalisierung der Tat selber dar, sondern eine berechtigte Reaktion auf die Rechten, und ist als Korrektiv dementsprechend auch eher nicht zu früh.

        • @serious?:

          Ich habe mit meinen Kommentar beide Seiten kritisiert. Die Linken waren hier nicht besser weil die auf dem gleichen Zug aufgefahren sind wie der Rechten. Somit völlig falsche Reaktion und damit genauso respektlos den Opfer gegenüber wie die Rechten. Nicht m al die Gedenkveranstaltung wurde abgewartet ein unding

  • Wirklich nicht zu glauben, ein antiislamischer AfD-Anhänger begeht offenbar diesen Anschlag, dann schwenken die Nazis eben auf die Rasse um und gehen dann eben auf People of Colour los. Die Willkür des Hasses, vertreten von einer Partei im Bundestag. Das soll der Weg für die ostdeutschen Bundesländer oder sogar für ganz Deutschland sein?