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Anschlag in MagdeburgDie Waffe regulieren

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Nicht erst seit dem Attentat auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gilt: Fußgänger müssen endlich besser vor Autos geschützt werden.

Automatische Tempobegrenzer sollen das Risiko senken, sagt unser Autor Foto: Silas Stein/imago

D er Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg zeigt einmal mehr: Fußgänger müssen besser geschützt werden vor Autos. Nach dem Attentat in Solingen im August hat der Staat das Mitführen von Messern bei Volksfesten und anderen öffentlichen Veranstaltungen schärfer reguliert. Jetzt sollten wir darüber diskutieren, wie die tödliche Gefahr durch Autos mithilfe von Sicherheitsvorkehrungen vermindert werden kann.

In Magdeburg gab es zwar einige Durchfahrtsperren. Aber an mindestens einer Zufahrt zum Weihnachtsmarkt eben nicht. Der Attentäter suchte sich diese nach Angaben der Polizei gezielt aus. Dass sie nicht versperrt war, war unverantwortlich.

Dennoch verteidigte der für öffentliche Ordnung zuständige Beigeordnete der Stadtverwaltung, Ronni Krug, die Lücke bei den Durchfahrtssperren auch noch. Sie sei nötig gewesen als Rettungsgasse für Krankenwagen und Ausweg für fliehende Menschen, behauptete der CDU-Politiker.

Angeblich nicht vorhersehbar

Beides ist falsch. „Wenn eine Zufahrt ungeschützt bleibt, nutzen alle anderen Betonpoller nichts. Dabei gäbe es auch für Rettungsgassen Lösungen – etwa ein Auto, das die Zufahrt blockiert und im Notfall weggefahren wird. Oder versenkbare Poller“, sagte Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, dem Spiegel.

Christian Schneider, Sachverständiger für Zufahrtsschutz, kritisierte, die Absperrmaßnahmen in Magdeburg hätten nicht den allgemein anerkannten Regeln entsprochen. „Die Regelung sieht so aus, dass alle offenen Stellen, also alle möglichen Angriffsrouten, so geschützt werden müssen, dass eine unautorisierte Einfahrt gar nicht möglich ist“, so Schneider im MDR. Die Zufahrten für Rettungsfahrzeuge könne man mit baulichen Maßnahmen so ausführen, dass eine Kontrolle möglich ist, bevor das Auto durchfährt.

So ist es. Notwendig sind Absperrungen auch an einer Rettungsgasse, dort müssen sie sich aber im Notfall schnell öffnen lassen. Und was die Fluchtwege für die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt angeht: Schmale Betonpoller bringen Autos zum Halten, aber keine Fußgänger.

Strengere Regelung scheiterte – wegen Deutschland

Spätestens seit dem Attentat mit einem Lastwagen beim Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 müssen Behörden und Veranstalter mit ähnlichen Taten rechnen. Um so unbegreiflicher ist es, dass der Magdeburger Beigeordnete Krug sagte, der Anschlag in seiner Stadt sei ein Fall, „mit dem wir nicht rechnen konnten in seiner Dimension und der vielleicht auch nicht zu verhindern war“.

Weihnachtsmärkte und andere sensible Massenaufläufe müssen praktisch lückenlos mit Durchfahrtsperren geschützt werden. Aber das ist nur ein Mittel, um Fußgänger vor potenziell tödlichen Kollisionen mit Autos zu bewahren.

Zusätzlich sollten Autos mit automatischen Tempobegrenzern ausgestattet werden. Diese Intelligent-Speed-Assistance-Systeme (ISA) erkennen die zugelassene Höchstgeschwindigkeit an einem Ort, etwa mithilfe von Satellitennavigation und digitalen Karten. Wenn das Auto zum Beispiel in eine Fußgängerzone fährt, könnte es der Tempobegrenzer bremsen.

Natürlich bieten alle Maßnahmen keine hundertprozentigen Garantien. Aber jeder Schritt senkt das Risiko. Was ist die Alternative? Nichts tun?

Leider schreibt die Europäische Union seit Kurzem nur einen Geschwindigkeitswarner in neu zugelassenen Fahrzeugen vor. Der weist den Fahrer beispielsweise durch einen Alarmton auf ein zu hohes Tempo hin – bremst aber das Auto nicht. Eine strengere Regelung scheiterte auch an Druck aus Deutschland. Da muss die EU nachbessern.

Was ist die Alternative? Nichts tun?

Es wäre wahrscheinlich nicht durchsetzbar, dass alle bereits gebauten Autos mit einem Tempobegrenzer nachgerüstet werden. Aber für neue Fahrzeuge sollten sie so schnell wie möglich vorgeschrieben werden. Nach und nach wird das die Sicherheit auf den Fußwegen erhöhen.

Natürlich bieten alle Maßnahmen keine hundertprozentigen Garantien. Aber jeder Schritt senkt das Risiko. Was ist die Alternative? Nichts tun?

Vielleicht wenden einige ein, bei den wenigen Attentaten lohne sich der Aufwand nicht. Das ist zynisch angesichts der Todesopfer. Zudem: Durchfahrtssperren und Geschwindigkeitsbegrenzer würden auch viele Unfälle verhindern. Ungefähr 2.800 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland bei Verkehrsunfällen, viele, weil Autos zu schnell fahren und/oder die Fahrer die Kontrolle über ihren Wagen verlieren. Ist das nicht genug Grund, um endlich zu handeln?

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik und die Lebensmittelindustrie. Journalistenpreis "Faire Milch" 2024 des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. 2018, 2017 und 2014 gewann er den Preis "Grüne Reportage" des Verbands Deutscher Agrarjournalisten. 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis (Essay "Mein Krieg mit der Waffe"), 2013 für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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5 Kommentare

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  • Alles ist besser als eine staatliche Uberwachungs- und Fernsteuerungseinrichtung fuer Fahrzeuge. Sogar Nichtstun.



    So viele Terroristen hat die Welt nicht wie dann fuer Hacker anfaellige fernsteuerbare Waffen durch die Gegend fahren.

  • Das hysterische Wutgeschrei kann ich fast jetzt schon hören.

  • Fangen wir doch einen einfachen Schritt an: kommerzielle Leihwagen im ad-hoc-Verleih müssen mit einer Law-Enforcement-Schnittstelle für polizeiliche Fernabschaltung ausgestattet sein. Dann noch Transponder um jeden Weihnachtsmarkt herum als Geofence.

    Fernabschaltungs-Lösung gibt es bereits, z.B. hier:



    teltonika-gps.com/...abling-system-seco

    • @Macsico:

      "kommerzielle Leihwagen im ad-hoc-Verleih müssen mit einer Law-Enforcement-Schnittstelle für polizeiliche Fernabschaltung ausgestattet sein."



      Wieso so kompliziert?



      Der Anschlag dauerte nur 3 Minuten, das die Polizei innerhalb dieses Zeitfensters reagiert und das Fahrzeug abschaltet ist unrealistisch - viel realistischer, allein weil es solche Systeme schon gibt, bei Aufprall wird das Fahrzeug automatisch gestoppt oder, noch besser und auch technisch bereits verfügbar, eine Kamera scannt permanent das Umfeld des Fahrzeugs - sind Menschen 'im Weg' wird automatisch gebremst.

  • Versenkbare Poller wäre die optimale Lösung, wenn man bei einer Fernsteuerung auch an die Sicherheit denkt. Sie schaffen nicht nur bei Großveranstaltungen für Sicherheit sondern können auch beitragen Fahrverbote in Fußgängerzonen besser so durchzusetzen dass allein Berechtigte Zufahrt erhalten. Die Salzburger Altstadt hat sich das nur mithilfe von versenkbaren Pollern erarbeiten können und auch wenn es anfangs auf Widerstand traf würde es heute keine Mehrheit mehr geben die Poller dauerhaft zu versenken.



    Wer sich ansehen will was Poller alles abhalten können und wie kräftig die versenkbaren sind: bsky.app/profile/w...dassoc.bsky.social