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Anschlag auf italienischen JournalistenLange Liste der Verdächtigen

Sigfrido Ranucci ist mit seinem TV-Magazin „Report“ ein Star des investigativen Journalismus in Italien. Nun wurde sein Auto in die Luft gesprengt.

Autoteile nach dem Sprengstoffanschlag vor dem Haus des Journalisten Sigfrido Ranucci nahe Rom Foto: dpa

Sigfrido Ranucci war erst seit einer halben Stunde zu Hause in Campo Ascolano, einem kleinen Ort direkt am Meer vor den Toren Roms, am Donnerstagabend um 22 Uhr, als eine Explosion direkt vor der Tür seines Hauses sein Auto komplett zerstörte und den Wagen seiner Tochter schwer beschädigte, das Gartentor ebenso wie Blumenkübel in Mitleidenschaft zog.

„Diese Explosion hätte jemanden umbringen können“, erklärte der prominente Investigativjournalist und verwies darauf, dass seine Tochter nur wenige Minuten vor dem Anschlag an dem Wagen vorbei ins Haus gegangen sei.

Der 64-jährige Ranucci selbst weiß genau, dass er viele Feinde hat. Er ist seit acht Jahren Chef und Moderator der TV-Sendung „Report“, die regelmäßig heiße Eisen anfasst, die sich mit Mafia und Politik, mit Großkonzernen wie der Erdölfirma ENI befasst – und die deshalb immer wieder angefeindet wird, aus der Politik genauso wie aus der Wirtschaft.

Lang ist die Liste der Po­li­ti­ke­r*in­nen vor allem aus den Rechtsparteien, die in den letzten Jahren immer wieder Anzeigen gegen den Journalisten gestellt haben, vornehmlich wegen Verleumdung, zuletzt im letzten August, als Giovanbattista Fazzolari – Staatssekretär im Amt der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – Anzeige stellte, weil „Report“ die Rolle der Regierung in den Übernahmeschlachten zwischen diversen italienischen Banken beleuchtet hatte.

Druck aus der Politik

Ranucci selbst zählte insgesamt 176 Klagen, „aber ich habe ein sauberes Vorstrafenregister“. In der Tat kam es bisher zu keiner einzigen Verurteilung.

Ungebrochen blieb in den letzten Jahren jedoch der Druck aus der Politik auf „Report“ und seinen Chef. So wurde Ranucci im Jahr 2022 vor den parlamentarischen Kontrollausschuss der staatlichen RAI geladen und dort mit dem absurden Vorwurf konfrontiert, er habe in seiner Redaktion tausende Dossiers über ihm unliebsame Personen angelegt.

Und so ging die Spitze der von den Rechtsparteien kontrollierten RAI mit kleinen und größeren Schikanen gegen Ranucci vor, leitete zum Beispiel vor einigen Monaten ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein, weil er „unautorisiert“ anderen Medien Interviews gegeben habe.

Und so kürzte die RAI die neue, am 26. Oktober beginnende Report-Staffel von 28 auf 24 Folgen, obwohl die Sendung einer der zuverlässigsten Quotenbringer des Staatssenders ist. Erst vor wenigen Tagen hatte Ranucci die Themenschwerpunkte der kommenden Sendungen bekanntgegeben, von den staatlichen (und oft undurchsichtigen) Finanzierungen im Kulturbetrieb über Windkraftanlagen (in die auch die Mafia gerne investiert) zu Italiens Banken und den Missständen im Gesundheitswesen.

Die Berlusconis wieder

Anfeindungen erlebt der Journalist aber auch von außen. Als „Report“ sich im letzten Januar mit der Rolle des engen Berlusconi-Mitarbeiters Marcello Dell’Utri bei einer Mafia-Anschlagsserie des Jahres 1993 befasste, forderte Silvio Berlusconis Tochter Marina die RAI unverblümt auf, die Sendung abzusetzen.

Noch gröber wurde die Tageszeitung Il Foglio, früher einmal in Berlusconi-Besitz. Ranucci habe „Tonnen von Scheiße in den Ventilator geworfen“, schrieb das Blatt, erinnerte dann daran, dass Ranucci ja im Jahr 2005 auch aus dem Tsunami-Gebiet in Ostasien berichtet hatte – und brachte sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass der Journalist nicht selbst zu den Tausenden Opfern gehörte.

Ranucci steht schon seit 2014 unter Polizeischutz, weil es Mafia-Drohungen gegen ihn gab, und im Sommer 2024 fand er zwei Patronenhülsen vom Kaliber P38 vor der Haustür, wie er jetzt nach dem Bombenanschlag bekanntgab.

Er selbst sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der systematischen Delegitimierung, der er ausgesetzt sei, und dem jetzt erfolgten Anschlag. Nach dem Attentat aber stellen sich alle auf seine Seite, die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni („volle Solidarität“) genauso wie die Senderspitze der RAI.

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