Anschlag auf den Weihnachtsmarkt: Rechtsextrem oder frustriert?
In Magdeburg beginnt der Prozess gegen Taleb A., der in einen Weihnachtsmarkt fuhr und sechs Menschen tötete. Über das Motiv herrscht Uneinigkeit.
In Magdeburg laufen die Vorbereitungen für den Weihnachtsmarkt. Trotz allem, was vergangenes Jahr passiert ist: Am 20. Dezember tötete dort ein 50-jähriger Mann mit einem gemieteten SUV sechs Menschen und verletzte mehr als 300 weitere Besucher:innen des Weihnachtsmarkts.
Am Montag beginnt der Gerichtsprozess gegen den Täter. Anderthalb Kilometer vom Alten Markt entfernt hat das Justizministerium dafür eigens eine Leichtbauhalle angemietet, um „die Voraussetzungen für die Durchführung eines außergewöhnlichen Strafverfahrens“ zu schaffen. Kosten bis Ende August: knapp 1,7 Millionen Euro. Dafür bietet das Gebäude rund 200 Zuschauer:innen und Medienvertreter:innen sowie den Prozessbeteiligten Platz. Rund 170 Nebenkläger:innen wollen bei der Verhandlung dabei sein. Sie werden laut dem Landgericht Magdeburg von etwa 40 Anwält:innen vertreten.
Hauptanklägerin ist die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Sie wirft dem Täter unter anderem sechsfachen Mord und versuchten Mord in 338 Fällen vor. Niedrige Beweggründe hätten ihn zu diesem heimtückischen Anschlag bewegt, davon spricht die Anklage laut afp. Derzeit führe die Generalstaatsanwaltschaft 410 Zeug:innen und fünf Sachverständige auf. Aktuell hat das Gericht bis zum 12. März insgesamt 46 Termine angesetzt, in denen es um die Schuld des Täters geht.
Der Täter drohte online vor der „Islamisierung Europas“
Der Landtag in Sachsen-Anhalt beschäftigt sich seit Februar in einem Untersuchungsausschuss mit der Frage: Hätte der Anschlag verhindert werden können? Dabei geht es zum einen um das lückenhafte Sicherheitskonzept. Zum anderen beschäftigt sich der Ausschuss damit, ob der Täter noch vor dem Anschlag hätte dingfest gemacht werden müssen. Mit einem Abschlussbericht des Ausschusses ist im kommenden Frühjahr zu rechnen.
Klar ist schon jetzt: Nachdem der Täter 2006 aus Saudi-Arabien nach Deutschland gekommen war, fiel er mehreren Sicherheitsbehörden auf. Dabei ging es auch um Posts, die er auf Social-Media-Plattformen veröffentlichte.
Für ein Gutachten hat der Islam- und Sozialwissenschaftler Hans Goldenbaum den Inhalt von mehr als 10.000 Posts des Täters analysiert. Goldenbaum legt dar: Der Täter habe sich von einem religionskritischen Intellektuellen zum militanten Gegner des Islams entwickelt. Die zentralen Themen in den öffentlichen Posts sei eine drohende „Islamisierung Europas“ und „Verschwörungserzählungen über vermeintliche staatliche Unterdrückung von Islamkritikern“. Er teilte demnach Inhalte von Akteuren der extremen Rechten.
Parallel zur Tat veröffentlichte der Täter Videos im Internet, auf denen er den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt rechtfertigte. Deutschland sei eine „verbrecherische Nation“, die Ex-Muslime verfolge. Der Anschlag sei für den Täter deshalb eine „Rache“ an den Deutschen, die dafür Verantwortung trügen. Goldenbaum kommt zu dem Schluss, es handle sich beim Anschlag um eine politisch motivierte, „terroristische Einzeltätertat“.
Bundesanwaltschaft sieht keinen Angriff auf freiheitlich-demokratische Grundordnung
Die Bundesanwaltschaft sieht das anders. Es gebe keinen Staatsschutzbezug, hieß es Anfang Oktober von einem Sprecher. Der Täter habe nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung angegriffen, sondern sei von persönlichem Frust motiviert gewesen. Darum bleibt das Verfahren auf Landesebene bei der Generalanwaltschaft in Naumburg und wird nicht von der Bundesanwaltschaft übernommen.
Der Weihnachtsmarkt in Magdeburg öffnet dieses Jahr am 20. November und die Stadt hat ein neues Konzept. Die Buden sind anders angeordnet. Eine schnurgerade Gasse auf dem Marktplatz, auf der der Täter im vergangenen Jahr beschleunigte, soll es nicht geben. Und die Zufahrt? Nach eigenen Angaben gibt Magdeburg einen sechsstelligen Betrag für Schutzbarrieren aus. Trotzdem entsprächen die Zufahrtssperren nicht dem von Expert:innen geforderten Schutz, berichtet der MDR.
Beim Rathaus bleibt zudem eine komplette Straße frei. Dort erinnern Gedenkplatten im Boden an die fünf Todesopfer. Am 20. Dezember, genau ein Jahr nach der Tat, steht der Weihnachtsmarkt still.
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