Anschläge von „Incels“: Terroristen oder Würstchen?
Sollte man Anschläge von „Incels“ als „Terror“ bezeichnen? Eine Gratwanderung. Denn die Bedrohung muss man ernst nehmen – ohne die Täter zu überhöhen.

E s gehört auch zu unseren fortschrittlichen Zeiten dazu, dass man sich eigentlich immer und überall vor Männern fürchten muss, die plötzlich morden. Weil sie wütend sind. Und weil andere Männer sie im Netz darin bestätigt haben, dass da irgendjemand anderes schuld ist. Meist Frauen. Aber auch PoC, Juden, LGBT. Ist das schon Terror? Fühlt sich jedenfalls so an. Aber nicht jedes Gefühl ist auch ein guter Begriff.
Ein 22-Jähriger hat vergangene Woche im südenglischen Plymouth in einem Wohnviertel um sich geschossen und fünf Menschen getötet, darunter seine Mutter und eine Dreijährige. Zwei weitere Menschen wurden schwer verletzt. Dass der Täter trotz psychischer Probleme mit Gewaltneigung einen Waffenschein hatte, fällt wohl unter Behördenversagen.
Der Täter hatte frauenfeindliche Seiten im Netz besucht und ist den „Incels“ zuzuordnen. Ein Verschwörungskult gegen alles, was nicht ein hetero Mann mit breitem Unterkiefer ist. Inceltum hat schon häufiger zu tödlichen Gewalttaten geführt und wird deswegen in Kanada inzwischen als „Terror“ verfolgt.
In Plymouth schloss die Polizei ein „terroristisches Motiv“ zunächst aus, nun aber wird im Königreich durchaus diskutiert, ob man dem kanadischen Beispiel folgen sollte. Kriminolog*innen hoffen, dass dann mehr in den Netzwerken des jeweiligen Täters ermittelt würde, warnen aber auch davor, alle erbärmlichen Würste im Netz zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erklären.
Analytischer Begriff und Hülse zugleich
Gleichzeitig mag das Ringen um Begrifflichkeiten nach einer solchen Tat kleinlich wirken. Journalist*innen müssen aufgeladene Wörter wie „Amok, Anschlag, Terror“ sehr präzise abwägen. Für die Betroffenen und die schockierte Bevölkerung sind sie nach einem solchen Ereignis nicht das Wichtigste. Letztlich muss über die Definition aber gesprochen werden. Mit etwas Abstand zum Ereignis sei es gestattet. Was ist Terror?
In unserer Epoche post 9/11 ist „Terror“ zweierlei: erstens der Versuch einer analytischen Definition vom gewaltsamem Handeln. Von einem, das auf Angst in großen Teilen der Bevölkerung ausgerichtet und ideologisch motiviert ist. Und zweitens ist „Terror“ eine politische Worthülse, die von allen ständig verwendet wird. Von autoritären Regimen, die damit Zensur und Repression begründen, über demokratische Regierungen, die so Überwachung legitimieren, bis hin zu Kretschmännern, die vom „Tugendterror“ faseln.
Was hat man also davon, Incels „Terroristen“ zu nennen? Vor allem vor dem Hintergrund, dass Taten wie die in Plymouth auch immer ein Schrei nach Bedeutsamkeit sind. Macht mich ruhig zum Monster, Hauptsache, ihr macht mich größer, als ich bin.
Beim Begriff „Terror“ scheint es bloß darum zu gehen, dass alle, Behörden, Medien, Politik, anfangen, etwas endlich ernst zu nehmen, was bis vor Kurzem noch als ganz normal galt: dass Männer zu Gewalt neigen.
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