Anschläge in Magdeburg und New Orleans: Zeiten der gewalttätigen Selbstermächtigung
Die Anschläge in Ostdeutschland und den USA passen in die Zeit: Es gibt offenbar zunehmend Menschen, die sich getrieben sehen, ein Fanal zu setzen.
N ew Orleans und Magdeburg. Zwei Anschläge innerhalb weniger Tage, geografisch Tausende Kilometer voneinander entfernt. Die Tatwaffen sind Autos, die mutmaßlichen Täter sind Männer, die Motive undurchsichtig. Mutmaßlicher Islamhasser der aus Magdeburg, mutmaßlicher Islamist der aus New Orleans, persönlich auffälliges Verhalten zeigten sie beide, verwertbare Hinweise auf ihre bevorstehenden Gewalttaten aber nicht.
Bei beiden ist keine wirkliche Zugehörigkeit zu organisiert militanten Gruppierungen bekannt. Beim Täter aus New Orleans heißt es, er sei von der Terrorgruppe Islamischer Staat inspiriert worden – aber in den Videos, die er noch auf der Fahrt von Texas nach New Orleans ins Netz stellte, spricht er davon, er habe eigentlich seine Familie umbringen wollen, sich dann aber für den Islamischen Staat entschieden. Und der mutmaßliche Täter aus Magdeburg fürchtet sich vor einer Islamisierung Deutschlands und Europas und rast dann durch einen Weihnachtsmarkt.
Das ergibt alles keinen Sinn – passt aber in unsere Zeit. Denn es ist zu befürchten, dass es immer mehr Menschen geben wird, die sich getrieben sehen, ein Fanal zu setzen. Die Gründe dafür können vielfältig sein, genau wie jene Meinungsblasen, von denen sich die Täter Zustimmung erwarten, ja, die sie womöglich mobilisieren wollen.
Denn das Gefühl, dass die Welt auf den Abgrund zusteuert, hat sich verallgemeinert – interessanterweise vor allem im Globalen Norden, allgemein „Westen“ genannt. Was der Abgrund ist, definieren unterschiedliche Gruppen anders. Für die einen ist es die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang, vor dem Ende eines Lebensmodells, zu dem sie keine Alternative kennen oder wollen. Manche sehen ihre Religion bedroht, manche sehen sich von Religion bedroht.
Und nicht zu vergessen jene seit der Coronapandemie größer gewordene Gruppe, die einen fremdgesteuerten, übergriffigen Staat herbeifantasiert, der mit Zwangsimpfungen und gesteuerter Massenmigration die „weiße Rasse“ auslöschen wolle. Realer ist – bei wieder anderen – die Angst vor dem menschengemachten Klimawandel und der Unfähigkeit der Politik gegenzusteuern.
So unterschiedlich faktenbasiert diese Bedrohungsempfindungen sind: Wahrgenommen werden sie als essenziell. Deshalb reichen sie manchen als Grund, anderen – wie vermutlich dem Attentäter aus New Orleans – als Vorwand zur Selbstermächtigung zum Scharfrichter. Dem scheinbar unabänderlichen Schicksal setzen sie den ultimativen Regelbruch entgegen und überhöhen sich dabei selbst. Wobei der bislang etwa bei Klimaaktivist*innen nicht blutig ausgefallen ist.
Angesichts dessen, wie vielfältig die Stimmen sind, die sich im Netz dystopisch äußern, ist eines klar: Kein polizeiliches oder geheimdienstliches Maßnahmenpaket kann solche Taten sicher verhindern. Migrations- und Abschiebedebatten, wie sie auch Donald Trump in den USA jetzt wieder angestoßen hat, erst recht nicht.
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