Anschläge auf Flüchtlingsheime: Die Täter von nebenan
Wieder wurden am Wochenende Unterkünfte attackiert. Fast täglich gibt es Angriffe von organisierten Neonazis – und biederen Nachbarn.
Bereits 26 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte zählt das Bundeskriminalamt (BKA) bundesweit seit Jahresbeginn. Das geht aus internen Daten hervor, die der taz exklusiv vorliegen. Unabhängige Initiativen nennen noch mehr Angriffe. Und diese bedrohen inzwischen auch Menschenleben: Immer mehr Anschläge treffen bewohnte Unterkünfte. In Salzhemmendorf flog ein Molotowcocktail in das Zimmer einer Familie aus Simbabwe. In Freiberg explodierte ein selbstgebauter Sprengsatz in einem Heim, sieben Bewohner wurden verletzt.
Das BKA selbst spricht von einer „neuen Quantität und Qualität“ der Taten. Neben den Brandanschlägen zählen die Ermittler noch 59 sonstige Gewaltdelikte gegen Unterkünfte – im gesamten Vorjahr waren es 28. Noch nicht einbezogen ist dabei ein Vorfall aus dem sächsischen Niederau von Freitagnacht: Dort griffen rund 20 Betrunkene vor einer leeren Unterkunft Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks an, blockierten eine Zufahrt mit Autos und versuchten Bauzäune umzureißen.
Auch im benachbarten Heidenau gab es einen Angriff auf vier Flüchtlinge in der Innenstadt, einer wurde mit einer Glasflasche geschlagen. Die Polizei sprach von zwei Leichtverletzten. Die Täter flüchteten.
Das Problem kehrt immer wieder: Vor allem bei den Brandanschlägen entkommen die Täter fast immer. Nur bei 7 der 26 Angriffe fasste die Polizei bisher Tatverdächtige – insgesamt 20 Männer und Frauen.
Organisierte Neonazis
Viele Täter seien strafrechtlich nie auffällig geworden, der Kreis der Verdächtigen sei riesig, klagen die Ermittler. Das BKA beruft sich dabei auf seine Statistik. Zu den sämtlichen asylfeindlichen Straftaten in diesem Jahr ermittelte die Polizei nach taz-Informationen bisher 228 Tatverdächtige. Diese sind hauptsächlich Männer, die Hälfte 18 bis 25 Jahre alt. Nur ein Drittel fiel bisher mit politischen Straftaten auf. 73 Prozent wohnten im gleichen Ort, in dem sie straffällig wurden.
So wie der 39-jährige Finanzbeamte aus Escheburg bei Hamburg, der im Februar eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft anzündete – in seinem Nachbarhaus. DNA-Spuren an Zündhölzern und einem Kanister überführten ihn. Auch er war vorher nie straffällig geworden.
Unter den Gefassten sind aber auch bekannte Neonazis. Im sächsischen Hoyerswerda ermittelte die Polizei drei junge Verdächtige, allesamt polizeibekannt, zwei von ihnen mit rechtsextremen Straftaten. Im Berliner Stadtteil Marzahn wurden zwei Männer und eine Frau gefasst, nachdem sie brennende Holzlatten auf Wohncontainer geworfen hatten. Sie gehören zur rechten Hooligan-Szene, nahmen an Demonstrationen gegen das Heim teil.
Auch im brandenburgischen Zossen wurden zwei Bekannte gefasst. Zivilpolizisten beobachten sie bei der Tat. Die Männer hatten drei Container neben der Wand des noch unbewohnten Heims entzündet – und wurden verhaftet. Zwei Neonazis aus dem Kreis, mehrfach mit Straftaten auffällig. Einer von ihnen half im letzten NPD-Wahlkampf. Zwei Wochen vor dem Anschlag war er an einem Angriff von Neonazis auf Gewerkschafter in Thüringen beteiligt.
Eine rechtsextreme Struktur hinter den Anschlägen sieht der Verfassungsschutz dennoch nicht. Dafür gebe es keine Hinweise. Linken-Innenexpertin Martina Renner vermutet hinter vielen Anschlägen dagegen „organisierte Neonazis“. Die Täter hätten sich die Gebäude genau angesehen, Fluchtwege ausspioniert und notwendige Brandmittel besorgt – und würden genau deshalb selten erwischt.
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