Annette Schavan über Islam in Deutschland: "Wir können den Islam nicht ignorieren"

Bildungsministerin Annette Schavan erklärt vor der Islamkonferenz, warum sie mehr muslimische Religionslehrerinnen an deutschen Schulen will – diese im Unterricht aber kein Kopftuch tragen dürfen.

Hier geht's lang: Modellklasse für Islamunterricht an einer Münchner Grundschule. Bild: dpa

taz: Frau Schavan, gehört der Islam zu Deutschland?

Annette Schavan: Der Islam ist selbstverständlich Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland. Dazu gehören 4,3 Millionen Muslime, tausende Moscheen, islamischer Religionsunterricht in einigen Schulen und bald auch vier Fachbereiche für islamisch-theologische Studien.

Sieht das Ihr Kabinettskollege, der neue CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich, genauso?

Herr Friedrich hat lediglich gesagt, dass sich der Islam nicht aus der Historie belegen lässt. Und er hat in den folgenden Tagen präzisiert, dass der Islam Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist. Wir sind beide sehr interessiert an der Islamkonferenz und dem ersten gemeinsamen Termin mit den muslimischen Verbänden.

Halten Sie den Islam für demokratiefähig?

Unbestritten ist ja wohl, dass die Muslime in Deutschland in einer demokratisch verfassten Gesellschaft leben, was den allermeisten auch viel bedeutet. Wir wollen über eine Weiterentwicklung des Islam reden – so, wie wir sie oft verbinden mit den Prozessen der Aufklärung.

ANNETTE SCHAVAN Annette Schavan, 56, ist seit 2005 Bundesbildungsministerin. Die gläubige Katholikin hat Theologie studiert und war bis zu ihrem Amtsantritt Kultusministerin in Baden-Württemberg.

Am Dienstag lädt der neue Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zum ersten Mal zur Islamkonferenz. Er sorgte bei seinem Amtsantritt für Ärger, als er äußerte, der Islam gehöre für ihn nicht zu Deutschland. Sein Vorvorgänger Wolfgang Schäuble hatte die Islamkonferenz 2006 einberufen, um den Dialog zwischen Staat und Muslimen zu fördern. Dort treffen sich muslimische Verbände und Einzelpersonen mit Vertretern von Bund und Ländern. Themen am Dienstag werden die Einführung des muslimischen Religionsunterrichts an den Schulen und die Gründung "Islamischer Studien" sein, um künftig muslimische Theologen und Imame an deutschen Universitäten auszubilden. Für diese Projekte ist Annette Schavan zuständig.

In diesem Anforderungsprofil, was eine islamische Theologie an deutschen Universitäten in Zukunft leisten soll, schwingt die Unterstellung mit, dass in deutschen Moscheen von vielen Imamen bislang noch kein aufgeklärter Islam gepredigt wird. Sehen Sie das so?

Ich will Ihnen mit einem Beispiel antworten. Ich habe in der theologischen Fakultät in Ankara junge Frauen getroffen, die dort zu Imaminnen ausgebildet werden. Eine junge Frau erzählte mir, ihr Vater sei als Imam in eine Gemeinde nach Deutschland entsandt worden. Sie habe dort erlebt, wie das ist, wenn der Imam eigentlich nicht genug Zeit und Möglichkeiten hat, diese Gesellschaft auch kennenzulernen.

Sie dagegen sei in der deutschen Gesellschaft aufgewachsen, spreche die deutsche Sprache ganz selbstverständlich und glaube, das erleichtere ihr, die Rolle des Brückenbauers zwischen den Kulturen wahrzunehmen. Das finde ich eine sehr attraktive Vorstellung. Und deshalb ist es mein Hauptanliegen, dass in den deutschen Instituten für islamische Studien so etwas wie islamische Gelehrsamkeit im europäischen Kontext entwickelt werden kann.

Wollen Sie, dass gläubige Muslime künftig nicht mehr nach Ankara gehen müssen, um dort islamische Theologie zu studieren? Oder geht es Ihnen auch darum, dass hierzulande andere Glaubensinhalte vermittelt und gelehrt werden?

Ich bin als Politikerin nicht befugt, einer Religion zu sagen, welcher Glaube gelehrt werden soll. Ich kann nur die Möglichkeit schaffen, in der Universität, also in der Wissenschaftsgesellschaft, Raum für die Entwicklung von Theologie zu geben. Die Erfahrung in Deutschland zeigt, dass Theologie einer Religion guttut, dass sie klärend wirkt, aufklärend. Glaube will nicht nur geglaubt werden – er muss auch gedacht werden.

Die meisten Muslime orientieren sich an dem Islam, wie er in ihren Herkunftsländern gelehrt wird. Besteht nicht die Gefahr, dass viele Muslime einen deutschen Islam möglicherweise gar nicht annehmen?

Zu einer solchen Veränderung, wie wir sie jetzt vornehmen, gehört auch ein langer Atem. Ich werde nicht in drei Monaten die Welt verändern.

Will man nicht aufgeklärte Imame ausbilden, um sich so vor Hasspredigern und Selbstmordattentätern "made in Germany" zu schützen?

Das weise ich ausdrücklich zurück. Man kann ja nicht die eine Instrumentalisierung des Islam durch eine andere ersetzen. Es geht vielmehr darum, eine Religion in ihrer großen Tradition ernst zu nehmen.

Neu ist, dass muslimische Verbände bei der Berufung von Professoren bei den islamischen Studien ein Mitspracherecht haben. Das ist doch ein Problem?

Das ist eine ganz sensible Frage. Klar ist: Der Beirat der muslimischen Verbände entscheidet nicht über die Berufungen. Das entscheidet die Universität, und es ist sinnvoll, sie im Beirat zu diskutieren.

Was macht man denn im Konfliktfall? Zum Beispiel, wenn die Hochschule einen zu refomfreudigen muslimischen Theologe berufen will und der Beirat sagt: Nein.

Dann kann ich nur raten, der Wissenschaft zu folgen. Die wissenschaftliche Reputation muss der relevante Faktor sein. Und ein Beirat müsste schon sehr gewichtige Gründe haben, ein eindeutig wissenschaftliches Votum zu übergehen.

Ein potenzieller Arbeitsmarkt für Absolventen dieser Fachstudien ist ja, Lehrer für islamischen Religionsunterricht zu werden. Wenn eine Studentin, die sich jetzt für islamische Studien in Deutschland einschreibt, nun ein Kopftuch trägt …

Wenn sie Lehrerin werden will, muss sie sich entscheiden.

Als Lehrerin muss sie es abnehmen?

Ja.

Aber sie wird Lehrerin in einem bekenntnisorientierten Unterricht sein. Und das Kopftuch ist ein Bekenntnis zum Islam – so wie die Kippa zum Judentum.

Das kann man nicht gleichsetzen. Das Kopftuch ist nicht nur ein religiöses Symbol. Für viele muslimische Frauen ist es überhaupt kein Ausdruck von Bekenntnis.

Als Kultusministerin in Baden-Württemberg haben Sie das Kopftuch als Ausdruck kultureller Abgrenzung gewertet – und es darum für Lehrerinnen verboten.

Genau. Ich würde es heute wieder tun. Denn ich bin nach wie vor der Meinung: Die Lehrerin ist eine Vertreterin des Staates und beeinflusst mit ihrem Äußeren im Zweifelsfall auch die Diskussion in muslimischen Familien. Und ich glaube, es ist gut, im öffentlichen Raum Schule Diskretion zu wahren.

Wir leben in einer Zeit, wo viele gar nicht mehr verstehen, warum es überhaupt noch evangelischen und katholischen Religionsunterricht gibt – und es jetzt auch noch muslimischen geben soll. Ist diese Trennung der Konfessionen überhaupt noch zeitgemäß?

Ich gehöre zu denen, die sagen: Zur Allgemeinbildung, zur Persönlichkeitsentwicklung gehört auch die Chance, im Blick auf seine religiöse Bildung erwachsen werden zu können. Also gleichsam in der eigenen Religion, in der eigenen Glaubenstradition heimisch zu werden.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass dies die Segregation verstärkt – etwa durch Schulen, an denen nur noch islamischer Religionsunterricht angeboten wird, weil es dort gar keine anderen Schüler mehr gibt?

Ich sehe das nicht als Gefahr, sondern als eine Chance, Voraussetzungen für Dialogfähigkeit zu schaffen. Die Segregation ist ja viel größer, wenn die Glaubensvermittlung in den Hinterhöfen passiert, wo überhaupt keine anderen Schüler dabei sind. In der Schule werden in der Regel mehrere Formen von Religionsunterricht angeboten: Hier ist der Ort, an dem diese verschiedenen Religionen und Konfessionen miteinander ins Gespräch kommen.

Würden Sie katholischen oder evangelischen Kindern auch raten, in den muslimischen Religionsunterricht zu gehen?

Nein. Die entscheidende Voraussetzung für den Dialog ist doch, in der eigenen Religion und Tradition heimisch werden zu können.

Welchen Beitrag kann denn der Religionsunterricht, aber auch die Ausbildung von Religionslehrern in Deutschland zur Integration leisten? Soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Bildungsferne und Kriminalität werden dadurch ja noch nicht gelöst.

Religion ist ein wichtiger Faktor für Integration, weil Religion immer auch mit Selbstverständnis und mit Werten zu tun hat. Wir sind in Deutschland sprachlos geworden in Bezug auf Religion, weil wir Angst haben vor dem Islam. Deshalb ist es richtig, muslimischen Religionsunterricht und islamische Studien anzubieten, dafür einen öffentlichen Raum zur Verfügung zu stellen und damit auch gleichsam ein Zeichen des Respekts zu setzen. Wir können den Islam und die religiösen Strömungen nicht ignorieren. Sonst machen sie sich selbstständig.

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