Annalena Baerbock auf ProSieben: Ein kluger Schachzug
Die grüne Kanzlerkandidatin ist bei einem Privatsender aufgetreten. Die versuchen, ihre Wichtigkeit in Sachen Gemeinwohl zu demonstrieren.
![Das Kanzler-Kandidat:in-Interview bei Prosieben: Annalena Baerbock und Moderatoren Thilo Mischke, Katrin Bauerfeind sitzend im Fernsehstudio Das Kanzler-Kandidat:in-Interview bei Prosieben: Annalena Baerbock und Moderatoren Thilo Mischke, Katrin Bauerfeind sitzend im Fernsehstudio](https://taz.de/picture/4814216/14/Baerbock-prosieben--Kandidatin-interview-1.jpeg)
N eues im Farbkasten. Oder aus rot wird grün. Da gibt die erste grüne Kanzlerkandidatin ihr erstes langes TV-Interview am Montag ausgerechnet ProSieben. Und Mediendeutschland fragt entsetzt: „Darf die das?“
Ja, darf sie! War außerdem ein verdammt kluger Schachzug. ARD und ZDF, die solche Wichtigkeitsmomente der Politik automatisch per Rundfunkstaatsvertrag bei sich sehen, waren doch eh mit Laschet vs. Söder komplett ausgelastet. Oder war es Söder vs. Laschet?
Auch wenn die Mitbewohnerin gleich wieder knurrt:„Ich brauch die blöden Wortwitze nicht.“ Keine Angst! Es wird in Zukunft noch oft genug mit Baerbock geplasbergt, geillnert und gemaischbergert. Lanz will bestimmt auch, versprochen!
Baerbock macht also bei ProSieben eine gute Figur. Das altbackene Feuilleton wundert sich hinterher erwartungsgemäß über die lockere Atmosphäre und „skurrile Fragen“. Die ganz kritischen Medienkritiker*innen meckern über die unkritische Moderation von Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke.
Gemeinwohl und private Sender
Die finden Annalena Baerbock nämlich ziemlich okay und haben zum Schluss sogar geklatscht. Nein, nicht weil sie gekauft sind. Sondern weil da sonst keiner war. Es waren auch nicht alle Fragen unkritisch.
Dass Baerbock nicht ständig mit dem Rammbock – „Aber du hast ja gar keine Erfahrung und dann gleich Kanzlerin!“ – niedergemacht wurde, hat etwas Demokratisches. In der Demokratie darf nämlich jede und jeder mitmachen. Natürlich nutzt das auch ProSieben. Selbst wenn die Quote mau war.
Allein für den Anmoderationssatz „Für die Grünen wurde ‚Tschernobyl‘ verschoben – das ist doch schon mal der erste große Erfolg“ hat es sich gelohnt. Die Privatsender versuchen nämlich gerade der Politik ihre eigene Wichtigkeit in Sachen Gemeinwohl einzubimsen.
Gemeinsam mit den öffentlich-rechtlichen Sendern sei man eine „Allianz für Inhalte“ und belege „unsere gemeinsame Verantwortung für Demokratieförderung und gesellschaftspolitische Themen“, schrieb vor Kurzem Annette Kümmel in der FAZ.
Kümmel ist bei ProSiebenSat.1 für nachhaltig wirkende Medienpolitik zum Wohle des Konzerns zuständig und heißt deshalb Chief Sustainability Officer. Die Sender dieses Medienkonzerns bringen zwar nicht mal anständige Nachrichten und begehen weiter diverse TV-Verbrechen wie „GNTM“. Aber dafür gibt es eben auch Joko & Klaas, die mal eben abendfüllend den Pflegenotstand anprangern.
Oder jetzt das Baerbock-Interview. ProSieben muss aber noch deutlich zulegen, bevor wir glauben, dass das wirklich nachhaltig ist. Und nicht nur die Jagd nach Marktanteilen oder am Ende sogar Greenwashing.
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