Annäherung zwischen Fatah und Hamas: Machtvakuum im Gazastreifen
Die neuerliche Gewalt im Nahostkonflikt bestimmt derzeit die Schlagzeilen. Doch auch die palästinensische Aussöhnung verläuft schleppend.
Am Sonntag hat die von der gemäßigten Fatah geführte palästinensische Regierung wieder die Macht im weitgehend abgeriegelten Gazastreifen übernommen. Vorher kontrollierte die radikalislamische Hamas nach einem kurzen Bürgerkrieg seit 2007 den Küstenabschnitt am Mittelmeer, der an Israel und Ägypten grenzt.
Doch darüber, ob die Hamas wirklich die Kontrolle abgegeben hat, herrscht derzeit noch Unklarheit. Zwar kontrolliert die Fatah schon seit Oktober die Grenzübergänge nach Israel. Nach Angaben des in Gaza-Stadt lebenden palästinensischen Journalisten Fady Hanona verwaltet die Hamas jedoch nach wie vor die Hälfte der Ministerien. Insbesondere die Sicherheitskräfte würden noch immer von ihr gestellt, sagt Hanona.
Matthias Schmale, der das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in Gaza leitet, bestätigt das. Allerdings hätten Mitarbeiter der offiziellen palästinensischen Regierung im Gesundheitsministerium ihre Arbeit wieder aufgenommen. „In den meisten Ministerien herrscht meinem Eindruck nach jedoch entweder ein Vakuum, reine Konfusion oder eine Lähmung“, sagt Schmale. Allerdings bestehe die Hoffnung, dass die Übergabe im Laufe dieses Monats vollzogen werde.
Hamas-Mitarbeiter streiken
Für viele der knapp 43.000 Hamas-Beamte könnte das die Kündigung bedeuten, denn die Fatah unterhält in Gaza einen ebenso großen Verwaltungsapparat, der nun die Ministerien besetzen soll. Am Dienstag streikten Zehntausende Hamas-Beamte. Die Mitarbeiter von Ministerien, öffentlichen Einrichtungen und Schulen forderten ihr Novembergehalt von der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah im Westjordanland.
Neben der Weiterbeschäftigung der Hamas-Mitarbeiter ist die Entwaffnung des militärischen Arms der Islamisten ein weiteres Hindernis für die Aussöhnung. Nach Einschätzung mehrerer Beobachter ist es fast ausgeschlossen, dass die Islamisten dem bewaffneten Kampf gegen Israel abschwören. Jüngst rief Hamas-Chef Ismail Hanijeh wegen Trumps Jerusalem-Entscheidung gar zu einer neuen Intifada auf.
Erstaunlicherweise gebe es bisher keinen direkten Einfluss der neuen israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung auf den Versöhnungsprozess, sagt Matthias Schmale. „Beide Seiten scheinen weiter daran zu arbeiten, den Prozess voranzubringen.“ Auch Fady Hanona bestätigt das.
Ob die Versöhnung auch die humanitäre Lage der Menschen in Gaza verbessert, ist allerdings fraglich. Gaza leidet unter Umweltproblemen, Wassermangel und Armut. Von der Beilegung des palästinensischen Bruderzwists hatten die Menschen sich Verbesserungen erhofft, die so schnell nicht eintraten. Die Regierung von Mahmud Abbas in Ramallah hatte im Mai die Gelder für Strom an Israel reduziert, um Druck auf die Hamas auszuüben. Seitdem gibt es im Gazastreifen nur etwa vier Stunden am Tag Strom, weil Israel die Lieferungen entsprechend reduzierte. Trotz Einigung wurden die Stromzahlungen nicht wieder erhöht.
Der Strommangel prägt neben der Blockade durch Israel den Alltag der Menschen in Gaza. Ohne Strom können Klärwerke und die Entsalzungsanlagen für das Meerwasser nicht betrieben werden. Trotz der israelischen Angriffe in Reaktion auf Raketenbeschuss und der politischen Ungewissheit sei alles in Gaza „normal“, sagt Fady Hosana. „Die Menschen hier sind an die Geräusche von Explosionen gewöhnt.“
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