piwik no script img

Anlaufstelle gegen Ausbeutung in BerlinSchuften weit unten

Das Beratungszentrum für Migration und gute Arbeit (Bema) treibt nicht gezahlte Löhne ein. Es kämpft für prekär Beschäftigte – und gegen Zwangsarbeit.

Wind und Wetter sind meistens noch das geringste Problem für Fahrer von Lieferdiensten Foto: Sabine Gudath/imago

Für sein Studium an einer privaten Hochschule in Berlin war N. nach Deutschland gekommen. Er jobbte nebenher als Fahrradkurier. Als er mit seinem Fahrrad einen Arbeitsunfall erlitt, habe der Arbeitgeber den jungen Mann sofort entlassen. Den noch ausstehenden Lohn bekam er nicht mehr ausgezahlt und der Zugang zur Software seiner Arbeitsstelle wurde gelöscht. Das erzählt am Donnerstag Monika Fijarczyk vom Beratungszentrum für Migration und gute Arbeit Bema vor Journalisten.

Aus welchem Land N. nach Deutschland kam, das möchte Fijarczyk nicht sagen, um ihn zu schützen. Durch Vermittlung seiner Botschaft fand N. aber zur Bema, wo sie ihn unterstützen konnten. Die Beraterin meldete den Arbeitsunfall bei der Berufsgenossenschaft und schrieb den Arbeitgeber an, wegen des ausstehenden Lohnes und der nicht eingehaltenen Kündigungsfrist. „Es kam erst keine Antwort“, sagt Fijarczyk. „Weil eine außergerichtliche Einigung mit dem Arbeitgeber nicht zustande kam, mussten wir vor Gericht klagen“, sagt sie. „Die Klage war erfolgreich.“

Seit 15 Jahren gibt es nun in Berlin die Beratungsstelle. Geschaffen wurde sie mit Unterstützung des Berliner Senats und des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Der Hintergrund war, dass 2010 eine neue prekäre Beschäftigungsgruppe auf den Berliner Arbeitsmarkt strömte, die ihre Rechte nicht kannte: Selbstständige und Scheinselbstständige aus EU-Staaten. Auch Opfer von Arbeitsausbeutung, Menschenhandel und Zwangsarbeit finden hier Hilfe. Das betraf allein im vergangenen Jahr 15 Fälle, berichten die Be­ra­te­r*in­nen zum Jubiläum.

Fast 40.000 Beratungen haben sie demnach seit Beginn durchgeführt. 200.000 Euro an nicht gezahlten Löhnen konnte die Beratungsstelle, die in 13 Sprachen mit Klienten arbeitet, allein im vergangenen Jahr erstreiten. Neben der Beratung gibt es Begleitung bei Behördengängen oder Schulungen zum Arbeitsrecht an Volkshochschulen.

Verletzliche Beschäftigungsgruppen

Und die Bema informiert andere Stellen, etwa den DGB. Landesvorsitzende Katja Karger hat durch die Beratungsangebote erfahren, wie prekär die Lage bei Lieferdiensten ist. „Migrantische Beschäftigte gehören zu den verletzlichsten Beschäftigtengruppen. Oft kennen sie ihre Rechte nicht, stehen vor Sprachbarrieren“, sagt sie. Betriebsrat und Tarifvertrag würden oft allein deshalb scheitern, weil hier eine andere Betriebsform vorliege als im Gesetz definiert, „mit Sub-, Subsub- und Subsubsubunternehmen“, so Karger. Der DGB streitet deshalb nun auf politischer Ebene um eine Gesetzesänderung.

Dass sich die Gewerkschaften für migrantische prekäre Beschäftigte einsetzen, ist nicht selbstverständlich. Denn diese Leute sind keine Gewerkschaftsmitglieder. „Wir stehen aber seit eh und je dazu, Belegschaften nicht gegeneinander auszuspielen“, sagt Karger. „Migranten machen in den Betrieben die Drecksarbeit, und wenn sie prekär beschäftigt sind, setzt das in den Betrieben auch alle anderen Beschäftigten unter Druck.“ Zudem könne die Bema ein realistisches Bild von Gewerkschaften in Deutschland vermitteln. „In manchen Herkunftsländern gibt es ja staatliche Gewerkschaften, so dass viele Migranten kein gutes Bild davon mitbringen“, erläutert sie.

Ausbeutung und prekäre Beschäftigung gibt es nicht nur bei Lieferdiensten. Häufig betroffene Branchen sind das Baugewerbe, die Gebäudereinigung, Gastronomie und Pflege. Rumänischen Bauarbeitern, die bei einem Personaldienstleister beschäftigt waren, wurde etwa zwei Monate lang kein Lohn bezahlt, erzählt Fijarczyk. Die meisten seien dann enttäuscht wieder nach Rumänien zurückgekehrt. 14 Männer hätten sich an die Bema gewandt.

„Wir haben sie unterstützt, ihre geleisteten Arbeitszeiten zu dokumentieren, und haben recherchiert, wer der Generalauftraggeber ist, den wir haftbar machen konnten.“ So wurden schließlich die ausstehenden Löhne nachgezahlt. „Bei der Recherche zeigte sich, dass der Arbeitgeber für die Rumänen rechtswidrig nur eine Sozialversicherung abgeschlossen hatte, die eigentlich für Saisonarbeiter vorgesehen war.“ Dafür mussten für die 14 Männer 26.500 Euro nachgezahlt werden.

Hohe Erfolgsquote

80 Prozent aller von ihr betreuten Fälle konnte die Bema erfolgreich abschließen. Diese Bilanz zeige deutlich, „wie wichtig diese Unterstützung für migrantisch Beschäftigte in Berlin ist“, sagt Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe am Donnerstag. „Sie werden oft ausgenutzt, ausgebeutet und um ihren Lohn geprellt“, sagt die Senatorin. Solange es diese Ungerechtigkeit gebe, bleibe das Bema unverzichtbar. „Faire Arbeit darf keine Frage der Herkunft sein. Faire Arbeit gehört zu einem solidarischen und gerechten Berlin“, betont sie.

Die Bema sei mitunter auch erste Anlaufstelle für Fälle von Menschenhandel und Zwangsausbeutung. „Betroffene brauchen auch eine sichere Bleibe“, sagt Kiziltepe. Dafür habe Berlin nun eine Schutzwohnung eingerichtet. Dort finden Opfer von Zwangsarbeit nicht nur Wohnraum, sondern auch eine umfassende soziale, psychologische und rechtliche Beratung. Das Projekt arbeitet eng mit dem Landeskriminalamt zusammen. Die Adresse der Unterkunft ist zum Schutz der Menschen geheim.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare