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Anlaufstelle für Gewaltopfer im SportEine Frage des Vertrauens

Betroffene von physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt im Spitzensport können sich erstmals an eine unabhängige Anlaufstelle wenden.

Hoher Schutzbedarf: Gerade Turnerinnen berichteten zuletzt von Übergriffigkeit und Missbrauch Foto: Schreyer/imago

Wie ist es um das Vertrauen von Gewaltopfern in den organisierten Sport bestellt? Nicht sonderlich gut, das machten noch einmal die Vertreter von Athleten Deutschland e. V am Montag deutlich. Erstmals hat deshalb mit „Anlauf gegen Gewalt“ eine unabhängige Anlaufstelle ihre Arbeit an diesem Tag aufgenommen, das verkündete die Spitzensportgewerkschaft im Rahmen einer Pressekonferenz.

DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschop­pe hatte vor knapp einem Jahr in einer Bundestagsanhörung noch den Wunsch geäußert, sie hätte gern „belastbare Zahlen“ dafür, dass es dieses Vertrauen innerhalb der Sportstrukturen nicht gäbe. Wenn sie daran tatsächlich immer noch zweifeln sollte, sei ihr ein engerer Austausch mit Athleten Deutschland empfohlen. Denn diese berichteten auch am Montag davon, dass sich schon in der Vergangenheit monatlich ein bis zwei Sport­le­r:in­nen mit Gewalterfahrungen bei ihnen gemeldet hatten, bevor sie also überhaupt ein Angebot präsentieren konnten.

Den Bedarf einer solchen unabhängigen Anlaufstelle hätte aber, so erläuterte Vize-Präsident Tobias Preuß, bereits die Studie Safe Sport von 2016 unterstrichen. 84 Prozent der befragten Spitzensportler erklärten damals, eine Form von physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt erlebt zu haben. Dass sich Sport­le­r:in­nen bereits an Athleten Deutschland e. V. und nicht an Anlaufstellen im organisierten Sport gewendet hätten, läge mutmaßlich auch an den Interessenskonflikten, die innerhalb der Verbände bestünden, erklärte der ehemalige Wasserballspieler Preuß.

Seine Präsidiumskollegin, die Säbelfechterin Léa Krüger, machte auf weitere sportspezifische Probleme aufmerksam. Im engen Verhältnis zu Betreuern und Trainern komme es zu Abhängigkeitsverhältnissen, die oft gar nicht wahrgenommen würden. Grenzen würden sich verschieben, Übergriffe als solche erst einmal gar nicht realisiert.

Vertrauensversprechen an Ath­le­t:in­nen

„Anlauf gegen Gewalt“ bietet in erster Linie aktiven oder ehemals aktiven Bun­des­ka­der­ath­le­t:in­nen Hilfe an. Brei­ten­sport­le­r:in­nen sollen aber nicht abgewiesen, sondern mit Kontakten zu anderen Hilfsnetzwerken versorgt werden. Alle Hilfesuchenden können sich auf die Möglichkeit, anonym zu bleiben, verlassen – und auf das Vertrauensversprechen der Anlaufstelle, parteiisch zu sein. Den Ath­le­t:in­nen werde also geglaubt und ihre Anliegen werden vertraulich behandelt. Das hob Krüger hervor. Auch würde nur mit Zustimmung der Betroffenen etwas unternommen.

Neben den Gesprächen mit Ex­per­t:in­nen für sexualisierte, psychische und physische Gewalt bietet „Anlauf gegen Gewalt“ auch rechtliche und/oder psychotherapeutische Erstberatung an. Die Geschwindigkeit, mit der diese Strukturen aufgebaut wurden, ist beachtlich. Einen „agilen Sprintprozess“ nennt das Pressesprecherin Julia Hollnagel. Zwischen der Idee und der Verwirklichung liegen gerade einmal 15 Monate.

Bis zum Ende des Jahres ist die Finanzierung eines niedrigen sechsstelligen Budgets mithilfe zweier Stiftungen gesichert. Es gebe zudem gute Signale, dass darüber hinaus die Arbeit fortgesetzt werden könne. Der Bedarf für dieses Projekt macht deutlich, dass die viel größere Aufgabe, der sich Athleten Deutschland e. V. ebenfalls verschrieben hat, nämlich den Aufbau eines Zentrums Safe Sport zu initiieren, zu dem sich die Regierungskoalition in ihrem Koalitionsvertrag bekannt hat, ganz andere Mittel als bislang angedacht freigesetzt werden müssen.

In einer Machbarkeitsstudie hat das Bundesinnenministerium 340.000 Euro für ein derartiges unabhängiges Zentrum, das sich zugleich um Prävention, Intervention und Aufarbeitung kümmern soll, veranschlagt. Mit der Gründung von „Anlauf gegen Gewalt“ hat Athleten Deutschland e. V. nebenbei aufgezeigt, dass ein Zentrum Safe Sport, das auch für den Breitensport zuständig sein soll, so billig nicht zu haben ist. Für dessen Aufbau will die Bundesregierung dieses Jahr noch einen Fahrplan aufstellen.

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