Sexualisierte Gewalt im Sport: Hoher Schutzbedarf

Kann eine unabhängige zentrale Institution im Kampf gegen sexualisierte Gewalt im Sport helfen? Eine Studie des Innenministeriums sagt: Ja.

leere Judokampffläche

Meist werden Opfer und Täter im Sport nicht gesehen: Judomatte in einer Trainingshalle Foto: imago

Wie vertrauenswürdig mit Vorfällen sexualisierter Gewalt in Institu­tio­nen umgegangen wird, die von ihrem Ruf leben, kann man gerade sehr anschaulich in einem unabhängigen Gutachten über das Erzbistum München und Freising nachlesen. Notgedrungen hatte dieses die katholische Kirche in Auftrag gegeben. Vertuscht und relativiert wurde und wird bis zu den höchsten Verantwortungsträgern, dem ehemaligen Papst Benedikt XVI., bis alle internen Möglichkeiten maximal ausgeschöpft waren.

So ist es nur bedingt löblich, dass auch die Vertreter des organisierten und so angesehenen Sports in Deutschland intern die Verantwortung übernehmen möchten. Das versicherte der Deutsche Olympische Sportbund im Mai 2021 in einer Stellungnahme dem Bundestag, in der man allerdings zugleich Zweifel säte, ob ein unabhängiges Zentrum Safe Sport, wie es die Interessenvertretung deutscher Spitzensportler, Athleten Deutschland e. V., auf den Weg bringen will, sinnvoll ist.

Daran hegen die Au­to­r:in­nen einer vom Bundesinnenministerium im August 2021 in Auftrag gegebenen fast 80-seitigen Machbarkeitsstudie, die gerade fertiggestellt wurde und der taz vorliegt, nicht den geringsten Zweifel. Bei Abwägung der Vor- und Nachteile, heißt es in dem unter der Federführung des Sportrechtlers Martin Nolte verfassten Werk, würden die Vorteile eindeutig überwiegen. Es werde „die zeitnahe Schaffung einer Einrichtung für sicheren und gewaltfreien Sport mit Nachdruck empfohlen“. Eine solche will auch die neue Bundesregierung unterstützen. So steht es jedenfalls im ­Koalitionsvertrag.

Eine Analyse der Machbarkeitsstudie ergibt, dass die bestehenden Strukturen von Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt nicht im Verhältnis zum großen Bedarf steht. Sowohl die Studie „Safe Sport“ von 2016 im Leistungssportbereich als auch die vorläufigen Ergebnisse der derzeit laufenden Breitensport-Studie „SicherImSport“ sowie die Sportentwicklungsberichte der letzten Jahre hätten einen „erheblichen Beratungsbedarf für Betroffene von sexualisierter Gewalt“ erkennen lassen. Bei den Ka­der­spor­tle­r:in­nen gaben etwa ein Drittel in der anonymen Befragung an, bereits eine Form sexualisierter Gewalt erlebt zu haben. Dass dennoch vergleichsweise wenige Fälle öffentlich verhandelt werden, deutet auf noch massivere Schweigemauern im Sport als in der Kirche hin.

Unabhängigkeit ist nicht gewährleistet

Neben diesem quantitativen Problem hebt die Machbarkeitsstudie ein qualitatives hervor. Der DOSB, die Deutsche Sportjugend, die Spitzensportverbände und der Landessportbünde, die sich bislang vornehmlich mit sexualisierter Gewalt befassen, könnten keine Unabhängigkeit für Betroffene gewährleisten. Auch daraus ergebe sich die Notwendigkeit der Gründung einer unabhängigen Einrichtung.

Es stellt sich die Frage: Ist der DOSB bereit, ein Stück seiner Macht und Kontrolle abzugeben?

Will der DOSB diese auf der Hand liegende Erkenntnis nicht weiter ­ignorieren, müsste der Dachverband von einem ihm heiligen Prinzip, der Autonomie des Sports, abrücken. In der Machbarkeitsstudie wird vorgeschlagen, dass ein Zentrum für ­gewaltfreien Sport für die Durch­setzung von Disziplinarverfahren sorgen muss, die einerseits unabhängig von Vereins- und Verbandsgerichten sind und andererseits verbands­rechtliche Regeln auch per Strafe durchsetzen können, „die niedrigere Schwellen als staatliches Recht für Fehlverhalten bei sexualisierter Gewalt vorsehen“.

Der große Bedarf an unabhängiger Aufarbeitung vergangener Verbrechen im Sport wird als ein weiterer Grund für die Schaffung eines Zentrums von gewaltfreiem Sport angeführt. Dies käme auch besseren Präventionskonzepten zugute.

Angesichts der Aufgabenfülle wirken die von der Machbarkeitsstudie geschätzten jährlichen Personal- und Sachkosten einer solchen Einrichtung von 340.000 Euro etwas knapp berechnet. Vorgeschlagen wird, dass die dafür notwendigen staatlichen Beträge unter anderem aus Lotteriegewinnen gespeist werden könnten.

Hürden gibt es noch etliche zu nehmen. Einige rechtliche Fragen, etwa im Datenschutzbereich, müssten geklärt werden. Die Studie emfpiehlt „ein zeitnahes „Round-Table-Gespräch“ mit allen relevanten Akteur:innen. Zuallererst geht es aber dabei wohl um eine entscheidende grundsätzliche Frage: Ist der DOSB bereit, ein Stück seiner Macht und Kontrolle abzugeben? Oder will er seine Möglichkeiten maximal ausschöpfen?

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