Anklage gegen 81-Jährigen wegen Mordes: Sportschütze außer Kontrolle
Ein 81-Jähriger ist angeklagt, weil er in Bramsche einen Schüler erschossen hat. Seine Waffe war bei der Stadtverwaltung nicht registriert.
Die Schüsse fallen aus unmittelbarer Nähe, als der Schüler gerade das Haus verlässt. Der erste schlägt ihm von hinten in die Wade, zwei treffen ihn ins Gesicht, der letzte bohrt sich in die Hand. Danach schießt sich der Schütze selbst in den Kopf, auf offener Straße, unweit des Opfers.
Die Mutter des Schülers hört die Schüsse, findet ihren Sohn, ist Zeugin des Selbstmordversuchs. Auch viele Kinder sehen das alles, unterwegs zur nahegelegenen Martinus-Grundschule. Der Täter überlebt, das Opfer nicht.
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat jetzt Anklage erhoben. Sie geht davon aus, „dass die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung aus niedrigen Beweggründen erfüllt sein können“. Ob das Landgericht Osnabrück die Anklage zulässt, ist noch offen. Auslöser der Tat war ein Nachbarschaftsstreit. Offenbar war der 81-Jährige der Auffassung, der Schüler mache zu viel Lärm.
Waffenbesitzkarte aus den 80er Jahren
„Es gab Spannungspotenzial zwischen den beiden“, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Retemeyer, Staatsanwaltschaft Osnabrück, der taz. „Das Ganze ist wirklich ungeheuer traurig. Weitere Dramatik kam hinzu, weil erst nicht klar war, ob die Tat in Verbindung mit der Schule steht, als Amoklauf.“ Geklärt werden muss jetzt nicht zuletzt, ob der Angeschuldigte schuldfähig ist. Ist er es, droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Die Waffe des 81-Jährigen war eine „Walther GSP.22 l.r.“, eine weitverbreitete Kleinkaliber-Sportpistole. Der Angeschuldigte war Sportschütze, seine Waffe in einer Waffenbesitzkarte des Landkreises Vechta eingetragen, ausgestellt vor knapp 40 Jahren. Dass er für die dortige Stadt Damme seit Ende 1985 als verzogen galt, unbekannt, ins Ausland, danach im Landkreis Osnabrück lebte, änderte daran nichts. Eine Einziehung der Waffenbesitzkarte durch den Landkreis Vechta erfolgte nicht.
Zum Tatzeitpunkt sei auf den Angeschuldigten noch eine zweite Pistole registriert gewesen, sagt Retemeyer, „eine normale“. Bei der Stadtverwaltung Bramsche waren beide Waffen nicht registriert. So entging ihr Besitzer jeder Kontrolle. Am 28. Februar nahm er die Walther mit in die Öffentlichkeit, geladen und schussbereit. Dass eine Waffenbesitzkarte das nicht erlaubt, muss ihm bewusst gewesen sein. Das Ende war tödlich.
Die Waffenbesitzkarte sei 1982 „unbefristet“ ausgestellt worden, teilt der Sprecher des Landkreises Vechta, Jochen Steinkamp, auf taz-Anfrage mit. „Im Nachgang hat der Landkreis Vechta eine Zuverlässigkeits- und Bedürfnisprüfung durchführen wollen, wie sie nach dem Waffengesetz etwa alle drei bis fünf Jahre notwendig ist. Das zuständige Einwohnermeldeamt hatte dem Landkreis jedoch zurückgemeldet, dass der Mann unbekannt ins Ausland verzogen sei. Der Landkreis Vechta habe seine Zuständigkeit danach nicht mehr ausüben können.“
Es ist Steinkamp anzumerken, wie sehr ihn bewegt, welche Folgen diese Kontrolllücke hatte. Warum die Waffenbesitzkarte nicht eingezogen wurde, obwohl eine Prüfung unmöglich war? „Nach dem Waffengesetz kann die Waffenbesitzkarte wieder eingezogen werden, wenn eine solche Prüfung negativ ausfällt“, räumt Steinkamp ein. Aber: „Seinerzeit gab es weder ein nationales Waffenregister noch eine grenzüberschreitende behördliche Kooperation, die den Fall weiter nachvollziehbar gemacht hätte.“ Der Waffenbesitzer, vom behördlichen Radar verschwunden, blieb bewaffnet, wurde vergessen. Bis zum 28. Februar.
Seit 2013 hat Deutschland ein nationales Waffenregister, betrieben durch das Bundesverwaltungsamt. Es bündelt die Daten der rund 550 örtlichen Waffenbehörden. Mehr als 942.000 private Waffenbesitzer waren hier im 1. Quartal 2023 registriert, mit über fünf Millionen Waffen. Seit 2020 wird zudem der komplette Lebenszyklus einer Waffe erfasst, von der Herstellung bis zur Vernichtung, vom Import bis zum Export.
Dem Schüler aus Bramsche hat das nichts genützt.
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