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Angst und Wut in der PandemieAffekte beherrschen unsere Zeit

Es sind nicht Überzeugungen, sondern Emotionen, die uns aktuell spalten. Für eine Gesellschaft ist die Vorherrschaft der Affekte höchst problematisch.

Die Meinungen zu allem driften massiv auseinander Foto: Stefan Boness/Ipon

W as man derzeit mit aller Deutlichkeit feststellen kann: Die Meinungen zu allem driften massiv auseinander. Die Meinungen über das, was Realität ist – und was nicht. Was Aufklärung ist – und was nicht. Was Satire ist – und was nicht. Was korrekt ist – und was nicht. Was Wahrheit ist – und was nicht. Was Diktatur ist – und was nicht. Was Freiheit ist – und was nicht. Kurzum: die Meinungen über die grundlegensten Kategorien der gesellschaftlichen Existenz driften auseinander. Immer schneller. Und immer weiter. So weit, dass eine Verständigung immer schwieriger wird.

Das Erstaunliche dabei ist: Die Unterschiede verlaufen nicht einfach entlang politischer Überzeugungen und Parteien. Die unterschiedlichen Meinungen entsprechen nicht notwendig den Großgruppen und Klassen. Sie folgen nicht exakt den gesellschaftlichen Klassifizierungen. Sie erstrecken sich vielmehr in die privateste Umgebung und entzweien diese.

Plötzlich weist diese ganz persönliche Lebenswelt Trennlinien auf, die bis vor Kurzem noch undenkbar waren. In den Familien. Im Freundeskreis. Im Arbeitsumfeld. In den medialen Foren. In dem, was einmal als Echokammer gescholten wurde. Undenkbar war das nicht nur als Trennlinien, als unterschiedliche Meinungen, als Auseinanderdriften der Positionen – sondern undenkbar war das auch in der Schärfe, in der Dringlichkeit, in der Vehemenz und in der Unnachgiebigkeit, wie es sich heute präsentiert.

Und genau das zeigt, dass wir es längst nicht mehr einfach nur mit Meinungen zu tun haben, sondern mit etwas anderem: mit Leidenschaften. Mit emotionalen Erregungen. Mit Affekten. Denn nur Gemütsbewegungen weisen solch eine Intensität, solch eine Heftigkeit auf. Wir leben also in einer Zeit, wo die Affekte vorherrschen. Wir leben im Affekt.

Anhaltende Ausnahmesituation

Jetzt muss man einmal sagen, dass das für solch eine lange, anhaltende Ausnahmezeit, wie es diese Pandemie ist, alles andere als erstaunlich ist. Natürlich treten sich Menschen, die unter solchen Bedingungen leben – also alle, denn das haben alle gemein (wenn auch in sehr unterschiedlichen Bequemlichkeitsgraden) –, in solcher Ausnahmesituation nicht kühl als rational argumentierende Vernunftsubjekte gegenüber.

Wenn man also feststellen muss, dass es derzeit eine Vorherrschaft der Affekte gibt, dann stellt sich die Frage: Welche Affekte sind das dann? Welche herrschen vor? Die Antwort ist eindeutig: Es ist Angst. Und Wut.

Angst vor Corona. Angst vor den wirtschaftlichen Folgen. Den eigenen und den allgemeinen. Angst um seine Nächsten. Angst vor Einsamkeit. Und Wut: Wut über die Regierung. Und Wut über die Regierungsgegner. Wut über Verschwörungstheorien. Und Wut über Verschwörungstheoretiker. Wut über die Pharmaindustrie. Und Wut über jene, die gegen die Pharmaindustrie sind.

Wir haben also alle teil an dem Vorherrschen der Affekte. Aber das eint uns nicht. Ganz im Gegenteil. Denn es sind ja nicht verbindende, sondern vielmehr antagonistische Leidenschaften. Die gegensätzlichen Meinungen haben sich in gegensätzliche Leidenschaften verwandelt. Und egal wie rational oder irrational sie sein mögen – die Argumente kaschieren nur schlecht die Affekte, die hier aufeinanderprallen: Ablehnungen, Abgrenzungen. Und diese folgen der Logik der Affekte. Sie sind ansteckend. Sie breiten sich aus. Es sind Antagonismen, Unterschiede, Widersprüche, die sich gegenseitig verstärken und eskalieren. Vom Gegensatz bis zum Hass.

Solche Vorherrschaft von Affekten, solches Auftreten von Emotionen ist aber für jede Gesellschaft höchst problematisch. Denn dies untergräbt die grundlegendsten Übereinkünfte. Das politische Problem beginnt also schon dann, wenn die Affekte so gesteigert sind, so blank liegen – und nicht erst bei den Meinungen. Deshalb ist die Neutralisierung solch negativer Leidenschaften eine ebenso heikle wie dringliche politische Aufgabe. Eine Aufgabe, die heute nicht mehr alleine den klassischen Staatsapparaten zukommt. Sondern längst auch den neuen politischen „Akteuren“ – den medialen Apparaten.

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7 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Diktatur? Das ist Unsinn.



    Was passiert, wenn man die Leute einfach machen lässt, sehen wir in Indien.

  • " Deshalb ist die Neutralisierung solch negativer Leidenschaften eine ebenso heikle wie dringliche politische Aufgabe. Eine Aufgabe, die heute nicht mehr alleine den klassischen Staatsapparaten zukommt. Sondern längst auch den neuen politischen „Akteuren“ – den medialen Apparaten"

    was für eine verräterische sprache "neutralisierung" klingt nach eliminierung nach repression und zensur nach dem ende von meinungsfreiheit und demokratischer öffentlichkeit

    angst wut und hass werden dadurch aber nicht schwächer sondern eher nur noch stärker

    das die zunehmenden einschränkungen der meinungsfreiheit und die nach und nach immer weitergehende beseitigung der möglichkeit von demokratischer öffentlichkeit nach dem ende der corona-virus-pandemie aufhören glaube Ich nicht.Ich glaube auch nicht dass sie durch diese bedingt sind sondern dass diese nur benutzt wird um sie durchzusetzen und voranzutreiben

    das ist ähnlich wie die hypertrophie identitätspolitischer pseudoprogressiver diskurse die meiner auch in diesem forum gemachten erfahrung nach immer der repression dienen ein symptom für die ausweglose krise der spätkapitalistischen westlichen gesellschaften

    die klassengegensätze verschärfen sich:es kommt ein grosser innergesellschaftlicher konflikt -der früher oder später sowieso ausbricht :die massen werden sich gegen die eliten erheben



    jenach der politischen kultur und den politischen institutionen der einzelnen spätkapitalistischen westlichen länder wird der kommende grosse klassernkampf auf längeren oder kürzeren umwegen und mit mehr oder weniger an und für sich nicht unvermeidbaren exzessen der gewalt ganz sicher zum ende des neoliberalismus und möglichwerweise da bin Ich mir noch nicht so sicher auch schon zur überwindung des kapitalismus führen

    in deutschland dass so gut wie gar keine politische kultur hat und insbesondere keine des respekts vor der meinungsfreiheit andersdenkender wie man auch in diesem forum merkt -sind die vorrausetzungen besonders schlecht

    • @satgurupseudologos:

      Hola. Philippika meets Kassandra - kerr!

      Na Mahlzeit

      unterm—- zum Ausgleich - statt Konfek -

      t - Die Dame mit 'n Avec

      Alle könn sie mir, könn sie mir, könn sie mir!



      Huch, die Männer!



      Sie sind alle hier, alle hier, alle hier



      nischt wie Penner!



      Erst da tun sie mächtig fein,



      laden mich zum Abend ein.



      Und ich kann mich dann nicht halten,



      seh ich des Monokels Glanz –:



      sag den Jungen und den Alten



      grad heraus beim Foxtrott-Tanz:



      »Ich hab nu mal den Schwung ins Ordinäre!



      Ick bin die richtige berliner Beere!



      Und bei der Liebe hopps ick jrade wie bein Zeck



      nur übern Rinnstein, Rinnstein, Rinnstein mit 'n Avec!«







      Uffn Koppenplatz, Koppenplatz, Koppenplatz



      lief ick lange.



      Mitn Sabberlatz, Sabberlatz, Sabberlatz –



      'ck wah 'ne Range –!



      Und mit vierzehn Jahren schon



      ging ich bei die Konfektion.



      Das war eine feine Lehre



      in dem großen Modenhaus;



      und ich machte rasch Karriere,



      aber manchmal kommt es raus – –



      Ich hab nu mal den Schwung ins Ordinäre!



      Ick bin die richtige berliner Beere!



      Und bei der Liebe hopps ick jrade wie bein Zeck



      nur übern Rinnstein, Rinnstein, Rinnstein mit 'n Avec!







      Fahr ick viere lang, viere lang, viere lang



      Eklipage,



      sitz ich ersten Rang, ersten Rang, ersten Rang



      in Kleidage:



      Alle Leute drehn sich rum –



      Donner! die ist gar nicht dumm!



      Züngelnd sitzt bei mir mein Hündchen.



      Autsch! wie mein Brillantschmuck blitzt –



      Aber spitze ich mein Mündchen,



      weißte gleich, wer vor dir sitzt –!



      Ich hab nu mal den Schwung ins Ordinäre!



      Ick bin die richtige berliner Beere!



      Und bei der Liebe hopps ick jrade wie bein Zeck



      nur übern Rinnstein, Rinnstein, Rinnstein mit 'n Avec!











      Theobald Tiger



      Ulk, 12.03.1920, Nr. 11.



      —— servíce - Gern&Dannichfür - wa!



      www.textlog.de/tuc...die-dame-avec.html

  • Mein Tipp, dass Hauptproblem liegt daran, dass die Forderung nach Toleranz (hinnehmen) zwischenzeitlich der Forderung nach Akzeptanz (annehmen) gewichen ist. Das gilt sowohl für Weltbilder, Befindlichkeiten, als auch Meinungen. Und da treten dann eben erhebliche Widerstände auf.

    Und klar wütend bin ich auch, auf Politiker die sich in der Pandemie die Taschen voll machen, die Grundrechte und deren Rückgabe für ein Privileg halten und auf die Bürokratisierung von etwas banalem wie Massenimpfungen, weil man den Mangel kaschieren muss.

    Worüber ich mich hingegen definitiv nicht Aufrege ist Protest, das ist eine Form der Meinungsäußerung. Es soll dabei bitte bloß niemand zu Schaden kommen.

  • Ja wie?

    “ Eine Aufgabe, die heute nicht mehr alleine den klassischen Staatsapparaten zukommt. Sondern längst auch den neuen politischen „Akteuren“ – den medialen Apparaten.“ Hä?



    Letzteres mir neu - daß neu: Im End-Affekt gedankenlos hingeschrieben? - 🙀 - wa.

  • Die „Vorherrschaft der Affekte“ konnte, wer es darauf angelegt hätte, lange vor Corona diagnostizieren. Das Virus hat sie nur - wie so viele gesellschaftliche Sollbruchstellen, sichtbarer gemacht.

    Gleich nach der Frage, welche Affekte eigentlich vorherrschen, könnte übrigens die Frage gestellt werden, was die Ursache der Affekt-Vorherrschaft ist, was ihr Auslöser war und wer davon profitiert.

    Eine ehrliche Antwort auf diese Fragen könnte sich allerdings durchaus unangenehm anfühlen für Leute, die unbedingt „was mit Medien machen“ wollen. Und dann? Genau: Es lebe der Affekt!

    Bleibt eigentlich nur die Frage, ob Affekt von Affe kommt. 🙈

    • @mowgli:

      Liggers.

      Was zwanglos zu der schönen Sentenz überleitet:

      “Ihr seid die Affengarde des Deutschen Volkes!“ - 🧐 -



      (Was angeblich ja nicht nur Ernst Bloch & Hans Mayer erheitert haben soll! - 😱