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Angst um JobsKumpel zittern vor Kohleausstieg

Die Gewerkschaften Verdi und IG BCE planen am 25. April eine Gegendemo zur Menschenkette der Umweltschützer im Braunkohlerevier Garzweiler.

Die Aussicht wollen die Gewerkschaften erhalten: Rauchendes Kohlekraftwerk Boxberg in der Lausitz. Bild: ap

BERLIN taz | Die Gewerkschaften machen mobil gegen die Pläne von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), die klimafeindlichen Kohlekraftwerke mit einer höheren Abgabe zu belasten. Für den 25. April rufen die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) zu einer Demonstration in Berlin auf.

Die erhofften 10.000 Teilnehmer sollen, so die IG BCE, ein Gegenbild setzen zu der Menschenkette im Braunkohlerevier Garzweiler, mit der Umweltverbände am selben Tag für einen Ausstieg aus der Kohle demonstrieren wollen.

Gleichzeitig warnt die IG BCE, dass der von der Regierung geplante „Klimabeitrag“ für Kohlekraftwerke den 38 Braunkohleblöcken in Deutschland den Garaus machen könnte. „Spätestens mit Einführung des Klimabeitrags können die allermeisten Kraftwerke nicht mehr profitabel betrieben werden und ihre Fixkosten erwirtschaften“, ist das Fazit einer Kurzstudie, die die Gewerkschaft von der US-Investmentbank Lazard erstellen ließ.

Gabriel plant, dass die dreckigsten und ältesten Kohlekraftwerke ab 2017 für jede Tonne CO2, die über einer bestimmten Grenze liegt, zusätzlich 17 bis 20 Euro zahlen sollen. So will er die schwachen Preise im europäischen Emissionshandel ausgleichen und die Kraftwerke zwingen, den CO2-Ausstoß zu verringern, damit Deutschland sein Klimaziel von minus 40 Prozent bis 2020 noch schafft.

Das würde nach Ansicht der Gewerkschaften allerdings zu einem „Strukturbruch“ führen, den die Bundesregierung offiziell verhindern will. „Der Klimabeitrag bedeutet den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung in Deutschland“, sagte IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis. In einer Broschüre warnt seine Gewerkschaft vor dem Verlust von 50.000 Jobs bei der Kohle, „750.000 Arbeitsplätzen bei den energieintensiven Industrien“ sowie dem „sozialen Blackout ganzer Regionen“.

„Dominoeffekt für alle“

Nach dem vorgelegten Gutachten könnte die Hälfte der Kraftwerke selbst bei einem höheren Strompreis nicht überleben. Und durch einen „Dominoeffekt“ würden schließlich alle Kraftwerke in die roten Zahlen rutschen. Denn je weniger Kohle in den Tagebauen gewonnen würde, desto teurer würde die Produktion pro Tonne Kohle, was wiederum die Preise für die Verstromung in den noch existierenden Kraftwerken hebe. Rechne man Wartung und fixe Kosten für die Meiler dazu, „bewegen sich schon heute viele der Blöcke an der Profitabilitätsschwelle“, heißt es in der Kurzstudie.

Passend zur Drohkulisse der IG BCE warnten am Mittwoch die Städte Welzow, Spremberg und Drebkau am Tagebau Welzow-Süd bei Cottbus vor Abwanderung und Firmenschließungen, sollte der Klimabeitrag kommen. In einer Erklärung hieß es: „Anstelle übereilter Ausstiegsszenarien benötigt die Lausitz ein verlässliches Bekenntnis zur Braunkohle und Planungssicherheit für die kommenden Jahrzehnte.“

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13 Kommentare

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  • Der Effekt wäre demnach, dass wir zur Deckung unseres Strombedarfes immer noch Kohlendioxid produzieren (durch die Verbrennung und den erhöhten Transport per Schiff von Gas bzw. Steinkohle). Vermutlich wird sich der C02-Ausstoß etwas senken. Der Strompreis wird jedoch steigen, denn Strom von Gasturbinen kostet derzeit ca. 10Ct/kWh und wird wie bereits erklärt nicht sinken. (Braunkohlestrom kostet derzeit ca. 3Ct/kWh) Bezahlen wird das jeder von uns! Natürlich inkl. der Steuern!

     

    Hinzu kommt, dass in der Braunkohleindustrie Arbeitsplätze verloren gehen. Arbeitgeber können und müssen bei geringer Auslastung der Braunkohlekraftwerke Personalkosten sparen. Gleiches gilt für die Tagebaue, die werden weiterhin Braunkohle abbauen nur eben langsamer mit weniger Angestellten. Ein Dorf wird so jedenfalls nicht gerettet, es verzögert sich maximal die Abbaggerung. Wie viele Arbeitsplätze verloren gehen weiß ich nicht. Es müssen jedoch eine Menge sein. Wenn sich am 25.03.2015 spontan 4000 Menschen in Jänschwalde versammeln konnten und dennoch die 12 Braunkohleblöcke (deutschlandweit ca. 40 Blöcke) nicht heruntergefahren werden mussten, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass noch weitere direkte betroffene Arbeitsplätze in der Lausitz existieren. Hinzukommen auch noch Zulieferer und Unternehmen die von der nicht geringen Gewerbesteuer und den damit verbunden staatlichen Investitionen in der Region profitieren.

    • 1G
      19122 (Profil gelöscht)
      @Carsten Müller:

      Sehr geehrter Herr Müller, Sie haben vollkommen recht. Dass die Energiepreisbildung nicht den üblichen Marktgesetzen unterworfen ist und der Staat da ordentlich reinpfuscht, gehört zum inneren Kern der Probleme, welche die sogenannte Energiewende mit sich bringt. Darum ging es mir in meinem Beitrag nicht. Ich wollte lediglich die Problematik des an allen Ecken und Enden vorgebrachten "Arbeitsplatz-Argumentes" und der damit einhergehenden Fortschrittsängste in unserer Gesellschaft aufzeigen. Dieses Argument zieht eben nur, wenn am Paradigma der Vollzeiterwerbstätigkeit festgehalten und Arbeitslosigkeit weiterhin als "zu kurierender Makel" verstanden wird.

  • Welche Kutsche wurde durch den Staat verteuert als das Auto kam? Welche Musikkassette wurde durch staatlichen Einfluss teurer als die CD kam? Welche Zeitung/Printmedium wurde teurer als das Internet aufkam?

     

    Der Strom/elektrische Arbeit wird an der Börse nicht wie Aktien verkauft. Viel mehr richtet sich der Preis für die kWh nach der Merit Order. Es wird der vorher rechnerisch ermittelte Wert des teuersten Kraftwerks, welches noch zur Strombedarfsdeckung benötigt wird, an alle ausgezahlt. Die Berechnung des Wertes erfolgt nach folgender Formel: Kosten=Brennstoffpreis/η+Zertifikatspreis∙spez.Emmisionsfaktor/η+var.Betriebskosten

    Derzeit sind die Kosten für eine kWh bei Braunkohlekraftwerken geringer als bei Steinkohle- bzw. Gaskraftwerken. Das liegt an den niedrigeren Brennstoffpreisen. Wird nun der Summand mit den Zertifikaten soweit erhöht, dass der Vorteil der Brennstoffpreise für die Braunkohlekraftwerke egalisiert wird, rutschen diese in der Merit Order hinter die Steinkohle- und Gaskraftwerke. Der nun benötigte Strom wird daher aus Gas bzw. Steinkohle erzeugt. Dieser wird durch die neuen Zertifikate nicht billiger, sondern wird natürlich für den gleichen teuren Preis verkauft wie vor der Einführung der neuen Zertifikate. Eventuell wird er sogar noch teurer, da Gas und Steinkohle importiert werden müssen und so die Nachfrage auf dem Weltmarkt steigt. Des Weiteren sind auch diese Kraftwerke eventuell direkt von den neuen Zertifikaten betroffen. Da Braunkohle nun nicht mehr so intensiv abgebaut wird, aber trotzdem die Möglichkeit dafür immer noch gegeben sein muss (ähnlich wie bei Gaskraftwerken jetzt) wird der Brennstoffpreis von Braunkohle steigen. Was zu einer Steigerung der Kosten gemäß der o.a. Formel führt.

  • Aus meiner Sicht werden hier von den Gewerkschaften auf unredliche Weise Ängste geschürt. Mit einem offenen Brief an die Gewerkschaften zur Diskussion um die CO2-Abgabe möchte ich daher zum einen zur Versachlichung der Debatte beitragen, zum anderen aber auch den Arbeitnehmern dieser Branche die Ängste nehmen. Die CO2-Abgabe ist ein Plus für die Umwelt und ein Plus für die Arbeitsplätze und sollte daher auch von den Gewerkschaften unterstützt werden.

     

    http://www.mister-ede.de/politik/offener-brief-zur-co2-abgabe/3798

  • 1G
    19122 (Profil gelöscht)

    So ist das doch immer gewesen, wenn eine veraltete Technologie ausläuft: Als das Auto kam, wurden Kutschenbauer arbeitslos; als die CD kam, wurden Musikkasettenhersteller arbeitslos; als das Internet kam, gingen Printmedien pleite; und so weiter und so fort. Das ist der Preis des Fortschritts. Es gäbe allerdings einen Ausweg aus diesem Dilemma: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden deutschen Staatsbürger.

  • Schade, dass jetzt Menschen unter der Modernisierung der Energiegewinnung leiden müssen.

     

    Schuld daran trägt allerdings nicht die Pro-Ökostrom Fraktion sondern die Kohlelobby-Politik.

     

    Die hätte schon vor Jahrzehnten (70er / 80er Jahre ! als die heutige Entwicklung bereits deutlich absehbar war) anfangen können, über Subventionen die "monokulturelle" Unternehmensstruktur in den entsprechenden Regionen anzupassen und somit für den Ausstieg vorzusorgen.

     

    Der Protest der IG BCE ist durchaus berechtigt, der Ärger richtet sich jedoch an die falsche Adresse - man wäre besser beraten, sich mit den Ausstiegswilligen zusammen zu tun und das zu fordern, was BUND und Länder lange versäumt haben: die ökonomische Neustrukturierung der Region durch Übergangsgelder, niedrigschwellige Umschulungsmöglichkeiten, massive unbürokratische Unterstützung und Förderung bei Unternehmungsgründungen und -ansiedlungen fernab der Kohleindustrie, etc. etc. etc.

    • @Vex:

      Die Leute in den rheinischen Revieren mögen sich (unweit ihrer Heimat) umorientieren können. Aber was sollen die Leute in der Lausitz machen? Es können nicht alle Wolfs-Ranger werden.

      • @Rotbarsch:

        Eine Patentlösung habe ich jetzt auch nicht zur Hand - ich bin weder Politiker, noch Ökonom und ich lebe auch nicht in der Region.

        Von außen betrachtet bräuchte es in erster Linie einmal eine Studie die zeigt, welche (standortunabhängigen) Strukturen fehlen btw. möglich wären.

         

        In einer Region, in der eine Industrie über Jahrzehnte ein quasi-Monopol als Arbeitgeber hat, werden die meisten Menschen halt Kumpel. Wer keine Lust darauf hat, zieht weg - und das führt eben zur Verödung. Das kurzfristig zu beheben, ist nicht möglich.

         

        Daher auch meine Kritik, dass vor Jahrzehnten schon hätte angefangen werden müssen, alternative Strukturen aufzubauen (Unternehmensansiedlungen, Ausbildungsmöglichkeiten/Umschulungen,...).

  • Oha dann könnten die für die Energiewende wichtigen Gaskraftwerke tatsächlich lukrativ? Wie ungeheuerlich.

     

    Und ja es ist eine extreme Gefahr, wenn der 25% Anteil an Braunkohle im Energiemix in Deutschland, von heute auf Morgen wegfällt. Was ja offenbar Betriebswirtschaftlich enorm Sinn macht.

     

    Der Strompreis wird exponentiell explodieren. Nur weil Deutschland als Netto Stromexporteur auf einmal Strom Netto Importiert.

     

    Man hat ja die Blackouts gesehen und die Massenarbeitslosigkeit als auf einmal der 15% Atomstromanteil nach Fukushima wirklich von Heute auf Morgen abgeschaltet wurden.

     

    Niemand will nochmal seinen Arbeitsplatz verlieren und kalte Dosenspaghetti essen wie 2011, wer erinnert sich nicht an das übermäßige Leid auf den Straßen?

  • Nach dem vorgelegten Gutachten könnte die Hälfte der Kraftwerke selbst bei einem höheren Strompreis nicht überleben.

     

    tja, freie marktwirtschaft eben, gerade erst aufgewacht? - schon scheisse, wenn die ganzen privilegien und protektionen wegfallen sollen. soo wurde an der uni vor 30 jahren noch nicht gerechnet, wa!

  • 8G
    88862 (Profil gelöscht)

    Ein klassisches Beispiel dafür, warum wir die Klimakatastrophe nicht werden verhindern können ...

    • @88862 (Profil gelöscht):

      Der Ruf nach Planungssicherheit macht deutlich, wie sehr Wirtschaft geplant werden muss.

       

      Geht nicht so einfach die Leute auf die Straße zu setzen - zumindest nicht die vielen mit bescheidenem Einkommen.

       

      Aber an Zeit für die Planung hats sicher nicht gemangelt.

      • @Tecumseh:

        naja und wer beheult hier mal ganz oeffentlich die vielen arbeitsplaetze, die in den strukturschwachen gebieten durch die solarbranche erst geschaffen und dann wieder verloren wurden?