Angriffe auf Gazastreifen: Netanjahu mobilisiert Reservisten
Trotz der gegenseitigen Angriffe hat weder die Regierung noch die Hamas ein Interesse an einem neuen Krieg im Gazastreifen.
JERUSALEM taz | Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu schlägt nach den massiven Angriffen der Hamas eine härtere Gangart ein. „Bis zum Ende“ will Netanjahu notfalls gehen, und er ließ Hunderte Reservisten mobilisieren. „Die Hamas hat sich für die Eskalation entschieden, und sie wird den Preis dafür bezahlen.“
Dutzende Male zwangen die Sirenen die israelische Bevölkerung im Radius von 40 Kilometern rund um den Gazastreifen in die Bunker. Bis zu den westlichen Vororten von Jerusalem reichten die Vorwarnungen in der Nacht zu Dienstag, die sich größtenteils jedoch als falscher Alarm entpuppten.
Bei den Angriffen in Israel kam es zu Sachschaden und einigen Leichtverletzten. Im Gazastreifen gab es, wie die palästinensische Nachrichtenagentur Maan am Morgen berichtete, fünf Tote und etwa 50 Verletzte. Die Angriffe der Luftwaffe richteten sich „ausnahmslos auf Terrorstützpunkte“, wie Armeesprecher Motti Almos mitteilte, allen voran Raketenabschussbasen.
Offizielles Ziel der Militäroperation mit dem Titel „Schützende Klippe“ ist es, Ruhe für die Bevölkerung im Süden Israels einkehren zu lassen. „Wir werden die Raketenangriffe auf die israelischen Städte nicht dulden“, warnte Verteidigungsminister Mosche Yaalon. Die Operation werde „nicht innerhalb von einigen Tagen enden“.
Weder Israel noch Hamas hat derzeit ein Interesse an einem neuen kriegerischen Konflikt. Beide Seiten wissen, dass sie an dem seit acht Jahren latenten Dauerkonflikt mit ihren Angriffen per Raketen und Luftwaffe grundsätzlich wenig ändern können. Die aktuelle Kampfrunde wird wie andere vor ihr wieder mit einem halbherzigen wackligen Waffenstillstand enden. Die einzige Variable ist die Anzahl der Toten auf beiden Seiten.
„Noch radikalere Kräfte“
Nach Ansicht des israelischen Soziologen und Militärexperten Professor Yagil Levy von der Offenen Universität kann Israel kein Interesse daran haben, die Hamas zu stürzen. Die moderatere Fatah, die im Sommer 2007 brutal von den Islamisten aus dem Gazastreifen vertrieben wurde, „hat es nicht geschafft, neue Machtstrukturen aufzubauen“. Wer der Hamas politisch gefährlich werden könnte, seien stattdessen „noch radikalere Kräfte, wie der Islamische Dschihad“, sagte Levy auf telefonische Anfrage. „Der Aufbau eines Hamas-Staates in Gaza ist deshalb für Israel von fundamentalem Interesse.“
Nicht zuletzt aus Sorge vor internationaler Kritik und vor Verlusten unter den eigenen Soldaten werde Israel sich nur als letzte Option für eine Bodenoffensive entscheiden, und das auch nur dann, wenn die Hamas die Raketenangriffe fortsetzen oder sogar intensivieren sollte. Die rund 1.500 Reservisten, die derzeit in der Grenzregion zum Gazastreifen auf das Kommando zum Angriff warten, versteht Levy als „Signal“ an die Islamisten, dass man grundsätzlich zu einem Einmarsch bereit ist.
„Schieß, und rede nicht drüber“
Amos Gilad, Chef der Abteilung für politische Angelegenheiten im Verteidigungsministerium, wollte sich gegenüber Korrespondenten nicht über die Wahrscheinlichkeit einer Bodenoffensive äußern. „Wenn du schießen willst, schieß“, sei das Prinzip, und „rede nicht darüber“. Im Moment seien „alle Optionen offen“.
Vorerst intensiviert die Armee nur die Angriffe der Luftwaffe. „Die Hamas ist entschlossen, Israel anzugreifen“, erklärte Amos Gilad, „und wir sind entschlossen, Israel und seine Bürger zu schützen.“ Erst wenn die Raketenangriffe auf Israel eingestellt werden, könne auch im Gazastreifen wieder Ruhe einkehren.
Bei früheren Operationen der Armee, die zum letzten Mal vor gut fünf Jahren mit Bodentruppen in den Gazastreifen einzog, ging es um die Zerschlagung der Waffenarsenale. Aus Protest über Netanjahus anfängliches Zögern hatte Israels rechtskonservativer Außenminister Avigdor Lieberman, der nicht versteht, „worauf wir noch warten“, am Montag das Bündnis seiner Partei Israel Beteinu mit Netanjahus Likud aufgekündigt. An der Regierungskoalition ändert sich damit zunächst nichts.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!