Angriff der Union auf Zivilgesellschaft: „Das schüchtert ein“
Nach Bekanntwerden einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU mit 551 Fragen zu NGOs kommt Kritik von den anderen Parteien. Und aus den eigenen Reihen.
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Die Anfrage der Union sei ein „Foulspiel“, kritisierte SPD-Chef Lars Klingbeil am Mittwoch, der jetzt auch Fraktionsvorsitzender ist, und eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen einnehmen wird. Man könne nicht vormittags über eine Koalition verhandeln und nachmittags stelle die Union „Organisationen, die unsere Demokratie schützen, an den Pranger“. Auch von Grünen und Linken kam Kritik, sogar aus der CDU selbst.
Unter dem Titel „Politische Neutraliät staatlich geförderter Organisationen“ listet die Unionsfraktion 32 Seiten lang Fragen vor allen zu jenen Organisationen auf, die zuletzt nach ihrer gemeinsamen Abstimmung mit der AfD im Bundestag mobil gemacht hatten – und stellen deren öffentliche Förderung in Frage.
Explizit fragt sie nach Förderungen für die Omas gegen rechts, Correctiv, Campact, attac, der Amadeu Antonio Stiftung, Peta, Animal Rights Watch, Foodwatch, Dezernat Zukunft, die Deutsche Umwelthilfe, die Agora Agra GmbH, Greenpeace, BUND, Netzwerk Recherche, Neue Deutsche Medienmacher und Delta.
Nach AfD Vorbild?
„Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität wahren“, heißt es in der Anfrage. Eine „direkte oder indirekte Wahlkampfunterstützung“ für oder gegen eine Partei sei „nicht vereinbar“. Genau dies moniert die Union in eigener Sache: „Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden.“ Dies werfe die Frage auf, „inwiefern sich gemeinnützige Vereine, die zusätzlich noch mit Steuergeldern gefördert werden, parteipolitisch betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden.“
Das erinnert an die Praxis der AfD, die bereits seit Jahren gemeinnützige Vereine attackiert, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren – teils mit Anzeigen beim Finanzamt. In der Unionsanfrage wird nun über „eine Schattenstruktur“ geraunt, „die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“ – mit Verweis auf einen Welt-Artikel, der über einen „deutschen Deep State“ fabulierte.
Mehrere der in der Kleinen Anfrage erwähnten Organisationen riefen zuletzt mit zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus auf, nach dem CDU-Tabubruch im Bundestag. Hunderttausende Menschen protestierten daraufhin bundesweit. Einige Gruppen, wie die Omas gegen rechts, erhalten indes gar keine staatliche Förderung. Einzig ein Ortsableger bekam 2023 mal 5.000 aus einem Aktionsfonds für ein Projekt gegen Rassismus. Andere Gruppen oder Medien scheinen der Union anderweitig ein Dorn im Auge zu sein. So fragt die Union im Fall der Rechercheplattform Correctiv explizit nach einer Einschätzung eines Artikels des Mediums zu rechten „Hardlinern“, die die CDU „nach rechts ziehen“.
,, Die CDU will einen Maulkorb verpassen“
Die taz hat bei der Unionsfraktion angefragt, wie die Auswahl der Organisationen zu Stande kam. Warum nicht etwa nach dem Bauernverband oder dem Bund der Steuerzahler gefragt wird. Und auch nicht nach Kontakten zur Adenauer-, Seidel- oder Naumann-Stiftung. Bis zum Redaktionsschluss lag keine Antwort vor.
Neben Klingbeil äußerten auch andere Sozialdemokrat*innen deutliche Kritik. Die Union bedrohe zivilgesellschaftliche Organisationen „und will ganz gezielt denen einen Maulkorb verpassen, die gegen den Tabubruch gemeinsamer Abstimmungen der Union mit der rechtsextremen AfD protestiert und auf die Gefahren eines solchen Vorgehens für unsere Demokratie hingewiesen haben“, sagte SPD-Co-Chefin Saskia Esken der taz. Mit ihrer Anfrage versuche die Union, „den breiten gesellschaftlichen Protest gegen ihr Vorgehen im Bundestag zu relativieren und zu spalten. Dieses Vorgehen ist einer großen demokratischen Volkspartei unwürdig.“
Juso-Chef Philipp Türmer fragte: „Empfindet die Union das wirklich als den richtigen Fokus in einer Zeit, in der wir uns eigentlich gemeinsam für den Erhalt unserer Demokratie zusammen einsetzen sollten?“ Er ergänzte: „Das wäre ziemlich wild.“ Die Omas gegen Rechts hätten in den vergangenen Monaten mehr für die Demokratie getan als die Union.
Kritik kam auch aus der CDU
Clara Bünger, Abgeordnete der Linken, sagte: „Mit einer parlamentarischen Anfrage rächt sich die Union für die antifaschistischen Proteste der letzten Wochen.“ Das erinnere an autoritäre Staaten.
Kritik kam auch aus der CDU selbst. „Das darf man so nicht machen, weil es einschüchtert“, sagte Ruprecht Polenz, ehemaliger Generalsekretär der Partei, der taz. „Natürlich sehe ich bei der einen oder anderen Organisation auch einiges kritisch. Aber wir brauchen sie.“ Er selbst unterstütze Correctiv finanziell und trete bald bei den Omas gegen Rechts in Ingolstadt auf, weil sie gesellschaftlich wichtige Arbeit machen. „Wie soll das mit der wehrhaften Demokratie denn funktionieren, wenn Umweltschutzorganisationen oder auch Sportvereine oder Kirchen nicht zu Demonstrationen zur Verteidigung der Demokratie und gegen die AfD aufrufen dürfen, ohne die Gemeinnützigkeit zu gefährden?“, fragt Polenz.
Die Organisation LobbyControl, die selbst nicht in der Anfrage erwähnt wird, verwies darauf, dass auch wirtschaftspolitische Organisationen öffentliche Gelder bekommen, die ebenfalls und berechtigterweise politisch Stellung nehmen. Dazu zählten etwa der Verband der deutschen Automobilwirtschaft, der Deutsche Bauernverband oder die Ludwig-Erhardt-Stiftung. „Es ist offensichtlich, dass die CDU/CSU diese Akteure nicht ins Visier nimmt, weil deren politische Positionen den eigenen näher sind“, kritisierte LobbyControl-Sprecherin Christina Deckwirth.
Merz hatte gerade erst auch aus der SPD Kritik auf sich gezogen, als er kurz vor der Wahl in einer Wahlkampfrede erklärte, er werde künftig Politik machen für eine Mehrheit der Bevölkerung, die noch „alle Tassen im Schrank“ habe, und nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt“. Der gerade wiedergewählte SPD-Abgeordnete Helge Lindh sagte, diese Äußerung erscheine nun in einem neuen Licht. „Das wirkt jetzt nicht mehr wie ein Ausrutscher, sondern wie ein konzertiertes Vorgehen.“
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