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Angela Merkel übt SelbstkritikFlüchtlingskrise lange verdrängt

Die Kanzlerin hat Fehler in der deutschen Flüchtlingspolitik eingeräumt. Zu lange habe man die Staaten am Rande der EU mit Problemen alleingelassen.

„Wir schaffen das“ – immer noch, meint Angela Merkel Foto: dpa

Frankfurt a.M. epd/rtr | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eingeräumt, dass Deutschland zu Beginn ihrer Kanzlerschaft nicht angemessen auf die weltweite Flüchtlingskrise reagiert hat. Schon 2004 und 2005 seien viele Flüchtlinge nach Europa gekommen, „und wir haben es Spanien und anderen an den Außengrenzen überlassen, damit umzugehen“, sagte Merkel der Süddeutschen Zeitung. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) gestand ein, zu spät auf eine bessere Sicherung der europäischen Außengrenzen gedrungen zu haben.

„Deutschland war nach den vielen Flüchtlingen, die wir während der Jugoslawienkriege aufgenommen hatten, ganz froh, dass jetzt vorrangig andere das Thema zu bewältigen hatten. Das kann ich nicht leugnen“, sagte Merkel, die 2005 das Amt der Bundeskanzlerin von Gerhard Schröder (SPD) übernommen hatte. Zu lange sei verdrängt worden, dass es einer gesamteuropäischen Lösung bedürfe. Auch Deutschland habe sich „damals gegen eine proportionale Verteilung der Flüchtlinge gewehrt“.

Heute müsse man „einen längeren Atem haben, um in Europa insgesamt zu einer wirksameren und fairen Lösung zu kommen“, erklärte die Kanzlerin. Auch um den Schutz der Außengrenzen des Schengenraums habe man sich lange nicht ausreichend gekümmert. „Auch Deutschland war nicht immer Anhänger von Modellen, die wie etwa durch Frontex die Souveränität der Mitgliedstaaten eingeschränkt hätten“, sagte Merkel: „Stattdessen haben wir gesagt, dass wir das schon an unseren Flughäfen regeln, weil Deutschland sonst keine EU-Außengrenzen hat, uns also das Problem schon nicht erreichen wird. So geht es aber nicht.“

Altmaier sagte im „Morgenmagazin“ des ZDF: „Wir hätten vielleicht in den Jahren 2008 bis 2015 dafür sorgen müssen, dass die europäischen Außengrenzsicherung besser vorankommt.“ Deutschland habe an den Flughäfen „seine Hausaufgaben gemacht“.

„In den großen Linien“ sei die deutsche Flüchtlingspolitik allerdings erfolgreich, sagte der CDU-Politiker. Es sei gelungen, den „Flüchtlingszustrom deutlich zu verringern“. Die Menschen seien in Deutschland untergebracht worden, niemandem hierzulande etwas weggenommen worden. Jetzt sei man dabei, die „große Aufgabe der Integration zu bewältigen“, sagte Altmaier, der in der Bundesregierung die Flüchtlingspolitik koordiniert.

Die Kanzlerin bekräftigte abermals ihren umstrittenen Satz „Wir schaffen das“. „Ja, selbstverständlich“ bleibe es dabei, dass diese Aussage gut und richtig gewesen sei.

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6 Kommentare

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  • Sie übt sich in weiteren Wendehals-Disziplinen, nicht mehr und nicht weniger.

  • Also ein Teil der sogenannten "Flüchtlingspolitik" Angela Merkels war es, die türkischen Außenpolitik hinzunehmen, sie weder mit Druck noch sonstwie zu bedenken und das war dann so: Erdogan wollte in Syrien eine islamistische Pseudodemokratie nach Modell seiner Regierungspartei AKP ins Leben rufen und Assad stürzen, den Iran in Syrien verdrängen, dazu in Nord-Syrien die Muskeln spielen lassen. Hier inszenierte der türkische Geheimdienst MIT mit syrischen Jihadisten und Islamisten entsprechende Aktione, u.a. die Auflösung der Grenze zwischen den beiden Staaten. Katar, Saudi Arabien und andere schickten Geld, Waffen und ihre Ideologie der Wahabismus.

     

    Aber er scheiterte und sorgte für ein massives Trauerspiel, dass dann zu eine gigantischen Flüchtlingsbewegung ausgeufert ist.

     

    Und diese Syrer haben wir jetzt zum Teil bei uns aufgenommen und das war das Mindeste - das war richtig und es bleibt sogar richtig.

     

    Aber den Fehler, der Türkei in der NATO und in enger Kooperation innerhalb der EU so eine Außenpolitik zu erlauben, sie sogar zu fördern, war ein viel größerer Fehler.

     

    Er zeigt doch, dass diese Bundesregierung kein Konzept hat, was die Flüchtlinge angeht, denn es geht um die Ursachen der Flucht. Die hat im Falle Syriens maßgeblich unser lieber Freund, die Türkei, selber fabriziert, vor den Augen dieser Bundesregierung und mit ihrer indirekten Zustimmung.

     

    Und die jetzt sich abzeichnende Fluchtwelle der Kurden aus den östlichen Gebieten der Türkei passiert jetzt und sie geschieht in gleicher Weise und wird dazu führen, dass wir bald noch mehr Flüchtlinge hier haben werden.

     

    Und das sind keine Menschen, die nicht wegen Geld oder Wohlstand kommen, sondern aus reiner Not. Ähnliches liesse sich für Afghanistan formulieren. Die Politik unseres Landes wird von einseitigen Interessen geprägt und nicht von einem Konzept oder Menschenrechten. Hätte Angela Merkel ihre christlichen Werte in echte Politik umgewandelt, es wäre nicht so gekommen.

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      Hat diese Regierung überhaupt irgendein Konzept für irgendetwas?

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Da hat Altnaier aber eine Menge schöne Farbe verwandt: Erfolgreiche Flüchtlingspolitik?? Deutlich weniger Flüchtlinge, die hier ankommen? Die wurden nur verlagert - aus den Augen aus dem Sinn! An den Ursachen wurde nichts, gar nichts geändert und es sieht auch keineswegs nach wirklichen Konsequenzen aus. Die Waffenexporte haben einen Rekord erreicht, die riesigen EU-Fangflotten fangen den Fischern an den afrikanischen und asiatischen Küsten die Lebensgrundlagen weg und weiterhin werden von der EU höchstsubventionierte Produkte in Entwicklungsländer geschickt, die dort die Strukturen zerstören. Zudem werden vielen Staaten "Freihandels"-Verträge aufgezwungen, die solche Politik noch beschleunigen.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Ja, aber dafür geht es uns ja so gut.

      Somit ist das doch alles richtig.

       

      :)

  • Frau Merkel übt nicht Selbstkritik, sie heuchelt. Man hat es nicht Spanien "überlassen" mit den Flüchtlingsströmen "umzugehen". Die Deutsche Politik hat über das Dublin-Abkommen die Verantwortung für die Flüchtlinge den 'Randstaaten' der EU aufgezwungen. Vor allem Italien ließ man vor Jahren schon bei Lampedusa im Stich. Wo die Reise langgeht, zeigt indirekt der Kanzleramtsminister mit seiner Forderung nach besserer Sicherung der EU-Außengrenzen. Wie das aussehen soll, hat kürzlich ein Büchsenspanner des Finanzministers formuliert (SPIEGEL) In seinem Papier wird die die Errichtung von dauerhaften Lagern an den EU-Grenzen gefordert - na ja, da sind wir ja Fachleute in Deutschland... Und sind die Mittelmeeranrainer nicht willig, sollen sie finanziell unter Druck gesetzt werden, um sich zu fügen. Wie das aussieht, kann man ja in Griechenland beobachten. Das ist die Realität 2016. Ab 2017 wird dann KretschGrün in der Koalition mit der CDU die Erpressungspolitik umsetzen.