Angehörige über Geisel-Deal: „Achterbahnfahrt des Herzens“
50 Hamas-Geiseln sollen nun freikommen. Ofir Weinberg hat wenig Hoffnung, dass ihr Cousin Itay darunter sein wird. Wie bewertet sie das Abkommen?
taz: Israels Regierung hat mit der Hamas ein Abkommen über eine Feuerpause und die Freilassung von einem Teil der Geiseln geschlossen. Wie geht es Ihnen mit der Entscheidung?
Ofir Weinberg: Ich bin natürlich glücklich über jede Person, die freigelassen wird. Aber es ist auch eine harte Woche für uns. Wir wussten, es wird wahrscheinlich einen Deal geben, aber uns war auch recht schnell klar, dass mein Cousin Itay nicht als Teil dieses Abkommens freikommen wird.
24, studiert Datenanalyse und Betriebswirtschaft in Israel. Aufgewachsen ist in der zentralisraelischen Stadt Ra'anana.
Die Vereinbarung sieht vor, dass 50 Frauen und Kinder von der Hamas freigelassen werden.
Ja, und Itay ist ein gesunder, junger Mann. Er hatte seine Eltern und die gesamte Familie über die Festtage im Kibbutz Be’eri besucht. Ich verstehe die Priorisierung, dass die Kinder und deren Mütter zuerst freigelassen werden, natürlich. Aber es ist auch sehr schwer für mich, so darüber nachzudenken. Ich bin froh darüber, dass Teil der Vereinbarung ist, dass das Rote Kreuz Zugang zu den nicht freigelassenen Geiseln bekommen soll – aber ich werde es glauben, wenn ich es sehe.
Wie sind die Gespräche unter den Familienangehörigen von Geiseln derzeit?
Es ist sehr schwer. Selbst innerhalb der eigenen Familien gibt es so unterschiedliche Ansichten über die Situation. Natürlich sind alle glücklich über die Fortschritte der letzten Tage, aber alle haben auch Angst. Vor allem die Familien, die männliche Familienangehörige als Geiseln im Gazastreifen haben, sind sehr besorgt, dass dies der erste und letzte Deal sein könnte. Dieses Abkommen beinhaltet ja noch nicht einmal alle 50 Kinder, die derzeit dort festgehalten werden. Gestern habe ich gehört, dass Hamas nur weiß, wo 30 bis 40 Kinder sind. Einige werden ja vom Islamischen Dschihad festgehalten. Und dann gibt es Kinder, die mit ihren Vätern verschleppt worden sind. Was wird mit ihnen sein?
Halten Sie die Entscheidung der Regierung, den Deal zu akzeptieren, für richtig?
Sagen wir so: Ich hoffe, dass dies nur der erste Schritt von vielen sein wird. Wir brauchen internationale Unterstützung in diesem Moment mehr denn je. Denn wenn die Kinder freigelassen werden, werden immer noch etwa 180 Menschen im Gazastreifen festgehalten. Wir können nicht sagen: Das ist genug. 50 Menschen sind nicht einmal ein Viertel der Geiseln. Wir brauchen die Unterstützung von Deutschland, von den USA und der internationalen Öffentlichkeit, um weiter für die anderen zu kämpfen. Und leider haben wir gesehen, dass der Druck für solche Abkommen auf vielen Wegen hergestellt werden muss.
W as meinen Sie damit?
Ich meine damit, dass es internationalen Druck geben muss, aber offensichtlich auch militärischen. Denn in den ersten zwei oder drei Wochen gab es keinen militärischen Druck, keine Bodenoffensive in Gaza – und es passierte nichts. Yahya Sinwar …
… der Kopf der Hamas im Gazastreifen …
… war es einfach egal. Aber dann wuchs der Druck. Ich glaube eigentlich nicht an Gewalt als Methode, Konflikte zu lösen, deswegen sage ich das nicht gerne. Aber offensichtlich müssen die Kämpfer der Hamas unter Druck gesetzt werden, um ihrerseits ihre Anführer unter Druck zu setzen.
Die Eltern Ihres Cousins Itay sind von der Hamas ermordet worden, ebenso die Pflegekraft seiner Großmutter. W ächst mit dem Abkommen Ihre Hoffnung auf eine Freilassung Ihres Cousins?
Es ist weiterhin eine Achterbahnfahrt des Herzens. Wir hören immer wieder von Geiseln, die tot in Gaza aufgefunden werden. Zwei dieser vier für tot erklärten Geiseln sind aus derselben Nachbarschaft entführt worden wie Itay. Aber insgesamt bin ich noch hoffnungsvoll. Ich weiß einfach, dass er am Leben ist. Wir schicken ihm Kraft und Energie, damit er die Tage überstehen kann. Und eines kann ich versichern: Wir werden nicht aufhören zu kämpfen, bis er wieder zu Hause ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga