Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker: Mit vereinter Kraft gegen den Hass

Die von Gauland 2017 ankündigte „Jagd“ bringt der AfD fette Beute. Rechte Hetze zwingt Kandidaten und Kandidatinnen, aus dem Wahlkampf auszusteigen.

Dirk Neubauer steht vor dem Landratsamt Mittelsachsen.

„Ich gebe auf, weil da draußen mir zu viele den Mund halten“, sagt Dirk Neubauer Foto: Kristin Schmidt

Jetzt also Dirk Neubauer. Der Landrat aus Mittelsachsen hat seinen Rücktritt angekündigt, nach nur zwei Jahren im Amt, in das er als Hoffnungsträger gestartet ist. Nun sagen manche, der Mann hat sich eben überschätzt. Dem ehemaligen Sozialdemokraten, der als Parteiloser antrat, habe deshalb der Rückhalt im Kreistag gefehlt. Man kann ihm sein forsches Auftreten ankreiden und einige Fehler anführen. Das alles mag stimmen. Aber es geht am Kern der Sache vorbei.

Und ohnehin geht es hier um weit mehr als das Scheitern eines Landrats in Sachsen. Neubauers Rücktritt ist ein Lehrstück darüber, wie erfolgreich die Strategie der Rechtsextremen inzwischen ist, Kom­mu­nal­po­li­ti­ker*in­nen so lange aufzureiben, bis sie hinschmeißen. Und wie De­mo­kra­t*in­nen versagen, dies zu verhindern. Alle, die es gut mit der Demokratie meinen, sollten jetzt kurz auf die Bremse treten. Und sich fragen: Fördert mein Tun diesen Prozess? Oder setzt er ihm etwas entgegen?

Das gilt nicht nur, aber auch in den Wahlkämpfen derzeit in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Landrat aus Mittelsachsen ist schließlich nicht der Einzige, der hinwirft. Die Bürgermeisterin von Arnsdorf (Sachsen) und der Ortsbürgermeister von Tröglitz (Sachsen-Anhalt) traten schon vor vielen Jahren zurück, weil sie über lange Zeit bedroht wurden.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby aus Halle und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas, Christdemokratin aus dem sächsischen Vogtland, haben gerade angekündigt, nicht wieder zu kandieren. Auch sie sind seit Jahren im Visier von Rechtsextremisten. Neubauer hat ein Video aufgenommen, in dem er seinen Rücktritt erklärt. Mandatsträger, sagt er, seien quasi zu Freiwild geworden.

Gefragt ist Engagement

„Wir werden sie jagen“, hat Ex-AfD-Chef Alexander Gauland schon 2017 angekündigt, als seine Partei erstmals in den Bundestag einzog. Er hat nicht nur die ihm so verhasste Ex-Kanzlerin Angela Merkel gemeint. Inzwischen ist der Druck, den Rechtsextremisten auf Po­li­ti­ke­r*in­nen ausüben, in manchen Kommunen so groß, dass er die Demokratie gefährdet. Das gilt besonders in Ostdeutschland, aber nicht nur dort. Es war der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, gegen den erst gehetzt und der dann von einem Rechtsextremisten ermordet wurde.

Neubauer wurde von Rechtsex­tremisten bedroht, die Freien Sachsen demonstrierten vor seinem Wohnhaus. Er zog weg und versuchte die neue Adresse geheim zu halten. Die Rechtsextremisten riefen dazu auf, diese herauszufinden. Hass und Hetze, sagt der Landrat, richteten sich nicht nur gegen ihn, auch gegen Familie und Freunde.

Demokratie gelingt nur, wenn Menschen bereit sind, sich zu engagieren, zuallererst vor Ort: die, die für den Stadtrat oder das Bürgermeisteramt kandidieren, Lösungen suchen und Kompromisse schließen. In manchen Regionen kann das inzwischen zum persönlichen Risiko werden. Wer bereit ist, sich dem auszusetzen, muss sich der Solidarität der De­mo­kra­t*in­nen sicher sein. Neubauer war es nicht.

„Ich gebe auf, weil da draußen mir zu viele den Mund halten“, sagt er in seinem Video. Ganz ähnlich hat es Magwas formuliert: „Ich habe viel an Beleidigungen, Bedrohungen, aber leider auch viel Gleichgültigkeit erlebt. Das raubt Kraft.“ Das richtet sich an alle Bür­ger*innen, an uns, die wir viel zu häufig die Klappe halten, sei es auch „nur“ nach einer hetzerischen Äußerung im Supermarkt oder auf dem Familienfest, wenn alles gerade so anstrengend ist. An uns, die zuschauen, wie die Demokratie Schaden nimmt.

Zu wenig Solidarität aus den eigenen Reihen

Bei Magwas dürfte sich die Kritik auch an die eigene Partei richten, die die liberale Christdemokratin oft im Regen stehen ließ. Neubauer hat sich offen über die mangelnde Unterstützung der CDU beklagt, die im Kreistag wohl auch mehrmals mit der AfD stimmte. Während sich sächsische Spit­zen­po­li­ti­ke­r*in­nen von SPD und Grünen nach der Rücktrittsankündigung solidarisierten, herrschte bei der CDU zunächst weitgehend Stille.

Ein Landesvorstandsmitglied aus Mittelsachsen lehnte auf X Gewalt gegen Politiker kurz ab und schrieb dann gehässig (bis er es wieder löschte): „Parteilos, planlos, ratlos … und nun sein Amt los.“ So setzt man Rechtsextremisten keine Grenzen. Wer die Demokratie verteidigen will, muss im Zweifelsfall bei den De­mo­kra­t*in­nen stehen – das gilt für links wie rechts. Also für die, die gerne mal vorschnell rechts und rechtsextrem gleichsetzen und bezweifeln, dass man mit der CDU für die Demokratie demons­trieren kann.

Und für jene, die Linke und Grüne als Feind darstellen und denen vor lauter Wokeness das Wesentliche aus dem Blick gerät. Das mit der Demokratie, das bekommen wir nur gemeinsam hin.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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