Andreae ersetzt Kuhn bei den Grünen: Mit Wirtschaft nach vorne
Kerstin Andreaes Aufstieg – da sind sich viele in der Partei einig – war nur eine Frage der Zeit. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion gehört zum Realo-Flügel.
Manchmal fügen sich Wechsel so, dass beide was davon haben: die, die kommt, und der, der geht. Bei Kerstin Andreae, 43, ist das der Fall. Die Bundestagsabgeordnete wird die neue Vizechefin der Grünen-Fraktion und ersetzt Fritz Kuhn. Der dürfte froh über eine Aussicht sein, sich aus der Fraktion verabschieden zu können. Doch dazu später.
Andreaes Aufstieg – da sind sich viele in der Partei einig – war nur eine Frage der Zeit. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion gehört zum Realo-Flügel. Sie ist ehrgeizig, ihr werden Ambitionen nachgesagt, irgendwann Renate Künast als Chefin zu beerben. Die habe sie unterstützt, behaupten Fraktionskreise, weil Andreae für Verjüngung und Kompetenz stehe.
In der Tat wird Andreaes Fachkenntnis allgemein anerkannt – auch wenn bei den Grünen die Ökonomie nicht das einfachste Feld ist, um sich zu profilieren. Sie wirbt beim Mittelstand für die Energiewende, oder sie kämpft gegen hohe Steuern für Unternehmer. Und hat sich so bei den Parteilinken Feinde gemacht. Etwa, als sie vor dem letzten Parteitag gegen den Spitzensteuersatz von 49 Prozent trommelte. In ihrer neuen Funktion setzt sie auf Integration. „Meine Aufgabe ist, die Breite der Fraktion zu präsentieren.“ Im Arbeitskreis 1, der sich mit Wirtschaft, Haushalt oder Arbeit befasst, wolle sie Gender-Akzente setzen. „Ich möchte Themen querbürsten: Wie sieht gute Steuerpolitik aus Frauensicht aus?“
Auch privat passt Andreaes Schritt, die für die beiden jüngsten Kinder ihren Aufstieg unterbrach. Ihr Ehemann Volker Ratzmann verabschiedete sich nach verlorenem Machtkampf neulich vom Grünen-Fraktionsvorsitz in Berlin. Er tritt kürzer, sie startet durch: Karriereplanung wie aus dem grünen Bilderbuch.
Und Fritz Kuhn? Der war bei den Grünen fast alles: Parteichef, Fraktionschef. Dann verdrängte ihn 2009 Jürgen Trittin – Kuhn musste sich mit der Stellvertretung begnügen. Viele finden, dass er zuletzt wenige Akzente setzte. Entsprechend dürften alle glücklich sein, den Politikprofi für eine neue prominente Rolle gewonnen zu haben: Kuhn will Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart werden.
Leser*innenkommentare
Herrmann
Gast
Liebe taz, könnt Ihr schon sagen, wer Andreae auf dem Posten als wirtschaftspolitische Sprecherin beerben wird?
axel
Gast
Die Grünen haben mit der damaligen, mitverantworteten, mehrfachen Senkung des Spitzensteuersatzes und mit der Agenda-Politik zur Umverteilung von unten nach oben drastisch beigesteuert. Eine Konsequenz ist, daß jedes 7 Kind mittlerweile von Hartz4 leben muß.
Der Kampf "gegen hohe Steuern für Unternehmen" ist dann nur als weiterer Beleg für die unsoziale Politik der Grünen zu werten im Verbund einer großen CDU/SPD/FDP/Grüne-Koalition von Sozialstaatszerstörern. Dazu paßt die Gauck-Kandidatur vortrefflich.
thbode
Gast
Also ich bin nicht Partei bei den Auseinandersetzungen zwischen Flügeln der Grünen.
Das möchte ich voraus schicken wenn ich darauf hinweise dass der angestrebte Spitzensteuersatz von 49% sehr wenig zu tun hat mit Unternehmens-Besteuerung.
Bei den 49% geht es nicht darum Investitions-Kapital zu belasten sondern um das was privat im Säckel verschwindet.
Es gibt bei diesem Thema immer 2 Aspekte, die von Interessierte gerne vermischt werden um Nebel zu werfen. Es gibt den ethischen Aspekt von Gerechtigkeit, und den technischen, volkswirtschaftlichen Aspekt.
Aus ethischen Gründen erschiene mir ein weitaus höherer Satz als 49% sinnvoll. Kann man aber diskutieren. Aus technischer Sicht ist ein geringeres verfügbares Privat-Einkommen bei den Vermögendsten auch kein Problem. Es kann ohnehin nicht verkonsumiert werden und somit die Binnenwirtschaft stärken, selbst wenn man sich jeden Morgen Blattgold auf den Toast legen würde. Es wird also nur wieder in die lustigen Fonds und Derivate gesteckt die in vielfacher Menge des Realvermögens täglich um den Globus jagen.
Matze38
Gast
warum sagt man immer realos, dieses wort passt doch gar nicht zu diesen leuten und suggeriert den menschen was falsches. das sind neoliberale, die bei grünen und spd viel zu viel macht haben und diese parteien in die falsche richtung lenken.
bei den linken habe ich noch hoffnung, das sie ihre realos in schach halten können, sonst nehmen die den gleichen weg, wie die grünen und es gibt dann keine wählbare partei mehr.
vic
Gast
"sie gehört zum Realoflügel"
Wie, gibt`s denn auch noch andere bei den Grünen?
Artur
Gast
Quote: "sie kämpft gegen hohe Steuern für Unternehmer"
Häh???
wahrhaft
Gast
Na wunderbar. Und wann entwerfen die ehemals sozialen (und ehemals friedliebenden) dann Hartz V?
Tomate
Gast
Und wieder gehen die Grünen einen Schritt weiter in Richtung grüne FDP und Schwarz-Grün. Was ist aus der Partei der 80er geworden? Gibt's bei den Grünen nur noch Karrieristen und PR-gewandte Machtstrategen?
Vor acht Jahren hat sich die SPD über solche Entwicklungen gespalten. Wo bleiben heute die echten Grün-Alternativen? Schon so früh im Altersheim? Oder bei Der Linken...?
Graswurzel
Gast
Ein Neoliberaler geht. Eine Neoliberale kommt. Nichts Neues unter der grün"liberalen" Sonne also.
Wie schändlich: eine Erhöhung des Steuersatzes für "Besserverdienende", wie sie selbst, wird von ihr vehement bekämpft - das wäre nämlich ein nichttolerierbarer Affront gegen die "marktkonforme Demokratie" des heutigen monetär-privilegierten Komplexes in der real existierenden Bankrokatie der Neuzeit. Dagegen kann und darf man nicht sein.
Loretta
Gast
Frau Andreae ist allen Ernstes mitten in der Finanzkrise gegen die Vermögenssteuer von nur 49 Prozent, wo sie sogar unter Helmut Kohl bei 53 Prozent lag.
Meine Güte, bei den Grünen kommen auch nur FreundInnen der Reichen nach oben.
Unwählbar, der Verein!
Manuel
Gast
Scheinbar gibt's bei den Grünen wieder einen totalen neoliberalen Flashback. Nach der Nominierung von Kuhn steigt jetzt wieder eine INSM-Lobbyistin auf...
Man hatte ja zeitweise die Hoffnung, diese Partei hätte aus dem Agenda 2010-Desaster zumindest ein bißchen gelernt.
oranier
Gast
„Ich möchte Themen querbürsten: Wie sieht gute Steuerpolitik aus Frauensicht aus?“
Da ist "gegen den Spitzensteuersatz von 49 Prozent" bestimmt schon ein hervorragender Ansatz, wären dadurch doch allzu viele weibliche abhängig Beschäftigte benachteiligt.