Analyst über deutsches Hisbollah-Verbot: „Eine symbolische Entscheidung“
Die Kommunikation mit der Hisbollah komplett zu kappen, wäre fatal, warnt Julien Barnes-Dacey. Es würde die Stabilität des Libanon gefährden.
taz: Herr Barnes-Dacey, Deutschland hat mit einem Betätigungsverbot sämtliche Aktivitäten der Hisbollah hierzulande untersagt. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Julien Barnes-Dacey: Es handelt sich eher um eine symbolische als um eine substanzielle Entscheidung. Ich habe den Eindruck, dass diese Entscheidung in der deutschen Politik begründet ist und eine Reaktion auf den Druck der USA darstellt. Sie wird aber wahrscheinlich nicht die europäische Position ändern, die eine Form des Dialogs mit dem politischen Flügel der Hisbollah aufrechterhält.
Die Hisbollah pflegt antisemitische Rhetorik – stärkt das Verbot also nicht auch die deutschen Beziehungen zu Israel?
Das deutsche Verbot ist eher im Kontext eines geopolitischen Vorgehens zu sehen, als dass es notwendigerweise von Antisemitismus-Bedenken getrieben war – obwohl die Position der Hisbollah gegenüber Israel eindeutig der Grund deutscher und US-amerikanischer Opposition ist. Symbolisch ist das Verbot in dem Sinne, dass die Hisbollah keine nennenswerte materielle Präsenz in Deutschland hat. Der USA ging es darum, im Rahmen ihrer Kampagne für maximalen Druck gegen den Iran, auch Druck auf die Hisbollah auszuüben.
Die Hisbollah wird vom Iran finanziell unterstützt. Welche Auswirkungen hat die deutsche Entscheidung auf die Beziehungen zwischen der EU und dem Iran?
Die Auswirkungen werden begrenzt sein. Deutschland hat sich nicht an der umfassenderen US-Kampagne gegen den Iran und seine Verbündeten beteiligt. Im weiteren Sinne ist das Verhältnis zwischen Deutschland und dem Iran – wie auch zwischen Europa und dem Iran – bereits durch erheblichen Antagonismus geprägt, auch wenn beide Seiten in Fragen wie dem Atomdeal einen konstruktiven Ansatz verfolgen. Die jüngste Entscheidung Deutschlands wird zu diesen anhaltenden Spannungen beitragen, aber die Beziehungen nicht grundlegend verändern.
ist Direktor des Nahost- und Nordafrika-Programms des European Council on Foreign Relations (ECFR), ein Think-Tank, der sich mit europäischer Außenpolitik beschäftigt. Er hat als Journalist im Nahen Osten gearbeitet und von 2007 bis 2011 in Syrien gelebt.
Und die Beziehungen zwischen der EU und dem Libanon?
Ich denke, auch hier wird die Entscheidung nur sehr begrenzte Auswirkungen haben. Ich habe den Eindruck, dass sich die deutsche Regierung um den Wert eines laufenden europäischen Engagements mit der Hisbollah weiterhin bewusst ist – angesichts der herausragenden Rolle, die die Gruppe im Libanon spielt.
Wie beurteilen Sie die Stellung der Hisbollah im Libanon?
Die Hisbollah hat mehrere Rollen: Sie ist ein dominanter sozialer, politischer und militärischer Akteur vor Ort und eine Kraft, die anerkannt werden muss. Die Hisbollah, die im Parlament vertreten ist, kann nicht aus dem Libanon verdrängt werden. Alle von außen gesteuerten Versuche in diese Richtung werden sich wahrscheinlich als kontraproduktiv erweisen und die Instabilität des Landes vertiefen.
Was sind die Gründe dafür, die Kommunikationskanäle mit der Partei offen zu halten?
Wenn die Europäer helfen möchten, den Libanon zu stabilisieren und einen weiteren Zusammenbruch angesichts der Proteste und der Coronapandemie zu verhindern, dann muss die Hisbollah unweigerlich Teil dieses Prozesses sein. Europa muss sich sowohl engagieren als auch Druck auf die wichtigsten einheimischen Akteure ausüben. Es wäre selbstzerstörerisch, die Kommunikation mit einem solchen Schlüsselakteur wie der Hisbollah abzubrechen.
Die Wirtschaftskrise geht auf Jahrzehnte der Korruption und Misswirtschaft zurück. Durch die Covid-19-Pandemie haben sich Armut und Arbeitslosigkeit verschärft. Preiserhöhungen bei Konsumgütern lösten erneut heftige Proteste aus. Im März beglich die Regierung erstmals ihre Schulden bei örtlichen und internationalen Eurobond-Besitzern nicht.
Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) stellte die libanesische Regierung kürzlich einen Fünf-Jahres-Plan vor, auf dessen Grundlage sie Finanzhilfe beantragen werde. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa kündigte baldige Verhandlungen mit dem Land an. (ap)
Der Libanon befindet sich in der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Deutschland ist Teil der Arbeitsgruppe des Internationalen Währungsfonds (IWF), die über ein Rettungspaket entscheidet. Zugleich gilt die Regierung als Hisbollah-nah. Welchen Einfluss hat das auf die Finanzspritzen?
Aus deutscher und EU-Perspektive dürfte die Verbindung zur Hisbollah kein Grund dafür sein, dringend benötigte Hilfe zur Verhinderung des vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruchs aufzuschieben. Die eigentliche Frage ist, ob die US-Regierung ihr effektives Vetorecht nutzen wird, um die wirtschaftliche Unterstützung von Akteuren – oder sogar der Regierung insgesamt – aufgrund der angenommenen Verbindungen zur Hisbollah zu blockieren.
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