Analyst über den Staatsstreich in Guinea: „Wahlen lösen die Probleme nicht“
Stürzt der jüngste Staatsstreich in Guinea die ganze Region in die Krise? Nein, sagt Analyst Gilles Yabi. Jedes Land sei individuell zu betrachten.
taz: Herr Yabi, war der jüngste Staatsstreich in Westafrika – in Guinea – eine Überraschung?
Gilles Yabi: Nicht wirklich. Die politische Situation war angespannt, was sich im vergangenen Jahr noch verschärft hat. Das dritte Mandat des Präsidenten Alpha Condé hat für große Spannungen und Gewalt gesorgt. Es gab Tote während der Proteste sowie Verhaftungen. Diese Situation hat das Militär für einen Staatsstreich genutzt.
ist politischer Analyst und Gründer der Denkfabrik WATHI in Senegals Hauptstadt Dakar.
Zeigt der Staatsstreich nun, dass eine Verfassungsänderung und ein drittes Mandat letztendlich doch nicht möglich sind?
Nein. Alpha Condé hat sein drittes Mandat ja bekommen. Das ist auch Alassane Ouattara in der Elfenbeinküste gelungen, der weiterhin an der Macht ist. Viele hoffen allerdings, dass die Staatschefs daraus ihre Lektion lernen.
Könnte das nun die Stimmung in der Elfenbeinküste aufheizen? Auch dort gab es Proteste gegen das dritte Mandat Ouattaras.
Man muss aufpassen. Zwar gibt es Übereinstimmungen. Man darf aber nicht vergessen, dass jedes Land seinen eigenen politischen Kurs hat. Guinea hatte alle Elemente, um anfällig für einen Staatsstreich zu sein. Es gab bereits Staatsstreiche und Militärregime. Die Armee ist bis heute nicht sehr organisiert. Diese internen Bedingungen sind stets sehr wichtig.
Wie wirkt sich das auf die Region aus? Auch in Mali gibt es nach dem Putsch im August 2020 keine gewählte Regierung. Dort wie in Burkina Faso und Niger verüben Extremisten zudem schwere Anschläge.
Es gibt ein Problem mit bewaffneten Gruppierungen, Dschihadisten und politischer Instabilität. Das ist nicht neu. Die Krise in Mali hat 2012 begonnen und sich ausgebreitet. Für die ganze Region ist das ein Sicherheitsproblem. Dennoch muss man die Länder individuell betrachten.
Welche Rolle spielt die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas? Sie fordert mittlerweile, innerhalb von sechs Monaten zur Verfassung zurückzukehren.
Die Situation in Guinea ist speziell. Viele Akteur*innen hatten sich gegen Condés Verbleiben in der Politik ausgesprochen. Es wäre schlecht, nun besonders hart im Umgang mit Guinea zu sein. Seit Langem gibt es viel Kritik an der Ecowas. Sie verurteilt einen Militärputsch, aber keinen Verfassungsputsch (also die Änderung der Verfassung, damit Präsident*innen an der Macht bleiben können, Anm. d. Red.). Auch das ist verfassungswidrig. Die Ecowas ist also in einer schwierigen Position. Viele Menschen erinnern sich nun, dass sie kaum auf das dritte Mandat Condés reagiert hat und auch nicht auf die Gewalt im vergangenen Jahr.
Nach jedem Staatsstreich werden zügig Neuwahlen gefordert. Was bedeutet das?
Das kann nicht die einzige Reaktion sein. Wahlen lösen die Probleme nicht, und danach kann es erneut zu einem Putsch kommen.
Welche Schritte sind nun für Guinea notwendig?
Es gibt viel zu tun. Man kann nicht darüber sprechen, wenn man beispielsweise nicht weiß, wie die öffentliche Verwaltung funktioniert. Wichtig ist, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Realitäten zu kennen. Man muss unterscheiden, was kurz-, mittel- und langfristig umzusetzen ist. Von Bedeutung ist auch, dass in Guinea ein Diskurs stattfindet und gemeinsam entschieden wird, wie der Übergang abläuft. Es wäre gefährlich, wenn das alleine in der Hand des Militärs liegt. Vergessen darf man auch nicht, dass es viele Menschen hinter Alpha Condé gab, die sein drittes Mandat befürwortet haben. Sie werden versuchen, weiterhin in der Politik zu bleiben. Darauf muss man sehr achten.