Analyst über Verfall des Ölpreises: „Vor der Hacke ist es duster“
Erdöl kostet nur noch um die 30 US-Dollar pro Barrel. Das wird auch so bleiben, glaubt der Volkswirtschaftler Lars Ehrlich.
taz: Herr Ehrlich, die Ölpreise befinden sich in dieser Woche im freien Fall. Wieso?
Lars Ehrlich: Aktuell schlagen sich vor allem zwei Faktoren nieder: Ungewissheit über die wirtschaftliche Lage Chinas und dass der Iran mit dem Ende der Wirtschaftssanktionen wieder physisch am Ölmarkt teilnimmt. Das hat sich schon seit Juli abgezeichnet. Jetzt ist der Iran faktisch wieder da, aber es herrscht Unklarheit darüber, wie schnell und wie viel Öl der Iran zusätzlich in den Markt pumpen kann.
Und warum geht es jetzt so schnell?
Wenn man sich das große Bild anguckt, ist „Iran“ nur ein Einmaleffekt. Entscheidend im großen Bild ist, ganz simpel: Das Angebot übersteigt die Nachfrage. Und in einer solchenSituation fällt der Preis. Schon seit 2014 wird mehr gefördert als effektiv verbraucht wird.
Wer ist dafür verantwortlich?
Alle Ölproduzenten. Entscheidend für den Anstieg der weltweiten Produktion war aber der starke Anstieg der nichtkonventionellen Förderung, also etwa von Schieferöl, Ölsanden in den USA und Kanada. Aber auch Länder wie Saudi-Arabien produzieren nahe an Rekordförderungen.
30, ist Volkswirt und arbeitet am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut.
Aber mit ihrem Überangebot schaden sich doch die Förderländer – und vor allem Saudi-Arabien – selbst.
Die Opec als Organisation der wichtigsten Förderländer gibt es schon noch. Doch die Strategie der Opec kennen wir nicht. Die Verhandlungen sind nicht öffentlich. Meine Lesart der Strategie: Die Opec will ihre Marktanteile verteidigen! Und sie nicht neuen Anbietern wie beispielsweise den USA überlassen. Und die Opec kann tendenziell zu günstigeren Kosten fördern als die neuen Marktteilnehmer. Und diesen Vorteil spielt sie in einem Machtkampf aus.
Ölpreisprognosen gehen meistens daneben. Können Sie trotzdem einen Trend erkennen, der ein Ende des Billigöls bewirken könnte?
Vor der Hacke ist es duster, sagt der Bergmann. Wenn man sich die Fundamentaldaten – also Angebot und Nachfrage – anschaut, wird noch bis Ende dieses Jahres ein Angebotsüberhang bestehen. Der Ölpreis dürfte in den niedrigen Regionen bleiben, wo er jetzt gehandelt wird. Darauf richten sich auch die Ölproduzenten ein: Es werden Investitionen verschoben, Jobs gestrichen. Auch die Industrie richtet sich auf einen länger niedrigen Ölpreis ein. Nur Extremereignisse, geopolitische Krisen könnten die ganze Situation umkrempeln.
Welche Rolle spielen Spekulanten beim Preisverfall?
Spekulanten spielen eine Rolle. Aber die fundamentale Marktlage können sie nicht ändern. Sie können Trends in der Spitze verstärken, aber für die Situation, wie sie am Weltmarkt vorherrscht, sind nicht Spekulanten verantwortlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption