Analyse zu Dschihadisten in Deutschland: Bei den Salafisten radikalisiert
Jung, männlich, ungebildet – so beschreibt eine Analyse deutsche Dschihadisten. Ihre Radikalisierung verläuft häufig selbst von ihrer Familie unbemerkt.
BERLIN taz | Denis Cuspert ist der Bekannteste von ihnen. Der ehemalige Berliner Rapper „Deso Dogg“, der sich jetzt Abu Thala der Deutsche nennt, gehört nach Erkenntnissen des Berliner Verfassungsschutzes inzwischen zum engeren Kreis der Terrorganisation Islamischer Staat (IS). Die Behörde hat gerade einen Bericht veröffentlicht, der Cusperts Lebensweg von Berlin-Kreuzberg nach Syrien, vom „Gangsta-Rapper“ zum Dschihadisten nachzeichnet. Von dort ruft der 38-Jährige radikalisierte Salafisten in Deutschland auf, sich dem IS anzuschließen.
Mehr als 400 Islamisten sind nach Erkenntnis des Verfassungsschutzes seit 2012 aus Deutschland ausgereist, um in Syrien in den Heiligen Krieg zu ziehen. Über die meisten von ihnen ist wenig bekannt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nun im Auftrag der Innenministerkonferenz Informationen über 378 der Ausgereisten zusammengetragen. Die Analyse ist noch unveröffentlicht, die Berliner Morgenpost hat daraus zitiert.
Das Ergebnis: Die Kämpfer aus Deutschland sind jung, männlich und meist ungebildet. Nur jeder Vierte von ihnen hat einen Schulabschluss. Gerade mal sechs Prozent haben eine Ausbildung, zwei Prozent ein abgeschlossenes Studium. Die Jüngsten waren bei der Ausreise gerade mal 15, der Älteste 64 Jahre alt. Jeder Dritte stammt aus der Gruppe der 21-25 Jährigen. Etwa 40 der Ausgereisten sind. Ein Fünftel war arbeitslos gemeldet. Nur zwölf Prozent hatten einen Job, meist im Niedriglohnsektor.
233 der Islamisten haben einen deutschen Pass, 60 Prozent wurden in Deutschland geboren, als Geburtsländer folgen Syrien (8 Prozent) und die Türkei (6 Prozent). 240 kamen laut Analyse als Muslime zur Welt, 54 sind deutschstämmige Konvertiten.
Die Analyse zeigt auch, dass die Radikalisierung der Dschihad-Reisenden fast ausnahmslos in der Salafistenszene begann. Und: Sie wurde oft weder vom Umfeld noch von den Sicherheitsbehörden bemerkt. Dabei hatten viele bereits Kontakt mit den Sicherheitsbehörden: 117 der Ausgereisten begingen Straftaten, bevor sie sich radikalisierten – meist Gewalt-, aber auch Eigentums- und Drogendelikte.
Bei 40 Islamisten aus Deutschland gibt es Hinweise, dass sie in Syrien gestorben sind. Etwa ein Drittel der Ausgereisten soll zwischenzeitlich wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Einige der Ausgereisten stellen ihre Gewaltbereitschaft in grausamen Propagandavideos zur Schau: Mustafa K., der aus dem nordrhein-westfälischen Dinslaken stammt, posierte mit abgeschlagenen Köpfen; Cuspert zeigte sich, als er die Leichen syrischer Regierungssoldaten schändete.
Die Analyse soll Ansatzpunkte für Präventionsarbeit liefern. Bisher läuft die beim Verfassungsschutz gar nicht gut: Das Aussteigerprogramm „Hatif“ wurde vor wenigen Tagen eingestellt. Bei der Hotline, bei sich ausstiegswillige Islamisten melden konnten, hatte sich fast niemand gemeldet. Kritiker hatten gleich zu Beginn angemerkt, dass ein Geheimdienst wohl nicht die richtige Anlaufstelle für Aussteiger sei.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise der Linkspartei
Ein Tropfen reicht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen
Ende des Brics-Gipfels
Guterres diskreditiert die Vereinten Nationen
Getötete Journalisten im Libanon
Israels Militär griff Unterkunft von TV-Team an
Wissings Verkehrsprognose 2040
Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel
Freihandel mit Indien
Indien kann China als Handelspartner nicht ersetzen
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde Dollar zu