Analyse der US-Wahl: Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Was Donald Trump und Elon Musk an Herrschaft vorschwebt: Keine Regeln zähmen die Mächtigen mehr. Sie planen den blindwütigen Abbau von Regulierungen.
N ach der US-Präsidentschaftswahl im November wurde Trumps Erfolg auch als Sieg über die Wokeness bezeichnet. Wobei diese sehr diffus alles vom Antirassismus bis zu Transgender-Rechten umfasst. Eine stark verkürzte Sicht der Dinge.
Denn die Opposition lautete nicht einfach: kapitalistische Rechte gegen woke Linke. Vor nicht allzu langer Zeit schien Wokeness noch durchaus vereinbar mit dem Big Business. Das Silicon Valley galt als Prototyp für diese Verbindung. Ebenso Turnschuhproduzenten, die mit Transmodels warben. Oder Brauereien, die sich mit schwarzen Aktivisten schmückten.
Das, was heute als Wokeness verteufelt wird, galt also lange als Teil der liberalen Herrschaft – als Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz sozusagen. Deshalb haben linke Kritiker diese Allianz auch immer denunziert. Ganz prominent Slavoj Žižek, für den Wokeness das liberale Feigenblatt einer ausbeuterischen Kapitalordnung war.
Zuordnung wieder gekappt
Die Links-rechts-Zuordnung ist hier also deutlich komplizierter. Umso mehr, seitdem diese Allianz auch teilweise wieder gekappt wurde. So hat etwa das Silicon Valley zunehmend davon Abstand genommen. Namentlich die Tech-Milliardäre, der Deutsche Peter Thiel (schon seit Längerem) und der in Südafrika aufgewachsene Elon Musk (seit Neuestem).
Um diese Gemengelage einzuordnen, muss man sich in Erinnerung rufen: Der Liberalismus kennt drei Formen. Die ökonomische des heutigen Neoliberalismus. Die gesellschaftliche der heutigen Wokeness. Und die politische der liberalen Demokratie.
Diese drei Formen zusammen bilden das gesamte Paradigma des Liberalismus. Was wir derzeit erleben, ist nicht das, was der Populismus meint: Keinen wirklichen Wechsel des Systems, sondern vielmehr eine Auseinandersetzung innerhalb dieses liberalen Paradigmas. Die Verbindung zwischen diesen drei Formen lockert sich – sie driften auseinander.
Liberalismus, nackt
So haben wir nun auf der einen Seite immer noch jenen Neoliberalismus, der alle Formen von Wokeness integriert und sich auf jene Form der Demokratie beruft, die dazu passt. Und auf der anderen Seite jenen ökonomischen Liberalismus, der all seine „Feigenblätter“, das woke ebenso wie das demokratische, abgeworfen hat – und der nun quasi als nackter Liberalismus auftritt.
Solchermaßen entblößt, zeigt er sein anderes, sein autoritäres Gesicht. Denn nackter Liberalismus bedeutet vor allem eines: Keine Regeln, keine Grenzen zähmen die neuen Mächtigen mehr. Es bedeutet den Abbau von Regulierungen aller Art.
Diese unmäßige und einseitige Steigerung von Liberalismus – diese seine Enthemmung bildet gewissermaßen den „liberalen Kipppunkt“: Das ist der Moment, an dem sich seine Entwicklung nicht nur rasant beschleunigt, sondern auch seine Richtung wechselt. Wo er sich also in sein Gegenteil verkehrt.
Lustvoller Bruch
Wo Liberalismus eben in Illiberalismus kippt. Dies zeigt sich bei jedem von Trumps Schritten. Exemplarisch etwas bei den irrwitzigen Nominierungen für sein Kabinett. Dies ist kein Austausch von Politikpersonal im herkömmlichen Sinne. Trump zelebriert vielmehr lustvoll einen Bruch mit allen bisherigen Kriterien zur Besetzung von politischen Ämtern. Eine höhnische Verkehrung des Bewertungssystems. Eine regelrechte Umwertung aller politischen Werte.
Das neue zentrale Kriterium ist nicht nur die viel zitierte Loyalität zu Trump. Das Motto lautet zudem: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Ungeeignetste im ganzen Land?“ Ein Unterbietungswettbewerb! Hier gilt die Antikompetenz, das Gegenteil von Kompetenz als das neue entscheidende Kriterium. Indem das politische Establishment und der demokratische Betrieb solcherart unterlaufen werden, wird dem gesamten Gefüge – das bislang zumindest in Teilen auf Rationalität beruhte – der Kampf angesagt.
Ein disruptiver Umbau. Denn ebendieses Gefüge gilt den Trumpisten als illegitimer Deep State, als Staat im Staate, der durch solche irrwitzige „Anti-Logik“ ausgehebelt werden soll. Der bloß ökonomische Liberalismus killt damit das Politische im bisherigen Sinne. Wenn man bedenkt, dass Trump vorwiegend von Arbeitern gewählt wurde, dann muss man sagen: Das ist Klassenkampf als böse Parodie. Eine Revolution als Farce.
Die Autorin ist Publizistin in Wien
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