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An der Front im DonbassWo Russlands Offensive erlahmt

In der Stadt Torezk hat die ukrainische Armee wieder Fuß gefasst und hält russische Angriffswellen zurück. Es tobt ein komplexer Drohnenkrieg.

An den Schlackenhalden von Toretsk begann im September 2024 Russlands Eroberung. Die Bergbaustadt ist mittlerweile zerstört Foto: Iry­na Rabakova/Ukrainian 93rd Mechanized brigade via ap

Kostjantyniwka taz | Ein kleines Privathaus am Rande eines Dorfes unweit der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka im Gebiet Donezk. Hier können sie endlich einmal durchatmen – Soldaten der 100. separaten mechanisierten Infanterie-Brigade „Sotka“ der ukrainischen Armee. Vor dem Haus pfeift ein starker lauter Wind, in der Ferne sind Explosionen von Granaten zu hören. Im Hof des Nachbargebäudes gackern Hühner.

„Sotka“ hält seit acht Monaten die Front im rund 20 Kilometer von Kostjantyniwka entfernten Torezk. In der strategisch wichtigen, bis vor kurzem noch größten, Frontstadt in der Region Donezk sind von einst 35.000 Ein­woh­ne­r*in­nen nur ein paar hundert übrig geblieben. Weite Teile der Plattenbauten im Zentrum der Bergbaustadt liegen in Trümmern.

Anfang Februar 2025 hatte Russland die Einnahme von Torezk gemeldet. Mittlerweile ist es den Ukrainern gelungen, in Torezk bestimmte Positionen wieder zurückzuerobern. Militärkarten zufolge halten die russischen Besatzer jetzt noch den südlichen Teil der Stadt.

Die Lage in Torezk ist bedrohlich, da die Russen versuchen, die ukrainische Logistik mithilfe von Artillerie und Drohnen zu stören sowie die ukrainischen Verteidigungsstellungen mit Infanterie zu zerstören. Rotationen ukrainischer Kämpfer sind kaum möglich. So war beispielsweise ein Soldat der 100. Brigade 77 Tage lang unterbrochen an vorderster Position im Einsatz.

„Stabil, aber schwierig“

Sergej Siywa, Kompaniechef von „Sotka“, ist in diesem Krieg bereits mehrfach verwundet worden, im Gesicht hat er eine große Narbe. Glywa redet hastig, mit Unterbrechungen, aber so deutlich wie möglich. Selbst während des Gesprächs kontrolliert er alles, was um ihn herum passiert.

„In Torezk ist die Situation stabil, aber schwierig. Wir versuchen, den Feind abzuwehren und ihn nicht weiter vorrücken zu lassen“, sagt er. Laut Glywa kontrollierten die Streitkräfte der Ukraine derzeit etwa 40 Prozent der Stadt sowie den gesamten Ballungsraum mit den umliegenden Dörfern.

Der Kommandant erläutert, dass die Kampftaktik der Russen der von Einheiten der ehemaligen „Wagner“-Gruppe ähnelt, als sie im Frühjahr 2023 nach monatelangen Kämpfen die Stadt Bachmut 25 Kilometer nordöstlich von Torezk eroberten. Der Preis für „Wagner“: 20.000 tote Kämpfer.

„Auch jetzt rücken die Russen in kleinen Gruppen ohne gepanzerte Fahrzeuge aus. Sechs bis acht Personen, oft erreichen maximal zwei den Zielort. Sie kommen nach und nach, über Wochen, Monate hinweg, zwei, drei, manchmal auch bis zu fünf Soldaten. Dann beginnen sie, unsere Stellungen zu stürmen“, sagt Glywa. Dabei spielten eigene Verluste für die Russen keine Rolle – auch was den Nachschub an der Front angeht.

„Sie laufen los wie Kamele und haben Patronen und Granaten in ihren Rucksäcken, aber keine Sturmgewehre. Sie bringen das Material, laden es ab wie befohlen, ziehen sich zurück, ruhen sich etwas aus und dann das Gleiche wieder von vorn“, sagt Glywa.

Die russischen Besatzer, so Glywa, tragen Zivilkleidung, um sich in der Stadt zu bewegen und sogar anzugreifen. Denn das ukrainische Militär, erläutert er, habe den Befehl, nicht auf Zivilisten zu schießen. „Wenn die Person wirklich ein Zivilist ist, wird sie sich verstecken. Ein russischer Soldat jedoch hat zu 100 Prozent eine Granate oder ein verkürztes Maschinengewehr dabei. Und er wird handeln.“

Als Zivilisten verkleidete Soldaten

Von sogenannten „Zivilangriffen“ der Russen berichtet auch der Schütze der Brigade, der 25-jährige Nazar mit dem Kampfnamen „Nazik“. Er dient hier seit sechs Monaten. Während dieser Zeit wurde er bei einem gezielten Drohnenangriff verwundet. Jetzt jedoch ist er wieder zurück an der Front. Nazar trägt trotz des kühlen Wetters einen militärischen Panama-Hut, er lächelt schüchtern, manchmal lacht er sogar, wenn er über schwierige Kampfsituationen spricht.

„Der Trick, den die Russen anwenden, ist folgender: Ein Mann geht in Zivil die Straße entlang. Er tut so, als rufe er seinen Hund. Wir behalten ihn im Auge. Es gibt nur noch wenige Zivilisten in der Stadt. Doch per Funk heißt es, er sei bereits an unserem Fenster und wolle eine Granate werfen. Aber wir sind schneller. Du hast nicht das Recht, einen Zivilisten zu töten. Aber wenn du schon siehst, dass er ein Maschinengewehr oder eine andere Waffe trägt, dann ist das etwas anderes“, erzählt Nazar.

Die Soldaten sagen, es sei einfacher, im Stadtgebiet zu kämpfen. Allerdings müsse immer mit Drohnen gerechnet werden. Kompaniechef Glywa spricht von einem „Guerillakrieg“, weil die vordersten Stellungen gezwungen seien, zunächst im Hinterhalt zu bleiben, um nicht von feindlichen Drohnenbesatzungen gesehen zu werden. „Du bist in einem Gebäude und der Feind ist 50 Meter entfernt. Du musst still sitzen, damit er dich nicht entdeckt. Wenn der Feind dich zuerst entdeckt, zerstört er deine Position. Wenn nicht, sind wir die Ersten“, sagt er.

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

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Drohnen, ein Fachgebiet für sich

Laut Glywa sind die Russen in Torezk derzeit bei Drohnen klar im Vorteil. Am häufigsten setzten sie FPV-Drohnen ein - First Person View, eine Technologie, bei der der Bediener genau sieht, wohin die Drohne fliegt zunehmend auch per Glasfaser gesteuert. Diese seien immun gegen Störsender und auch mit guten elektronischen Kriegsführungssystemen nur schwer zu bekämpfen.

FPV-Drohnen seien im Stadtgebiet weniger effektiv als im offenen Gelände. Allerdings hätten die Russen gelernt, Unterstände auf andere Weise zu zerstören. Eine Drohne wirft zum Beispiel mehrere Panzerabwehrminen (TM) auf ein Gebäude oder einen Schutzraum ab und löst dann den Zünder aus. Durch die Explosion würde das Gebäude fast vollständig zerstört. „Diese TMs machen ihren Job“, sagt Glywa.

Nazik fügt hinzu, dass man sich vor einer russischen Drohne verstecken könne. Die Russen setzten jedoch mehrere Drohnen gleichzeitig ein und seien in der Lage, jedes Gebäude zu zerstören. Heutzutage könnten Drohnen auch große Mengen an Sprengstoff transportieren.

Mittlerweile werden Evakuierungen aus Torezk immer schwieriger. Sie erfolgen entweder nachts oder bei schlechtem Wetter. Russische Truppen kontrollieren Zufahrtsstraßen, umgehen Straßen aus der Ferne und machen sie mit Drohnen unsicher. Gleichzeitig haben die ukrainischen Verteidigungskräfte neue Möglichkeiten zur Evakuierung von Verwundeten. Dabei kommen insbesondere unbemannte Technologien zum Einsatz – Boden- und Luftdrohnen.

„Es gibt kleine selbstfahrende Autos mit Fernbedienung. Eins davon fuhr auf einen unserer Soldaten zu, er schaffte es hinein, ist aber verblutet. Im Einsatz sind auch Fledermausdrohnen (fast zwei Meter Durchmesser), aber man braucht jemanden, der den Verwundeten daran befestigt. Dann kann er in die Nähe eines Autos gebracht werden, das ihn weiter transportiert“, sagt Glywa.

Waffenstillstand? Unsinn

Der ukrainische Kompaniechef glaubt übrigens nicht, dass die Russen im Falle eines Waffenstillstandes ihre Absicht, Torezk einzunehmen, aufgeben werden. Moskau werde einen Waffenstillstand bloß nutzen, um sein Personal so massiv wie möglich neu aufzustocken und sich auf einen neuen Angriff vorzubereiten.

„Aber wir schlafen auch nicht“, versichert er. So könnten lokale Gegenangriffe mithilfe benachbarter Feuerunterstützungseinheiten durchgeführt werden. Sollte Torezk jedoch fallen, würden die Städte Kostjantyniwka und Druschkiwka angegriffen werden und die russische Armee könne tiefer vorstoßen.

Hier, in Richtung Torezk, glaubt jedoch kaum jemand ernsthaft an eine Feuerpause oder einen Waffenstillstand. In der Brigade „Sotka“ setzt man auch auf das Prinzip Hoffnung: Russisches Militär, das im Falle eines Waffenstillstands aus der Ukraine abgezogen würde, werde die Russische Föderation von innen heraus zerstören. Wladimir Putin wisse das und werde das daher nicht zulassen.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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15 Kommentare

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  • Einen Frieden wird es nur geben wenn sie den Verbrecher in Moskau entfernen. Dies allerdings kann nur passieren wenn in die eigenen Leute im engeren Zirkel in selbst vom Posten des Präsidenten entfernen. Leider, gut das ich nicht hier leben muss, mein Thailand ist mir heilig.

  • Sehr düstere und wirklich deprimierende Schilderungen aus dem Alltag von Soldatinnen und Soldaten.

    Da wird einem die Sinnlosigkeit des Ganzen und die Menschenverachtung desjenigen, der dies angeordnet hat, noch einmal klar.

    Was mir fehlt, ist eine Erklärung zum "Stand der Dinge", die über Einzelschicksale hinausgeht (aber diese natürlich auch einschließt): Welche Perspektiven sind in diesem Krieg möglich? Wird es immer weitergehen, bis es irgendeinen Verhandlungsfrieden gibt? Was kann man sich erhoffen?

    • @Stavros:

      Für militärische Expertise müssen Sie sich an andere Medien wenden, als eine Tageszeitung. Es gibt zahlreiche Analysten und Institute, die regelmäßig aktualisierte Lageeinschätzungen abgeben. Das Institure for the study of war z.B.

      • @Sybille Bergi:

        Kritisch anzumerken ist jedoch, dass die meisten Analysten und Institute Narrative verbreiten wie z.B. das ISW. Es gibt wenige unabhängige Analysten oder Institute. Der Österreicher Reisner ist hier z.B. eine gute Quelle. Er besitzt starke Sympathien für die Ukraine, trotzdem beeinflussen das nicht seine Analysen.

  • Letzter Abschnitt:



    "Russisches Militär, das im Falle eines Waffenstillstands aus der Ukraine abgezogen würde, werde die Russische Föderation von innen heraus zerstören."



    Ich verstehe das inhaltlich nicht. Kann es mir jemand erklären?

    • @willifit:

      Dito!

    • @willifit:

      Naja, stell Dir vor der Krieg ist vorbei, Du kommst nach Hause und was dann? Du hast nichts erreicht, bist dazu noch verletzt und hast PTBS, mal abgesehen von dem Mißbrauch den Du als Rekrut oder "Freiwilliger" ausgesetzt warst. Drogenprobleme v.a. Alkoholmißbrauch kommen dazu. Es gibt keine Arbeitsplätze für Dich und um vernünftige Nachsorge und Pension wirst Du vor Gericht streiten müssen.



      Die Folge sind eine Million männliche tickende Zeitbomben, die in die russische Gesellschaft zurückfluten. Depression, Gewalttätigkeit, Suizide, Obdachlosigkeit.



      In den USA gibt es einen Minister für Veteranenangelegenheiten, ein riesiges Netzwerk mit Klinikien, Anrecht auf Versorgung etc. Gibt es soetwas in Russland?

      • @Angelneuling:

        Das wäre wünschenswert, aber auch besorgniserregend, wenn man nur an die Nuklearwaffen denkt.

        Könnten ja auch von meuternden Soldaten als Erpressung oder Rache gegen den verhassten Westen eingesetzt werden.

        Natürlich, autoritäre Regime wirken solange stabil bis sie zusammenbrechen, doch bisher hat es Putin immer verstanden, sich Gefolgschaft zu verschaffen.

        Ich wäre also skeptisch ob dieses "Prinzips Hoffnung".

        • @Stavros:

          Ich teile Ihren Skeptizismus, der Putschzug ist mit Prigoschin abgefahren.

          Die Opportunisten haben gezeigt, dass sie lieber abwarten als einzugreifen und Leute mit Rückgrat dürfte es nach 25 Jahren Putinherrschaft kaum noch in Führungspositionen geben.

          Wenn also die Truppe im Feld nicht opponiert, wo sie bewaffnet sind und als Gruppe organisiert, wie sollen sie als vereinzelte Zivilisten wirksam werden?

          Und selbst wenn, nehmen wir mal an, Selensky auf Druck Trumps die vier Oblaste abtritt oder es zu einer Novemberrevolution im Stile Dtl. 1WK kommen sollte, hätten wir die Szenarien Italien und Dtl. nach dem ersten Weltkrieg und wo das hingeführt hat wissen wir. Wäre also sehr vorsichtig meine Hoffnung auf traumatisierte, jahrelang mit nationalistischer Propaganda vollgepumpte (Ex-)Soldaten zu setzen.

          "Depression, Gewalttätigkeit, Suizide, Obdachlosigkeit."

          Sind heute in Russland schon flächendeckende Phänomene und werden sicher zunehmen, aber haben auch nach zehn Jahren Afghanistankrieg nicht die SU zum Zusammenbruch geführt, sondern die wirtschaftliche Situation und die versuchte Demokratisierung von oben.

          • @Blutsbruder WinnePuh:

            Sie haben wahrscheinlich - leider! - Recht mit dieser Einschätzung und auch den Parallelen.

      • @Angelneuling:

        Jetzt wird´s klarer, danke!



        Ein sehr nachvollziehbarer Grund, warum Putin den Krieg nicht beenden will / kann.

    • @willifit:

      Eine kriegsmüde Truppe, die täglich sieht wie Kameraden mit risikoreichen Befehlen an der Front verheizt wird wird kein Putin Fan mehr sein und entsprechend seine Meinung sagen ggf. auch handeln zu Hause.



      Denke ich mal.

      • @Tom Farmer:

        Danke auch Ihnen.



        Wenn man das weiterdenkt, müsste Putin dafür Sorge tragen, dass ALLE seine Soldaten verheizt werden... Für ihn ist das sozusagen alternativlos - und der Krieg wird erst dann enden, wenn er keine Soldaten mehr hat.



        By the way: Wieviele nordkoreanische Soldaten sind wohl noch übrig?

        • @willifit:

          Das Problem an der Logik ist nur, dass die Ukraine eher keine Soldaten mehr haben wird.

        • @willifit:

          " Wenn man das weiterdenkt, müsste Putin dafür Sorge tragen, dass ALLE seine Soldaten verheizt werden... Für ihn ist das sozusagen alternativlos - und der Krieg wird erst dann enden, wenn er keine Soldaten mehr hat." Oder das er genug erobert hat um die Folgekosten dieses Krieges abzudecken dafür reicht aber die Ukraine nicht. Von den Nordkoreanern sind vermutlich nicht mehr viele übrig, da das für Nordkorea nur Probleme verursachen würde.