Amtshilfe in der Corona-Krise: Militär ins Flüchtlingsheim
Die Bundeswehr unterstützt zivile Behörden in dutzenden Fällen. In Thüringen könnte sie offenbar das Hausrecht einer Flüchtlingsunterkunft übernehmen.
Rund 50 Amtshilfeersuchen anderer Behörden liegen dem Ministerium laut Kramp-Karrenbauer derzeit vor. In keinem davon gehe es darum, dass Soldat*innen bei einem Einsatz im Inneren Polizei spielen, also beispielsweise eigenständig Menschen festnehmen. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür wären ohnehin sehr hoch.
Stattdessen gehe es derzeit um harmlosere Tätigkeiten nach Artikel 35 (1) des Grundgesetzes, die auch außerhalb von Krisenzeiten regelmäßig vorkommen. Die Bundeswehr hilft bei Transporten mit Lastwagen aus, baut Feldbetten auf und führt in ihren Laboren Corona-Tests durch. Laut Kramp-Karrenbauer könnte die Bundeswehr in diesem Rahmen aber auch Aufgaben übernehmen, die bisher private Sicherheitsdienste ausüben – etwa die Bewachung öffentlicher Einrichtungen.
Zum Beispiel im rot-rot-grün regierten Thüringen? Das Landesverwaltungsamt hat die Bundeswehr um Unterstützung in der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl gebeten, in der über 500 Flüchtlinge unter Quarantäne stehen und in der am Dienstag rund 150 Polizist*innen gegen Bewohner*innen vorgingen. Ein Sprecher des Migrationsministers Dirk Adams (Grüne) sagte der taz, dort gehe es um die „Betreuung und Versorgung der Geflüchteten“ durch Soldat*innen.
Bundeswehr widerspricht Landesregierung
Staatskanzleichef Benjamin Hoff (Linke) schrieb auf Twitter, in Suhl seien zivile Dienstleister ausgefallen. Das Amtshilfeersuchen drehe sich um „Versorgung für Essen und Reinigung“ und „nicht um Bewachung o.a.“. Ähnlich äußerte sich ein Sprecher der Staatskanzlei auf Nachfrage der taz.
Empfohlener externer Inhalt
Allerdings hatte Kramp-Karrenbauer zuvor angedeutet, Thüringen habe um Hilfe ersucht, da in Suhl „die privaten Sicherungsdienste im Moment nicht so verfügbar sind“. Ein Bundeswehrsprecher präzisierte auf Nachfrage, das Land habe am Montag „die Abstellung von Soldaten zur (schichtfähigen) Ausübung des Hausrechts“ in Suhl beantragt.
Am Mittwoch folgte demnach ein Antrag auf „Abstellung von Soldaten zum Betrieb zusätzlicher, durch die Quarantäne der Ersthilfeeinrichtung in Suhl notwendig gewordener, provisorischer Erstaufnahmeeinrichtungen“. Bisher habe die Bundeswehr über keines der beiden Ersuche entschieden.
Der Flüchtlingsrat Thüringen kritisierte das Vorgehen der Landesregierung. Dass Hilfe der Bundeswehr angefragt wird, zeuge für „tiefgreifende Strukturprobleme“ in der Suhler Einrichtung, sagte Sprecherin Ellen Könneker der taz. „Um Retraumatisierungen der Geflüchteten zu vermeiden, muss eine zivile Kleidung der Bundeswehr in den Versorgungsdiensten sichergestellt werden, falls sie zum Einsatz kommt. Keinesfalls sollte sie für die Absicherung des Geländes eingesetzt werden“, mahnte Könneker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“