Ampelkoalition reformiert Familienrecht: Alles Familie
Co-Eltern, Alleinerziehende, Polyamore: Die Gesellschaft ist bunter, als es das Gesetzbuch vorsieht. Wem könnte die Verantwortungsgemeinschaft nutzen?
Der Koalitionsvertrag hat eine ganze Reihe von Vorhaben versammelt. Eines davon ist die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft – ein Herzensprojekt der FDP. Bundesjustizminister Marco Buschmann hat angekündigt, dass es „bald nach der Sommerpause“ entsprechende Eckpunkte geben soll: Zwei oder mehr Erwachsene sollen Verantwortung füreinander übernehmen können, mit Folgen etwa für Auskunftsrechte im Krankheitsfall oder im Mietrecht.
Wie das im Detail aussehen könnte, lässt ein Antrag der FDP-Fraktion aus dem Jahr 2020 erahnen. Anders als damals vorgesehen hat Buschmann aber bereits klargestellt, dass die Verantwortungsgemeinschaft eine Option für Menschen sein soll, die explizit keine Liebesbeziehung führen.
Und: Anders als die FDP-Fraktion es sich damals vorstellte, soll es nun keinerlei steuerlichen Anreize geben. Also kein Ehegattensplitting, keine Freibeträge bei der Erbschaftssteuer. Ein kurzer Überblick, für wen außer der Single-WG die Verantwortungsgemeinschaft interessant sein könnte:
Die romantischen Zweierbeziehungen
Laut Koalitionsvertrag ist die Verantwortungsgemeinschaft für Menschen „jenseits von Liebesbeziehungen“ gedacht, also keine „Ehe light“. Das heißt aber nicht, dass nicht trotzdem auch Paare – egal ob homo- oder heterosexuell – sie eingehen werden. Die Ehe ist nicht so einfach wieder aufzulösen und in den Augen vieler ein verstaubtes Relikt des Patriarchats. Gleichzeitig sind unverheiratete Paare bis heute in vielen Punkten schlechtergestellt, etwa in Bezug auf die Auskunftsrechte, wenn eine*r nicht ansprechbar im Krankenhaus liegt. Und woher soll der Standesbeamte, bei dem sie in einem unbürokratischen Akt geschlossen werden soll, schließlich wissen, ob man sich freundschaftlich oder romantisch nahesteht?
In der taz hat die Juristin Gudrun Lies-Benachib vom Deutschen Juristinnenbund bereits Bedenken geäußert. Denn: Keine Ehe heißt nicht automatisch, dass es keine traditionelle Rollenverteilung gibt. Wenn eine Verantwortungsgemeinschaft aufgelöst wird und ein*e Partner*in sich vor allem um den Care-Bereich gekümmert hat, steht diese*r ohne die Sicherungsnetze der klassischen Ehe da. In Heterobeziehungen dürfte das vor allem Frauen treffen.
Die polyamoren Beziehungen
Regelungen abseits der Ehe gibt es auch in anderen EU-Ländern (zum Beispiel siehe unten: Pacs in Frankreich). Nirgends aber gibt es, was die Ampel nun plant: Regelungen für mehr als zwei Personen. Hier könnten Menschen in polyamoren Beziehungen aufhorchen.
Polyamore Beziehungen können drei Personen in einer gemeinschaftlichen Beziehung sein, oder aber eine Person mit zwei gleichberechtigten Beziehungen. Und da zeigt sich, dass noch viele Fragen offen sind. Wäre es denkbar, dass eine Person zwei Verantwortungsgemeinschaften mit jeweils eine*r Partner*in eingeht? Oder ist das Ganze eine exklusive Kiste?
Wie viele polyamor lebende Menschen es in Deutschland gibt, ist nicht bekannt. In einer Umfrage der Dating-Plattform Parship von 2017 gaben 3 Prozent der rund 3.200 Befragten an, schon einmal eine polyamore Beziehung geführt zu haben, und 12 Prozent gaben an, sich das vorstellen zu können.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Alleinerziehenden
It takes a village to raise a child. Alleinerziehende in Deutschland sind oft besonders belastet: Sie müssen allein das Haushaltseinkommen erwirtschaften und noch dazu die ganze Care-Arbeit übernehmen. Fiese Erkältung? Vergiss es, ins Bett legen ist nicht – immerhin muss gesaugt, gekocht und Verstecken gespielt werden. Da wäre es einfacher, sich zusammenzutun: In einer WG mit dem ebenfalls alleinerziehenden Kumpel, so dass beide mal ihre Ruhe haben können, oder mit den beiden besten Freund*innen, die selbst keine Kinder haben, sich aber gern mitkümmern. Aber was, wenn der Vermieter die Untermiete verweigert? Hier könnte die Verantwortungsgemeinschaft Abhilfe schaffen. Doch gehen damit auch automatisch Unterhaltspflichten einher?
Die Co-Eltern
Zwei lesbische Frauen und zwei schwule Männer bekommen zusammen ein Kind. Oder die Singlefrau mit dem schwulen Paar. Oder der trans Singlemann mit seinem besten Freund. Eine Liebesbeziehung besteht zwischen den Beteiligten entweder gar nicht oder nicht zwischen allen, und es leben auch nicht alle in der gleichen Wohnung. Trotzdem wollen alle gemeinsam für das Kind sorgen und füreinander einstehen, falls etwa eine Beteiligte nach einem Unfall pflegebedürftig ist. Mehrelternschaft ist in Deutschland bisher ausgeschlossen, das wird auch die Verantwortungsgemeinschaft nicht ändern.
Hier würde ein anderes Vorhaben der Ampel greifen: Die Ausweitung des bisher nur für Stiefeltern existierenden „kleinen Sorgerechts“ auf soziale Eltern, und zwar auf bis zu vier Personen. Mit dem „kleinen Sorgerecht“ können Menschen über die Alltagsbelange eines Kindes entscheiden. Was aber ist mit Elternzeit und Elterngeld? Haben darauf künftig alle Beteiligten Anspruch, sei es nun im kleinen Sorgerecht oder in der Verantwortungsgemeischaft? Für alle offenen Fragen hat der Bundesjustizminister hoffentlich Antworten parat, wenn er sein Gesetzesvorhaben präsentiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader