Am Puls der Neuen Musik in Berlin: In den Sesseln der Hochkultur

Bei Ultraschall werden alle orchestralen Stimmungslagen ausgekostet. Gleich zum Festivalauftakt ist wieder zu hören, dass Neue Musik ordentlich rockt.

Jonathan Stockhammer dirgiert das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin

Nur einer muss stehen beim Ultraschall-Eröffnungskonzert Foto: RBB/Simon Detel

Die Kultur ist momentan vor allem auch eine Frage des Stehens oder Sitzens. Darf man sitzen, findet sie tendenziell statt, die Kultur, während andererseits gerade eine ganze Generation heranwächst, die sich mit der Kulturtechnik des Ausgehens und Rumstehens auf Konzerten gar nicht richtig vertraut machen kann. Weil einfach so in schlechter Luft bei solidem Lärm in einem dunklen Kellerloch herumzulungern, vielleicht noch mit einem Becher Bier in der Hand, ist aus den bekannten pandemischen Gründen halt wieder mal nicht möglich.

Deswegen kann es nicht schaden, wenn man musikalisch etwas breiter aufgestellt ist und sich auch in die Sessel der Hochkultur plumpsen lässt. Weil, Faustregel: Rock oder Pop heißt auf und vor der Bühne stehen. Der Klassikbetrieb findet abgesehen vom Dirigenten im Sitzen statt.

Und so sitzt man am Mittwoch im Berliner Haus des Rundfunks in den eigentlich nur halbbequemen, rot gepolsterten Sesseln im Großen Sendesaal, beim Auftaktkonzert des Ultraschall-Festivals, bei dem noch bis zu diesem Sonntag wieder mal der aktuelle Pulsschlag in der Neuen Musik gemessen werden soll.

Und dass da die Sessel nicht zu bequem zum Lümmeln laden, ist schon auch eine kleine disziplinatorische, die Aufmerksamkeit herausfordernde Maßnahme. Weil man es sich in der Musik nicht zu bequem machen sollte, weil die gar nicht bequem zum Aussitzen sein will, die Neue Musik, also das Team Gegenwart der klassischen Musik. Das übrigens durchaus richtig rocken kann.

Expressives Schwelgen

Jedenfalls hatte man mit der ersten Komposition des Abends, „glut“ von Dieter Ammann, einen unterhaltsamen Schnittbogen, in dem in schneller Folge die orchestralen Stimmungslagen durchgekostet wurden. Expressives Schwelgen, zartes Glimmen, motorisches Zucken. Immer war ordentlich was los, irgendwo ließ man stets ein wenig die Muskeln spielen bei diesem etwas angeberischen Schaustück, das aber so viel Spaß machte, wie ihn Progrock eben machen kann.

Im zweiten Stück, „Macchine in echo“ von Luca Francesconi, kam zum Deutschen Symphonie-Orchester Berlin noch das famose GrauSchumacher Piano Duo dazu für einen echten Brocken an Musik, an dem man sich abarbeiten durfte. Das war bestimmt kein Easy Listening. Das war mit dem lauernden Drängeln, der gestauchten Spannung und einer heiß-kühlen Nonchalance heftigster Postpunk.

Als Appetithäppchen sei verraten, dass es in dem Stück zu einer trauten Zwiesprache zwischen der Harfe und einer Bohrmaschine kommt.

Böses Säuseln

Und dann noch „Quicksilver“ von der Berliner Komponistin Milica Djordjević, drittes und letztes Stück des Abend: fies quengelnd, beunruhigend pulsierend, böse säuselnd. Das konnte man in seinem dunklen Leuchten wie experimentellen Metal hören. Weil Metal doch auch ohne Stampfen und Grölen funktioniert.

Also ordentlich viel Rock ’n’ Roll bei der Neuen Musik. Und der Becher Bier in der Hand hätte hier wirklich gestört.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.