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Alternativer NobelpreisEine konservative Anarchistin

Taiwans erste Digitalministerin Audrey Tang sieht sich als „staatsbürgerliche Hackerin“. Sie will die digitale Zukunft radikaldemokratisch gestalten.

Audrey Tang ist eine der diesjährigen Gewinnerinnen des Right Liverlihood Awards Foto: Right Livelihood Laureate

Berlin taz | Als „staatsbürgerliche Hackerin“ und „konservative Anarchistin“ beschrieb sie sich selbst vor fünf Jahren in einem Interview mit der taz. Die heute 44-jährige freie Programmiererin Audrey Tang ist die erste Person aus Taiwan überhaupt, die mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet wird. Begründet wird dies damit, dass sie „den sozialen Gebrauch digitaler Technologie zu Stärkung der Bürger vorangebracht, die Demokratie erneuert und Spaltungen überwunden“ habe.

Tang war Taiwans erste Digitalministerin, Taiwans erste Beamtin mit nicht-binärem Geschlecht und die erste trans Ministerin der Welt. Sie nennt sich „post gender“ und sagt, sie akzeptiere „jedes Pronomen, mit dem mich die Leute online beschreiben.“ Heute ist Tang digitale Botschafterin Taiwans – sie vertritt also einen kleinen, international isolierten ostasiatischen Inselstaat, der zugleich eine Chip-Weltmacht ist und von der Volksrepublik China mit gewaltsamer Vereinigung bedroht wird.

Als Parteilose war Tang acht Jahre in der Regierung der Peking-kritischen Demokratischen Fortschrittspartei, bis sie 2024 von sich aus abtrat und seitdem weltweit als basisdemokratische Digitalaktivistin unterwegs ist. Schon 2021 trat sie digital auch beim taz lab auf.

Überfliegerin in der Netzwelt

Tang, die einen Teil ihrer Kindheit in Deutschland verbrachte, ist eine Überfliegerin. Sie begann mit acht Jahren das Programmieren. Mit 14 verließ sie ohne Abschluss die Schule und bildete sich selbst zur Softwareprogrammiererin aus. Mit 19 beriet sie den Apple-Konzern und die Wikimedia-Foundation im Silicon Valley. Sie übersetzte mehrere Handbücher von Open-Source-Software ins traditionelle Chinesisch.

2012 war sie Mitgründerin der digitalen freien Bürgerbeteiligungsplattform g0v, bei der sie noch heute aktiv mitarbeitet. 2014 beteiligte sie sich an der Sonnenblumenbewegung, die aus Protest gegen ein geplantes Dienstleistungsabkommen mit China das Parlament in Taipeh besetzte. Tang sorgte mit für die digitale Infrastruktur der Besetzer, die den Kurs der Regierung erfolgreich ändern konnten.

Durch ihre ungewöhnliche Biografie wie durch ihre progressiven Gedanken zur Stärkung der Demokratie mittels digitaler Praktiken erregt Tang weltweit Aufmerksamkeit. Schon anhand ihrer Person zeigt sich ein deutlicher Kontrast Taiwans zum autoritär regierten China. Tang propagiert Transparenz, erkennt aber an, dass diese angesichts von Pekings auch digitalen Bedrohungen wie Manipulation und Fake News ihre Grenzen haben muss.

Datenschutz schon in der Grundschule

„Radikale Transparenz ist keine hundertprozentige Transparenz“, sagte sie im Januar 2020 zur taz. „Unsere Gegner wollen Menschen dazu bringen, der Demokratie zu misstrauen“. Radikale Transparenz diene als Gegenmittel, weil die Menschen den Kontext erfahren würden – also warum man über etwas spreche und warum man etwas tue. „Wir teilen gute und schlechte Nachrichten mit ihnen. Würden wir nur gute Nachrichten wie Propaganda verbreiten, vertrauten uns die Menschen nicht. So verstehen sie, dass wir eine Demokratie sind.“ Sie ist überzeugt: „Für die Gegner wird es dann schwierig, mit Desinformation Zwietracht zu säen.“

Laut Tang ist es notwendig, die Demokratie digital zu überdenken. „Wer sich zum Beispiel bei der Bestimmung der Luft- und Wasserqualität auf den Staat verlässt, liefert sich der Umweltschutzbehörde aus“, sagte sie. Auch sich auf private Dienstleister zu verlassen mache abhängig. „Nur durch Stärkung des sozialen Sektors mit offener Hardware und durch Anbieten eines Breitbandzugangs als Menschenrecht werden soziale Innovationen auch in den ärmsten ländlichen Gegenden möglich“, so Tang.

Sie setzt auch auf frühkindliche Medienbildung. Schon in der Grundschule müssten Kinder lernen, dass sie auch für ihre Daten verantwortlich seien. Dazu gehöre etwa die Erkenntnis, dass Facebook kein Ersatz für persönliche Begegnungen sein könne.

Vielseitige „Chatroom-Moderatorin“

Was aber versteht sie unter der Bezeichnung der „staatsbürgerlichen Hackerin“? Staatsbürgerlich zu sein bedeutet für sie, dass ihr am Wohlergehen der Öffentlichkeit liegt. Hackerin zu sein bedeute, ein System zu verstehen und zu verbessern – nicht, bestehende Institutionen zu stören. Und sie bezeichnet sich als Anarchistin, weil sie als Ministerin weder Befehle zu geben noch entgegenzunehmen pflegte. Konservativ dagegen sei sie, weil sie Taiwans Artenvielfalt erhalten und die Erfahrungen früherer Generationen einbeziehen wolle.

In Taiwan hat mal jemand gesagt, sie sei eher eine Art Chatroom-Moderatorin gewesen als eine typische Ministerin. Eine Bereicherung für moderne Demokratien sind ihre Erfahrungen auf jeden Fall.

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1 Kommentar

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  • Der Autor wirft mit Begriffen um sich, die er gleichsetzt, die aber durchaus Unterschiedliches meinen. Radikaldemokratisch ist nicht basisdemokratisch und am Ende geht es darum, dass Audrey Tang sich für eine offene digitale Kommunikations- und Medienarchitektur stark macht. Wozu der Autor (und Audrey Tang ?) nichts zu sagen hat, ist die Lösung des bereits heute offensichtlichen Dilemmas offener Kommunikationssysteme: Das Scheitern jeder Art von „Qualitätssicherung“ bei gleichzeitigem Überschuss an widersprüchlichsten Informationen.

    Sog. „Qualitätsmedien“ geraten ja nicht nur unter Beschuss, weil „Fake News“ breite Aufmerksamkeit finden. Sie offenbaren vielmehr einen recht naiven und selbstgefälligen Umgang mit medialen Informationsinhalten, schielen auf Common Sense und Quoten, lassen als der Neutralität verpflichteter ÖRR kaum Raum für deviante Meinungen und Argumente.

    Das Demokratie nicht bedeutet, dass Richtige zu wissen und das Richtige zu wollen, sondern egalitäre Mitbestimmung bei gesellschaftlichen Entscheidungen meint, geht im Artikel völlig unter.