Alternative zu S21: Zwei Bahnhöfe für Stuttgart
Ausstieg oder Weiterbau sind nicht die einzigen Optionen. Ein Nahverkehrsspezialist bringt eine dezentrale Bahnhofsvariante ins Spiel.
STUTTGART taz | Immer wenn er denken muss, fährt Gerhard Schnaitmann Zug. Zum Beispiel, wenn er Alternativen zu etwas sucht. So war es auch, als er Ende vergangenen Jahres mitbekam, wie die Deutsche Bahn die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 eingestehen musste. Unterwegs entwickelte Schnaitmann seine eigene Lösung für das Bahnhofsprojekt: „SO 21“ nennt er sie, die Stuttgart-Ost-Variante.
Ob die irgendeine Chance hat, wird sich wohl am Dienstag zeigen. Denn dann tagt der Aufsichtsrat der Bahn. Aller Voraussicht nach wird er grünes Licht für den Weiterbau geben. In einem Papier des Bahn-Vorstands an den Aufsichtsrat heißt es nach Medienberichten, es gebe nur die Wahl zwischen Fortführung und Ausstieg. Weitere Vorschläge wie die Kombilösung von Heiner Geißler, der einen Teil der Schienen unter die Erde legen, einen anderen oben belassen wollte, nähmen zu viel Zeit in Anspruch. Stiege man aus S 21 aus, so das Mantra der Projektbefürworter, hätte man über Jahre nichts.
Stimmt nicht, behauptet Schnaitmann, der bei der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg arbeitet, den Entwurf aber als Privatmann vorgelegt hat. Er ist überzeugt, dass seine Ideen relativ schnell und relativ kostengünstig umsetzbar wären: Statt den Kopfbahnhof umzubauen, solle man lieber einen zweiten Fernbahnhof in Stuttgart anlegen, schlägt er vor. In Untertürkheim gibt es einen ehemaligen Güterbahnhof. Dort könnten alle durchgehenden Fernzüge halten. Alle Regionalzüge sowie alle Fernzüge, die in Stuttgart starten oder enden, würden weiterhin im Kopfbahnhof halten.
Von Untertürkheim wiederum ließe sich die mit S 21 zusammen geplante Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm über einen Tunnel anschließen. Dieser wäre 15 Kilometer lang und relativ eben. Bei S 21 müssten ungefähr 60 Kilometer Tunnel durch wechselnde geologische Formationen gebohrt werden. Über eine kleine Abzweigung vom Tunnel würde Schnaitmann den Flughafen mit der S-Bahn-Linie an dem Fernverkehr anschließen.
Anknüpfung an bestehende Infrastruktur
Die wesentlich kürzere, eben verlaufende Tunnelstrecke hätte nicht nur weniger geologische Risiken, sie wäre auch deutlich billiger. Eine Zahl aber will Schnaitmann nicht nennen. „Ich bin kein Ingenieur“, sagt er.
So ausgefeilt das Konzept auch ist – eine konkrete Planung gäbe es natürlich im Falle eines S-21-Ausstiegs auch hier nicht. Allerdings knüpft SO 21 stark an die bestehende Infrastruktur an, was die Planungen beschleunigen würde. „Der neue Bahnhof wäre komplett auf bestehendem Bahngelände. Sie haben dort wesentlich einfachere Genehmigungsverfahren“, sagt Schnaitmann. Zudem könnten alle Bauabschnitte einzeln in Betrieb genommen werden. Und: Selbst S 21 ist ja zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal in allen Abschnitten planfestgestellt.
Andere Bahnexperten wie Karl-Dieter Bodack, die wie Schnaitmann S-21-Gegner sind, haben SO 21 bereits die verkehrliche Tauglichkeit und zeitliche wie finanzielle Vorteile bestätigt. Auch dem Landesverkehrsministerium liegt der Entwurf vor. Doch die Landesregierung äußert sich derzeit generell nicht zu Alternativüberlegungen. „Wir führen keine Ausstiegsdebatte“, lautet das Credo.
Schnaitmann selbst nennt aber Schwachpunkte seines Konzepts, die eher emotionaler Natur sein dürften. So etwa der Aspekt, dass der Fernbahnhof nicht im Stadtzentrum liegen würde. „Da würde der eine oder andere bruddeln.“ Zudem, so sagt er, sei sein Konzept eben sehr schlicht. „Und schlichte Konzepte begeistern Politiker selten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee