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Alter geht vor den Verwalter

Innenbehörde stellt Methoden zur Identitätsfestellung bei Flüchtlingen vor  ■ Von Marco Carini

Die Unschuldsvermutung hat der zum Innensenator aufgestiegene Amtsrichter Ronald Schill kurzerhand abgeschafft. Von den 907 in Hamburg lebenden Personen, die angeben aus dem westafrikanischen Land Burkina Faso zu stammen, seien „615 Drogendealer“, sagt Schill. Dass es sich bei dieser Zahl keineswegs um rechtskräftig verurteilte Rauschgifthändler, sondern nur um „Tatverdächtige“ handelt, räumte der Innensenator ges-tern erst auf zweifache Nachfrage ein. Er hatte eingeladen, um neue Maßnahmen zur Identitätsfeststellung der Flüchtlinge vorzustellen.

Der Vorwurf des Innensenators ist gleich ein Doppelter: Die westafrikanischen Flüchtlinge sollen nicht nur mehrheitlich dealen, sondern in aller Regel auch nicht aus dem Land stammen, das sie als Herkunft angegeben haben. Die Möglichkeiten der Ausländerbehörde, die Identität zu überprüfen, waren bislang dadurch beschränkt, dass Burkina Faso sich weigerte, sich die Flüchtlinge in Sammelinterviews vorführen zu lassen und auf die Herkunft abzuklopfen. Ohne klare Identität konnten ihnen aber keine Papiere ausgestellt werden. Und ohne Papiere kann die Behörde nicht abschieben lassen.

Das will der Innensenator jetzt ändern. Seit einer Woche befindet sich laut Schill eine hochkarätige, aus vier Regierungsmitgliedern bestehende Delegation aus Burkina Faso in Hamburg, um über 200 angebliche Landsleute auf Herz und Herkunft zu überprüfen.

Das amtliche Zwischenergebnis des umstrittenen Frage-Antwort-Spiels: Von 126 erschienenen Personen, die behaupteten aus Burkina Faso zu stammen, wurden von der Deligation nur 14 als Landsleute anerkannt.

Vorverurteiler Schill glaubt, den Grund dafür zu kennen, dass 92 Flüchtlinge ihrer Vorladung nicht gefolgt sind: „Die sind nicht erschienen, weil sie nicht aus Burkina Faso kommen.“

Die Delegation, deren 2-Wochen-Trip die Hansestadt mindes-tens 30.000 Euro kostet, hat laut Ausländerbehördenchef Ralph Bornhöft viele Interviewte „eindeutig anderen Herkunftsländern zugeordnet“. Hier will die Innenbehörde nur Passersatzpapiere bei den jeweiligen Konsulaten beantragen, um dann umgehend die Abschiebungen auf den Weg zu bringen.

Doch nicht nur die Herkunft von Flüchtlingen, sondern auch deren Alter will die Innenbehörde konkreter bestimmen können. Die Ausländerbehörde zweifelt fast routinemäßig an, wenn ein allein eingereister Jugendlicher angibt, unter 16 Jahre alt zu sein – was für ihn ausländerechtliche Vorteile wie eine pädagogische Betreuung mit sich bringt. Jetzt sollen die SachbearbeiterInnen nicht nur festlegen können, ob jemand schon über 16 Jahre ist, sondern darüber hinaus auch, ob er bereits das 21. Lebensjahr vollendet hat. Mit 21 Jahren nämlich gilt man strafrechtlich als Erwachsener – und kann „die volle Härte des Gesetzes“ zu spüren bekommen.

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