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AltenpflegeDer Preis des langen Lebens

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Pflegebedürftigkeit im Alter kostet und darf nicht zu einem persönlichen Schicksal werden. Ein Soli-Zuschlag könnte ein Ausweg sein.

Ein höherer Pflegebeitrag ist zwingend notwendig Foto: Thorsten Gutschalk/imago

A us einem Sondervermögen soll die Bundeswehr künftig 100 Milliarden Euro zusätzlich bekommen. Nur mal als Beispiel: Mit „nur“ 10 Milliarden Euro im Jahr ließen sich mehr als 200.000 zusätzliche Vollzeitkräfte in der Altenpflege, darunter die Hälfte examiniert, einstellen. Ein solcher Aufwuchs würde die Altenpflege wie von Zauberhand verwandeln. Die Angst vor dem hohen Alter wäre für alle Bür­ge­r:in­nen abgemildert. Es ist ein Traum.

Stattdessen muss man sich darauf einstellen, dass der große Aufwuchs an Steuermitteln für die Finanzierung der Pflege womöglich gar nicht kommen wird. Im Kampf um den Bundeshaushalt, verschärft durch die geplante Steigerung der Militärausgaben, durch Coronafolgen, Inflationssorgen und die Energiewende, könnte der soziale Bereich womöglich sogar Federn lassen.

Dabei hat die Pflege jetzt schon ein massives Finanzierungsproblem, das Verteilungsfragen in den Mittelschichtmilieus und bei Hoch­ver­die­ne­r:in­nen berührt. Die Frage lautet: Welche Altersrisiken müssen von den Betroffenen getragen werden und welche werden von der Solidargemeinschaft geschultert? Was ist Schicksal, was ist Staatsverantwortung?

Leider reicht es nicht aus, als Ausweg der Misere die Schuld bei Sündenböcken zu suchen, denen man nur das Handwerk legen müsste. Es ist zwar richtig, für eine bessere Aufsicht der privaten Investoren in der Pflege zu plädieren. Fragwürdige Immobiliendeals und Schuldenübertragungen der Private-Equity-Firmen sollten unterbleiben. Aber es bei der Empörung über dubios finanzierte private Heimketten zu belassen, greift zu kurz.

60 Prozent der Pflegebedürftigen werden in freigemeinnützigen – wie den kirchlichen – und kommunalen Einrichtungen versorgt. Caritas und Co haben oftmals einen besseren Ruf und längere Wartelisten als die Privaten. Der Anteil der Personalkosten ist hier größer, die Gewinnmarge kleiner als bei den Privaten, sagt der aktuelle Pflegeheim-Rating-Report des RWI-Instituts in Essen. Die Eigenanteile für die Pflegebedürftigen liegen bei den gemeinnützigen Häusern im Schnitt höher als bei den privaten.

Die Pflegelöhne in der Altenpflege steigen. Die Pflegekommission von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat für ungelernte Pflegekräfte ab September einen Mindestlohn von fast 14 Euro festgelegt. Das ist zu begrüßen. Aber höhere Löhne haben auch in der Vergangenheit zu einer Erhöhung der Eigenanteile geführt, die Pflegebedürftige leisten müssen. So ist der durchschnittliche Eigenanteil bei einem Heimaufenthalt nach den jüngsten Daten des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) auf über 2.000 Euro im Monat gestiegen. So viel Geld im Monat für einen Heimaufenthalt bezahlen zu müssen macht vielen Ru­he­ständ­le­r:in­nen Angst: Angst, dass der Pflegefall das Einkommen, dann das Vermögen und die hart ersparte Immobilie auffressen könnte und am Ende der Gang zum Sozialamt droht.

Die Fließbandarbeit an Hochgebrechlichen nagt an der Würde und den Nerven auch der Pflegekräfte

Die skandalumwitterte und wegen schwerer Pflegemängel geschlossene Seniorenresidenz Schliersee in Bayern von Sereni Orizonte kostete um einige Hundert Euro weniger im Monat als andere Einrichtungen. Bemerkenswerterweise – und traurigerweise – protestierten sogar Angehörige gegen die Schließung des schlecht geführten Billigheims.

Man übersieht leicht, dass gute Rund-um-die-Uhr-Pflege eine der teuersten Dienstleistungen ist. Laut des Rating-Reports werden für eine Heim­be­woh­ne­r:in im mittleren Pflegegrad 3 mit einer „schweren Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ im Durchschnitt nur rund 67 Euro an Kosten für die tägliche unmittelbare Pflegeleistung veranschlagt. 67 Euro!

Dafür kriegt man im Urlaubshotel nicht mal eine einstündige Lomi-Lomi-Massage. Und im Heim sollen damit unter anderem Waschen, Anziehen, Toilettenbegleitung und Hilfe beim Essen abgegolten werden, für 24 Stunden. Die Fließbandarbeit an Hochgebrechlichen nagt an der Würde und den Nerven auch der Pflegekräfte und führt zum tausendfachen Ausstieg aus dem Beruf.

Woher also soll das Geld kommen für die besseren Löhne und für eine bessere Personalausstattung, für eine Deckelung der Eigenanteile, die sich die Sozialverbände wünschen? Die alternde Gesellschaft hat Angst davor, in den Spiegel zu schauen, wo sie Hunderttausende von Inkontinenten und Dementen erblickt. Auch man selbst könnte das irgendwann mal sein; Bildung oder Geld schützen davor nicht.

Höherer Pflegebeitrag ist zwingend

Eine Anhebung des Beitrags für die Pflegeversicherung, im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigt, wird unumgänglich sein. Auch der Vorschlag im Koalitionsvertrag, eine freiwillige zusätzliche Pflegeversicherung einzurichten, paritätisch von den Arbeitgebern mitfinanziert, die dann die Eigenanteile mit abdeckte, könnte sinnvoll sein. Höhere Zuschüsse aus Steuergeldern müssen kommen.

Warum nicht über eine Art Solidarzuschlag für die Pflege nachdenken, der besonders Hoch­ver­die­ne­r:in­nen belastet? Das mag unrealistisch klingen angesichts der aktuellen Energiekrisen, Inflationssorgen und Aufrüstungspläne. Lässt man aber alles beim Alten, wird die Pflegebedürftigkeit allein zum persönlichen Schicksalsschlag, von dem man hofft, dass es einen nicht trifft. Die Chancen dafür stehen schlecht in einer Gesellschaft der Langlebigen.

Von den über 85-Jährigen ist die Mehrzahl ambulant hilfsbedürftig, fast jedeR Fünfte muss ins Heim. Viele denken: Vielleicht kommt man später ja doch irgendwie zu Hause zurecht, mit einem Pflegedienst, der zweimal am Tag vorbeischaut, und eigenem heldenhaftem Durchhaltevermögen. Vielleicht lebt man ja auch gar nicht so lang. Vielleicht aber belügt man sich auch ein bisschen selbst.

Es geht jetzt darum, den öffentlichen Raum zu erhalten für die auch ethische Diskussion, welche kollektiven Opfer für die Altenpflege die Gesellschaft der Langlebigen erbringen sollte. Schon das wird nicht einfach werden.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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